Rollback beim Verkehr in Berlin: Die Lindnerstraße
CDU und SPD machen es ihm einfach. Christian Lindner will Berlin als Teststrecke für die Freiheitlich Demokratische Porscherepublik. Eine Realsatire.
Im Februar hat er sogar eine Flasche Schampus geköpft. Es war ein ganz besonders glücklicher Tag im Leben des Christian Lindner: Berlins damalige Verkehrssenatorin Manja Schreiner von der FDP-Schwesterpartei CDU hatte auf einen Schlag an 34 Streckenabschnitten der Hauptstadt die Anordnung einer Tempo-30-Zone aufgehoben. Auch die Reinhardtstraße war dabei.
Er nennt sie „meine Wissing“
Wenn der FDP-Chef nach Feierabend in seinen Porsche-Oldtimer steigt, darf er nun wieder mit 50 Sachen zu seiner Franca brausen. Vielleicht werden’s auch ein paar Stundenkilometer mehr. In der FDP-Zentrale sprechen sie schon davon, dass die Reinhardtstraße bald in Lindnerstraße umbenannt werden könnte. Das Glück kennt auf seiner Skala nach oben keine Grenzen.
In ihrem Papier „Fahrplan Zukunft. Eine Politik für das Auto“ fordert die Lindner-FDP „kostenloses Parken“ oder eine Flatrate analog zum 49-Euro-Ticket. Im CDU-SPD-Senat ist das weitgehend umgesetzt: Anwohnerparken kostet 10,20 Euro – im Jahr, das ist nicht einmal 1 Euro im Monat. Nun soll der Preis erhöht werden. Auf etwa 30 Euro pro Jahr. Die Grünen fordern 240 Euro im Jahr.
Auch will die FDP keine „künstliche Verknappung“ des Parkraums. Diese Forderung ist bei CDU und SPD ebenfalls in guten Händen. Parkplätze sind in der Verkehrsverwaltung weitgehend tabu. Radwege dagegen nicht. (wera)
Dass die Senatorin von der Auto-Schwesterpartei wegen einer gefälschten Doktorarbeit zurücktreten musste, soll Lindner, so geht es aus einem Chatverlauf hervor, zuerst arg getroffen haben. „Meine Wissing“, soll er sie einmal genannt haben. Das war anerkennend gemeint. Wenn die CDU die Radwege wieder einrollt wie ein Stück falsch verlegten Kunstrasens, kann sich die FDP die Hände reiben. Nicht mal dreckig hat sie sie sich machen müssen. Danke, Frau Wissing!
Inzwischen kommt der glückliche Herr Lindner auch mit der Frau Bonde klar. Auch die baut keine neuen Radwege. Auch sie steht auf freie Fahrt für freie Bürger. Dass sie mal beim Verkehrsverbund VBB auf der Gehaltsliste stand, wäre vielleicht ein Anstellungshindernis bei der FDP gewesen. Aber solange sie deren Politik durchdrückt, freut sich das Porschefahrerherz.
Ist es dieses sehr berlinische Biotop, das Christian Lindner Mitte August Flügel verliehen hat? Die nach Asphalt und Benzin duftende Mischung aus CDU und SPD, die in Rekordtempo kassiert, worüber sich grüne Senatorinnen und Aktivistinnen seit Jahren den Kopf zerbrechen? Die die Verkehrspolitik vom Kopf wieder auf die Fahrbahn gestellt hat?
Jedenfalls hat der Herr Lindner ordentlich Gummi gegeben. Fahrrad raus! Auto rein! Parken frei! „Freiheit Den Porschefahrern“ soll FDP nun buchstabiert werden. Nicht nur in Berlin, überall in der Republik. Schließlich soll nicht nur der Herr Lindner glücklich sein. Dass Berlin nicht zusammenbricht, wenn es auf den Straßen etwas voller wird, haben ja die Bauernproteste gezeigt. Auch Treckerfahrer sind der FDP inzwischen willkommen.
Im Konferenzraum der trutzburgartigen FDP-Zentrale in der künftigen Lindnerstraße hat ein Referent schon ein paar Pläne aufgehängt. Vierspurige Spreeuferstraßen sind zu sehen, ein Gruß an Paris, als die Stadt noch nicht so grünversiffte Verkehrspolitik gemacht hat wie unter Anne Hidalgo. Natürlich ist das auch ein Warnhinweis an die Berliner SPD: Blockiert doch eure Kieze mit Kiezblocks; die Hauptverkehrsstraßen gehören uns.
Auf dem Ku’damm soll der Mittelstreifen neuen Parkplätzen weichen. Wer eine neue Rolex braucht, muss auch vor dem Rolex-Dealer parken können. Nicht nur der Weg zur Lunge muss geteert sein.
Etwas ganz Besonderes hat sich Christian Lindners Planungsteam für den Boulevard Unter den Linden ausgedacht. Nein, umbenannt wird er nicht, aber vier Spuren pro Richtung tun es auch. Busse? Können weg! Radfahrer? Können auf dem Gehweg schieben! Porschefahrer? Haben freie Fahrt bis ins Humboldt-Forum, wo im Schlüterhof ein VIP-Parkplatz entstehen soll. Kostenlos natürlich.
Der Einzige, der über alldem nicht richtig glücklich wirkt, ist Kai Wegner. Der Regierende Bürgermeister bekommt dieser Tage vermehrt E-Mails von seinen Wählern außerhalb des S-Bahn-Rings. „Weg mit der Umweltzone“ trendet auch bei „X“. Auch Dieselfahrer wollen am Schloss parken, fordern wortgleich die AfD und das BSW in Marzahn. Was soll er bloß machen, der unglückliche Herr Wegner? Fällt die Umweltzone, muss das Land dann nicht eine saftige Strafe an die EU zahlen?
Oder doch nicht? Mach dir nicht in die Hosen, soll der Christian dem Kai geschrieben haben. Eine Hand wäscht die andere. Ihr habt Berlin zur Teststrecke unserer Freiheitlichen Deutschen Porscherepublik gemacht. Jetzt habt ihr was gut. Und vielleicht können wir es ja so drehen, dass am Ende nicht Berlin die Strafe zahlt, sondern die grüne Umweltministerin im Bund.
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