piwik no script img

Roma in BulgarienIm Viertel eingesperrt

In Bulgarien wird die Minderheit auch während der Coronapandemie drangsaliert. In der Roma-Bevölkerung gärt der Protest.

Die meisten rassistischen Angriffe in Bulgarien richteten sich gegen Roma Foto: reuters/Dimitar Kyosemarliev

Berlin taz | Es war nur eine Frage der Zeit, bis es knallen würde. Am Mittwochnachmittag war es soweit: In der bulgarischen Hauptstadt Sofia kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Bewohnern des Roma-Viertels Filipovzi. Bereits am Wochenende hatten Hunderte Roma in Filipozi und dem zweiten Sofioter Roma-Viertel Fakulteta unter Rufen wie „Rücktritt, Rücktritt!“ gegen die Regierung demonstriert, nachdem eine Gruppe junger Männer versucht hatte, eine Absperrung zu durchbrechen.

Im gesamten Land herrschen strenge Ausgangsregelungen wegen der Coronapandemie – doch die beiden Viertel Filipozi und Fakulteta waren am 16. April komplett abgeriegelt worden. Die mit Polizeikräften gesicherten Kontrollpunkte dürfen nur noch diejenigen passieren, die zum Beispiel eine Arbeitsbescheinigung oder ein ärztliches Attest vorweisen können – Dokumente, die die meisten Roma überhaupt nicht besitzen.

In der vorvergangenen Woche waren gegen die Minderheit schon in anderen Teilen des Landes ähnlich harte Maßnahmen ergriffen worden. Zwar wird die Roma-Bevölkerung jetzt vermehrt auf Covid-19 getestet, bislang wurden aber nur rund zwei Dutzend Infektionen nachgewiesen. Landesweit sind 1.000 Fälle bestätigt und 49 Menschen in Zusammenhang mit Corona gestorben (Stand 22. April).

Vorwürfe, es handle sich um Diskriminierung, lässt die Sofioter Bürgermeisterin Jordanka Fandykova an sich abperlen. Es gehe nur darum, Infektionen zu lokalisieren und damit das Leben dieser Menschen sowie ihrer Angehörigen und Nachbarn zu retten, sagte Fandykova bulgarischen Medien.

Viele Roma haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem

Das Leben der Roma ist schon in „normalen“ Zeiten kein leichtes in dem 8-Millionen-Einwohnerstaat, in dem sie nach offiziellen bulgarischen Angaben mit 330.000 Personen die größte Minderheit stellen. Viele fristen ihr Dasein als Flaschen- und Müllsammler. Die Kinder werden, so sie überhaupt Schulen besuchen, meist getrennt unterrichtet. In den Wohnvierteln fehlt es oft an Trinkwasser, Elektrizität und Kanalisation. Zugang zum Gesundheitssystem haben die meisten nicht.

Die Pandemie ist vor allem für Rechtsextreme ein willkommener Anlass zur Hetze

Auch der Bulgarien-Bericht der Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, von Ende März dieses Jahres, fiel wenig schmeichelhaft aus. Die meisten rassistischen Angriffe im Land richteten sich gegen Roma, Hasssprache und Feindseligkeiten gegen sie fänden sich auf allen Ebenen der Gesellschaft, heißt es. Seien Behörden oder Politiker involviert, werde ein derartiges Verhalten nicht geahndet.

Rechtsextreme Politiker nutzen Pandemie für Hetze

Als ein Beispiel für die rassistischen Angriffe führt Mijatović das Dorf Voivodinovo an. Dort wurden im Januar 2019 Hunderte Roma von einem wütenden Mob vertrieben. Die Behörden leisteten Hilfestellung, indem sie zahlreiche Häuser niederbrannten – angeblich, da diese illegal errichtet worden seien und Sicherheitsmängel aufgewiesen hätten.

Die Pandemie ist vor allem für rechtsextreme Politiker ein willkommener Anlass zur Hetze. An vorderster Front: Angel Dschambatzki, Vizevorsitzender des Juniorpartners VRMO in der bulgarischen Regierung und EU-Parlamentarier. Er spielt gerne darauf an, dass er Roma-Viertel für Ansteckungsnester hält.

Überhaupt: Viele Roma seien gerade aus Spanien und Italien zurückgekommen, gab er zu Protokoll. Dschambatzki hatte schon 2017 anlässlich eines Streits zwischen einem Rom und einem Bulgaren, der für letzteren tödlich endete, auf Facebook gepostet: „Erzählt mir etwas von Integration, Toleranz, Liberalismus und Humanismus. Und ich werde euch erzählen, wie man einen Strick benutzt.“

Es gärt in der Roma-Bevölkerung

Laut Berichten des bulgarischen Menschenrechtsportals Marginalia haben viele Roma, die noch Arbeit hatten, diese in den vergangenen Tagen verloren. Und es gärt weiter. Unter einem Protestbericht auf der Onlineseite Mediapool.bg heißt es in einem Kommentar: „Sicher werden viele Bulgaren Befriedigung empfinden, dass die Roma eingesperrt sind. Ich nicht! Ich spüre von allen Seiten Rassismus und Repression. Ich bin Roma.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!