Roma in Berlin: "Anpassung ist unausweichlich"
Damit Roma in der Stadt sesshaft werden können, brauchen sie Orientierungshilfen - und vor allem Arbeit, sagt Pavao Hudik, Leiter der neuen mobilen Anlaufstelle für Roma.
taz: Herr Hudik, im vergangenen Sommer erregten wandernde Roma-Gruppen Berlin - wo sind die in diesem Jahr?
Pavao Hudik, Jahrgang 1952, leitet die Anlaufstelle für Europäische Wanderarbeiter und Roma. Der Ungar ist in Serbien geboren und in Kroatien aufgewachsen.
Mit 250 Euro Ausreisegeld pro Kopf lockte der Berliner Senat vergangenen Sommer eine Gruppe Roma aus der Stadt, die zuvor als "Bettel-Roma" die Gemüter erhitzt hatten. Als Reaktion rief die Senatsverwaltung für Integration in diesem Jahr die "Mobile Anlaufstelle für europäische WanderarbeiterInnen und Roma" ins Leben, getragen vom Südost Europa Kultur e.V. und Amara Drom.
Sechs Teilzeitkräfte betreiben mit dem knappen Etat von 30.000 Euro für 2010 dort Konfliktintervention, bieten Beratung an, sollen die Öffentlichkeit sensibilisieren und eine langfristige Strategie für den Umgang der Stadt mit Roma entwerfen - offenbar mit Erfolg, denn in diesem Jahr blieb der Anti-Roma-Hype bislang aus. AWI
Infos: www.suedost-ev.de
Pavao Hudik: Sie sind hier. Und sie machen dasselbe wie im vergangenen Jahr, Autoscheiben putzen, betteln. Aber sie sind besser organisiert.
Letzten Sommer hat der Senat sie mit Abschiedsgeld weggeschickt. Nun sind sie wieder da?
Das betraf nur eine Gruppe. Viele andere sind geblieben und haben sich angepasst. Sie sind weniger sichtbar, schlafen nicht mehr in Parks, sondern mieten Wohnungen. Wir werden mittlerweile von vielen dieser Familien darum gebeten, ihre Kinder in Schulen unterzubringen.
Oft wird der Eindruck erweckt, als seien Roma an einer solchen Anpassung nicht interessiert.
Erstens: Es sind ihre Lebensumstände, aus denen sich Probleme ergeben, nicht ihre ethnische Herkunft. Zweitens: Anpassung ist doch unausweichlich. Es ist eine falsche Annahme, dass diese Leute immer weiterziehen wollen. Sie wollen sesshaft werden.
Wie finden Sie Ihre Klienten?
Etwa über andere Familien, die schon hier sind. Aber es sind auch die Polizei, die Gesundheits- oder Jugendämter, die uns um Hilfe bitten. Wir hatten kürzlich einen Einsatz, bei dem eine Frau mit einem Kleinkind spät abends von der Polizei aufgegriffen wurde. Eine Straftat lag nicht vor, es gab die Frage, ob das Kind in Obhut gegeben werden müsse. Alle waren froh, als von uns dann trotz der späten Zeit jemand dazu kam, der die Sprache sprach und vermitteln konnte.
Außer der Vermittlung in solchen Konfliktfällen: Was sind die Möglichkeiten Ihrer Beratungsstelle?
Wohnungen, Arbeit können wir leider nicht vermitteln. Aber wir können ihnen dabei helfen, sich so zu verhalten, dass sie bei der Bevölkerung hier nicht so viel Abneigung erregen. Dass sie sich an die Sitten, Gebräuche, auch an die Gesetze halten.
Eine Art Integrationshilfe also?
Ich benutze das Wort Integration nicht so gerne, es geht eher um Orientierungshilfe. Dazu gehört, wie man einen BVG-Automaten bedient - viele der Menschen sind ja Analphabeten und können das gar nicht -, oder auch, dass man die kleinen Kinder nicht bis spät nachts auf der Straße spielen lässt. Vor allem interessiert mich aber, was die Leute können. Sie sind ja gekommen, um zu arbeiten. Und das sollen sie auch. Wir dürfen nicht die gleichen Fehler machen wie etwa bei den Flüchtlingen, die jahrzehntelang nicht arbeiten oder zur Schule gehen durften und deren Kinder nun kaum an Arbeit und eigenes Geldverdienen gewöhnt sind.
Ihr Zugang zum Arbeitsmarkt ist schwer: Sie können kein Deutsch, haben Probleme, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen - was können Sie da tun?
Realistisch sein. Die Arbeiten, die sie ausüben können, sind eben Scheibenputzer, Bettler, Musiker. Und das machen sie mit Organisationstalent: Während die älteren Frauen auf die Kinder aufpassen, übernehmen die jüngeren Männer und Frauen das Scheibenputzen, die älteren Männer sind telefonisch miteinander in Kontakt und haben den Überblick, wo sich das Putzen gerade lohnt, damit die Gruppe entsprechend den Platz wechseln kann. Das ist beinahe so etwas wie Marktforschung. Wir gucken, wie man die Abläufe optimieren und die Arbeit so organisieren kann, dass sie keine Gesetze verletzen. Indem zum Beispiel ein Gewerbe angemeldet wird oder der Scheibenputzdienst anderswo platziert wird, etwa an einer Tankstelle.
Hat sich die Haltung gegenüber den Roma verändert?
Wir sprechen viel mit Bürgern, auch mit Polizisten, die uns erklären, welche Probleme es mit den Roma gibt. Diese Informationen geben wir weiter, und ich bin selbst erstaunt darüber, wie bereitwillig die Leute das aufnehmen. Das zeigt, wie wichtig die Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen ist. Ich denke, dass die Berliner mit den Roma etwas geduldiger geworden sind.
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