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Zwischen den RillenRolling Sisyphos

■ Steinbeißerblues: „Extra Width“ von The Jon Spenser Blues Explosion

Die einen setzen zusammen, die anderen nehmen auseinander. In unseren Zeiten sind Konstruktion und Dekonstruktion die letzten Verhaltensmuster, auf die sich ein Musikant zurückziehen kann. Die einen leben gesund, die anderen glauben, daß nur im miesen Leben Wahrheit versteckt ist. Welche Wahrheit spielt schon fast keine Rolle mehr. Hauptsache, es sind noch Drogen da.

Andererseits lebt der Rock 'n' Roll – im Gegensatz zum Dancefloor – gar nicht mehr im Zeitalter der Droge.

Statt dessen lebt man gesund – was ja auch eine Droge sein kann. Womit wir wieder am Anfang wären und die dortige Gegenüberstellung als ganz und gar nicht stimmig entlarvt hätten.

Doch noch mehr stimmt nicht in der Welt des Rock, denn Jon Spenser lebt ganz bestimmt nicht gesund. Jon wer? Kurze Vergangenheitsbewältigung: Jon Spenser, seines Zeichens Gitarrist, wollte laut Eigenaussage in den achtziger Jahren mit seiner New Yorker artsy fartsy-Kapelle Pussy Galore dem Rock 'n' Roll „den Gnadenstoß geben“. Dies gelang beiden vollständig. Dabei klangen sie so schlecht, daß es recht war. Den Dekadenwechsel verbrachte Spenser mit der Band Boss Hog und dem Versuch, das Leben auf finanziell sicherere Beine zu stellen. Ein Unterfangen, das von weniger Erfolg gekrönt war. Dann kam ein Gastspiel bei den Honeymoon Killers, Spenser nahm zwei der dort tätigen Dekonstruktivisten mit, und sein neues Trio war geboren: The Jon Spenser Blues Explosion.

Blues Explosion – der Name trifft's, denn Blues ist der Stein, der abgetragen werden soll. Explosion paßt andererseits wieder nicht, denn hier ist eher Sisyphos am Werk und kein Sprengmeister. Der Blues rollt so lange den Berg hinunter, bis er bricht. Genaugenommen ist er bereits zerbrochen in einer Situation, in der alte, schwarze Herren zur Belustigung junger, weißer Geschäftsleute aufspielen. Also nehmen die jungen oder auch nicht mehr ganz so jungen, weißen Ehrenretter die Sache in die Hand.

Doch wo – beispielsweise – Jeffrey Lee Pierce und seine Blues-Platte in zwar wunderhübsch anzuhörender, aber halt doch zu sehr aufs Authentische schielender Heldenverehrung stecken blieben, zermalmt Jon Spenser, was eh nicht mehr zusammenhalten wollte. Oder guckt dabei zu. Und hört. Und spielt.

Im Gegensatz zu Pierce natürlich keine einzige Coverversion. Soviel Anstand hat er dann doch.

Da kommen natürlich die Beasts of Bourbon ins Spiel. Jene australischen Jungs, die schon im Namen klarlegten, womit man auf solch böse Gedanken kommen kann. Doch hört man „Extra Width“, das zweite Werk der Blues Explosion, wird klar, daß die Beasts im Vergleich zu Spenser noch nicht einmal richtig aus den Kinderstiefeletten raus sind.

Als würde Jon Spenser selbst nicht ganz glauben, wozu ein gesunder Mann im besten Alter so fähig ist, reibt er sich auf dem Cover von „Extra Width“ verwundert die Augen. Vielleicht ist er auch nur müde. Abtragen kann ganz hübsch mühsam sein. Schon auf dem Erstling „Crypt Style“ war das geheime Motto: Wir klauen uns ein Gitarrenriff und spielen es einfach möglichst unbehauen. Das hatte was von Großmüttererschrecken und war wunderschön.

Von diesem Stoff findet sich auch auf „Extra Width“ eine Menge, zum Beispiel in „The World Of Sex“, wo Spenser die Kartoffel in den Mund nimmt, wie es Lux Interior von den Cramps zu seinen glänzenden Zeiten zu tun pflegte. Doch dieses Stück – und der Rest der Platte sowieso – geht ein gutes Stück weiter. Ein Stück dahin, wo keine Musik mehr ist, und deshalb neue sein kann. Wo die Verwirrung so groß wird, daß sie sich wieder auflöst. Zwar klingen die beiden Gitarren und das Schlagzeug (Kein Baß! That's the way to do it!) immer noch ganz so, als hätte Oscar seine Mülltonne diese Woche wieder mal nicht abgestaubt, aber die Blues Explosion entwickelt, sehr zur Freude des Tanzbeins, hin und wieder einen satt sexuellen Groove. Überhaupt sind sie diesmal noch näher dran am Blues – auch wenn die Strukturen noch weiter aufgelöst sind als beim ersten Mal. Es ist der Versuch, die Rohheit des Delta- Blues mit den Mitteln urbaner Herangehensweise wiederauferstehen zu lassen.

Vielleicht ist es auch nur noch einmal – und schon wieder – der Gnadenstoß. Zu schön, um schön zu klingen. Und weil „schön klingen“ in Zeiten von Spülwasser- Musik ohnehin ein Attribut ist, das Jon Spenser soviel interessiert wie ein Loch in der Wand, klingt diese Platte eben schön, weil sie nicht schön ist. Mehr Schönheit ist wahrscheinlich nicht möglich. Jedenfalls nicht für Blues. Thomas Winkler

The Jon Spenser Blues Explosion: „Extra Width“, Crypt Records, EFA

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