: Rohwedders „Privat vor Katastrophe“
Buna: Alle Pläne platzen — jetzt macht die Treuhand die Projekte/ „Meckern“ gilt als Entlassungsgrund ■ Aus Halle Steve Körner
Alles wird viel schneller gehen, soviel ist heute schon klar. Die minutiösen Pläne sind endgültig Makulatur. Von wegen „allmählicher und sozial verträglicher Übergang zur Marktfähigkeit“! Von wegen „die Treuhand bekennt sich zu den in der Buna AG entstandenen Konzepten der weiteren Entwicklung und wird sie finanziell begleiten“! Da winkt Treuhandchef Rohwedder heute glatt ab. „Das höre ich zum ersten Mal.“ Nein, so wie man sich das in den Chefetagen der ostdeutschen Chemiebetriebe gedacht habe, gehe es ja nun mal gar nicht. Rohwedder zeigt leere Kassen vor.
Die Treuhand macht die Projekte lieber selbst
Jetzt macht die Treuhand selber die Projekte. Jetzt ist vom gemächlichen Langstreckenrennen, bei dem bis 1995 8.000 von ehemals 19.000 Bunawerkern auf der Strecke bleiben sollten, keine Rede mehr. Nur noch von Spurt wird gesprochen: Bis Ende diesen Jahres sollen gerade noch 5.000 Arbeiter und Angestellte übrigbleiben.
Am 19. Dezember begann im ehemals zweitgrößten Chemiekombinat der DDR der endüglitge Abschied von der Vergangenheit. Die Karbidfabrik, im politbürokratischen Autonomiewahn früherer Tage noch Schmiede des „grauen Goldes der Volkswirtschaft“, wurde gesprengt. Das „graue Gold“ nämlich ist zu einem Gutteil schuld am Niedergang der Buna-Chemie und an den schlechten Marktchancen des Ex- Kombinates. Die Karbid-Acetylen- Veredlung ist zu energieintensiv, zu umweltbelastend, letzten Endes schlichtweg zu teuer. Unmöglich weiterzubetreiben unter marktwirtschaftlichen Bedingungen.
Etliche Veredelungsfabriken aber wären bei Verwendung anderer Rohstoffe durchaus weltmarktfähig. Nein, nicht die alten, stinkenden, tropfenden und triefenden Buden mit den toten Fensterhöhlen, die sie immerzu im Fernsehen zeigen. Bei denen wurde mit der Stillegung schon vor geraumer Zeit begonnen und niemand hatte dagegen echte Einwände. Damals drohte Leuten wie Meister Kurt Sonnenkalb, der seit 1943 in der quecksilberverseuchten Chlorelektrolyse arbeitete, wegen der Stillegung auch noch nicht die Entlassung.
Untertauchen und den Kopf einziehen
Das ist heute anders. Beinahe die Hälfte der Buna-Belegschaft arbeitet schon so lange „kurz“, daß die meisten trotz einiger halbherzig-gegenteiliger Beteuerungen der Geschäftsleitung nicht mehr an eine Rückkehr in den Betrieb glauben mögen.
Ist man unter sich, schimpft man folgerichtig über die „alten Seilschaften“, die nach einem Bäumchen-wechsle-dich-Spiel nach wie vor in den Polstersesseln der Chefetagen sitzen. Ansonsten aber geht es dienstlich höflich zu. Parteipolitische Äußerungen im Betrieb sind bereits seit Frühjahr 1990 verboten — und aus dem parteilichen „Du, Genosse“ zwischen den Leitungsebenen ist das unpersönlich-demokratische „Sie, Herr“ geworden. Alles Bemühen geht dahin, es sich nach Möglichkeit nicht zu verscherzen mit der neu-alten Obrigkeit. „Nörgler“ und „Meckerer“ laufen auch in Buna Gefahr, zuerst gegangen zu werden. Kopf einziehen, unten bleiben und unauffällig überwintern heißt die Devise des beruflichen Überlebens. „Alle können sie ja nicht rausschmeißen“, flüstert man sich galgenhumorig zu.
So macht denn Buna von außen betrachtet auch eher den Eindruck einer intakten Firmenfamilie als den eines totgeweihten Chemiegiganten. Über die Umweltskandale der Firma, vor einem Jahr noch Tagesgespräch in den Kantinen, verliert niemand mehr ein Wort. Zwar hat sich noch nichts Grundsätzliches geändert, aber „besser“ geworden sei es schon, versichert man sich gegenseitig. Eine Notgemeinschaft, deren Mitglieder nichts auf ihr Unternehmen kommen lassen. Das könnte die Marktchancen schmälern, hat man ihnen gesagt. Jede kritische Äußerung in der Öffentlichkeit gilt denn auch als „geschäftsschädigendes Verhalten“ und Entlassungsgrund.
