■ Porträt: Rohit und Veneet aus Indien
Neu Delhi (taz) – Rohit und Veneet Oberoi sind Bluter. Aus Angst vor Verletzungen haben die beiden Brüder ihr ganzes Leben zu Hause verbracht; die Mutter gab ihnen Schulstunden, die paar Freunde spielten mit ihnen in der kleinen Mietwohnung in Delhi. Die einzige Unterbrechung waren die Besuche im nahegelegenen Armee-Spital, wo den beiden regelmäßig das Blut gewaschen wurde.
Für Rohit nahmen diese Besuche im April 1989 ein jähes Ende: die Ärzte hatten festgestellt, daß er mit HIV angesteckt worden war. Und obwohl sie es gewesen waren, die ihm das verseuchte Blut gespritzt hatten, wurde ihm bedeutet, sich fortan anderswo behandeln zu lassen. Sein Bruder kam weiterhin auf die Station, bis auch bei ihm, ein Jahr später und obwohl die Ansteckungsgefahr inzwischen bekannt war, der HIV-Test positiv ausfiel.
Die relative Isolation der zwei Brüder war nichts gegen das, was nun kam. Nachbarn und Freunde zogen sich vollständig zurück, Gerüchte kursierten, wonach die schmächtigen jungen Männer die Krankheit durch „dubiose“ sexuelle Kontakte aufgelesen hätten. Wenn die Mutter Medikamente einkaufte, gingen ihr die Leute aus dem Weg, dem Vater verweigerten die Arbeitskollegen auch mal den Handschlag. Doch damit hat die Familie gelernt zu leben.
Womit sie überhaupt nicht gerechnet hatte, war, daß ihnen auch das Personal auf der Aids- Station des „All India Institue of Medical Sciences“ (AIIMS) mit Mißtrauen begegnete. „Es weigerte sich, Diagnosen zu stellen oder uns einzuweisen; vielmehr wurde uns gesagt, wir sollten uns doch gegenseitig behandeln.“
Der Zorn auf das staatliche Gesundheitssystem hält die beiden Brüder am Leben. Für sie ist der Staat verantwortlich an ihrem Schicksal, aber dieser weigert sich, bei der Beschaffung und Finanzierung der Medikamente behilflich zu sein. Seit zwei Jahren ist der Lebensinhalt der Familie die tägliche Sorge, genügend Geld zusammenzukratzen, um die teuren Medikamente kaufen zu können. „Wenn mein Bruder einen Anfall von Meningitis hat, braucht er unbedingt Fluconazol, sonst kann die Entzündung fatal sein. Das Medikament kostet Tausende von Rupien und muß auf irgendeinem Weg aus dem Ausland beschafft werden“, sagt Rohit, dessen eigene Medikamente um die 20.000 Rupien pro Monat kosten. Das entsprach fünf Monatslöhnen seines Vaters, bevor dieser in Pension ging. Indien kennt weder eine staatliche noch eine private Krankenversicherung, und die Oberois sind gezwungen, wo immer es geht, um Geld zu betteln.
Ein Fünftel der HIV-Infizierten in Indien haben sich durch verseuchte Blutpräparate angesteckt. Die Oberoi-Brüder haben versucht, mit Freunden eine Gruppe von HIV-Patienten zu bilden. Doch trotz Appellen in Zeitungen hat sich praktisch niemand gemeldet, selbst unter den 300 Blutern in Delhi nicht, obwohl 24 von ihnen HIV-infiziert sind. Aids ist noch immer ein großes Tabu. Aus Angst vor Ächtung ziehen sich viele HIV-Infizierte völlig zurück. Bernard Imhasly
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