Kritik gilt als geschäftsschädigend
Eine Notgemeinschaft, an deren Spitze mit Karl-Heinz Saalbach ein weißhaariger, bedächtiger Mann aus der früheren zweiten Reihe steht. Ein Mann, der dennoch vielen Buna- Werkern als moralisch sauber und fachlich fähig genug gilt, das schlingernde Konzernschiff über die schwierigen Zeiten zu steuern. Saalbach steht für eine Art Unternehmenspolitik der Solidarität, der „geteiltes Leid ist halbes Leid“, der nur notgedrungenen Durchsetzung des Unabwendbaren. Er ist weder übereifriger Jungkapitalist noch unfähiger Altstalinist. Er reibt sich auf an seinem Posten. Und wenn IG Chemie und Betriebsrat zu einer Protestdemo gegen die Verschleppungstaktik der Treuhand aufrufen, steht auch Saalbach mit im Pulk der plakateschwingenden Protestler. Auch wenn er weiß, was die anderen erst ahnen: Viel Sinn hat es nicht. Saalbach hat dennoch den Versuch gemacht vorzuschlagen, die Treuhand solle ein Strukturanpassungskonzept für die gesamte Region in Auftrag geben. Und eine Idee hat er auch schon. Eine Pipeline solle von Gelsenkirchen nach Schkopau gebaut, von da aus der Anschluß an Leuna, Böhlen und sogar die CSFR realisiert werden. Die Rohstoffversorgung für das mitteldeutsche Chemierevier wäre auch nach dem Abschied von der Braunkohle gesichert und die Chancen für den Erhalt der Standorte würden sich beträchtlich erhöhen. Zwei Milliarden würde dieser Rettungsanker, genannt Erdölverbund, kosten: „Soviel müßte der Treuhand der Erhalt ihres Eigentums doch eingetlich wert sein“, spekuliert Karl-Heinz Saalbach.
In Bonn und Berlin aber scheint man das anders zu sehen. „Die Unternehmen“, heißt es da, „müssen sich einfach von der Vorstellung trennen, man könne ,im Block‘ das Klassenziel erreichen.“ Begreiflich gemacht wird das den Verantwortlichen derzeit mit der Futtertrogmethode.
Wenn Geld kommen soll, müssen Leute purzeln
Geld zum Überleben — täglich rund eine Million — gibt es nur gegen die Zusage zu schnellerem Personalabbau. Was nützen da noch Proteste der Gewerkschafter und Betriebsräte; die Einwände, ohne einen langsamen, sozial verträglichen, abgefederten Arbeitsplatzabbau und die gleichzeitige Schaffung neuer Arbeitsplätze könne aus dem gesamten Süden Sachsen-Anhalts ein Armenhaus werden? Oder das Argument, hektisches, übereiltes Vorgehen wie das der Treuhand gefährde hart errungene Marktpositionen?
Es entscheiden die wirtschaftlichen Interessen des Augenblicks. Vielleicht auch die der Veba-Tochter Hüls AG, deren Vorstand seit Monaten nicht müde wird, die enger und immer enger werdende Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Schwesterwerk in Schkopau zu beschwören. Geld oder gar Übernahmeangebote allerdings sind bisher an der Saale nicht angekommen. Und mit den beiden Hüls-Direktoren Krauch und Ache, schwant inzwischen so manchem auf der Arbeitnehmerbank des Buna-Aufsichtsrates, hat man sich zwei mächtige Läuse in den eigenen Aufsichtsratspelz gesetzt. Denn deren Interesse Nummer 1 ist immer noch Hüls, Hüls, Hüls — in dieser Reihenfolge. Und nicht der zumindest potentielle Konkurrent Buna.
Es wird also kommen, wie es von Landesregierung bis Buna-Boss alle erwarten, während pro forma noch heftig über die „Erhaltung des Raumes Halle-Merseburg als Chemiestandort“ diskutiert wird. Nicht entweder-oder ist die Frage, sondern sowohl-als auch: Es wird sicherlich nicht alles abgewickelt werden, kaputtgehen, verschwinden. Doch es wird weitaus weniger bleiben, als mancher heute noch hofft. Von den momentan als sicher gehandelten Buna-Arbeitsplätzen vielleicht 4.000, vielleicht auch bloß 3.000. Glückliche allesamt, die in den rentablen Filetstücken der Buna-Werke weiterarbeiten können. Dann allerdings schon als Angestellte des Tochterunternehmens irgendeines Chemiemultis.
Denn wie heißt es bei Rohwedder: Privatisieren vor Sanieren. Was wohl nichts anderes heißt, als wie wir schon unter Erich wußten: Privat geht vor Katastrophe.
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