: Rodeln im Treibhaus?
Einige Anmerkungen zu Winterurlaub und Klimalollaps ■ vom Meteorologen Cletus Ossing
Von wegen „zwoa Brettln, a g'fügiger Schnee, juchhe!“: Schneeflöckchen, Weißröckchen kam die letzten Jahre nur selten geschneit, die teuren Ski blieben auf dem Autodach, der ebenso kostspielige Dreß seinerseits konnte zwar benutzt werden, aber Aprés-Ski wäre die falsche Bezeichnung, weil „aprés“ ein entsprechendes „Vorher“ voraussetzt. Seit drei Jahren fehlt der Schnee in den touristisch erschlossenen Regionen, dafür weht winters häufiger mal das, was meteorologisch „Jahrhundertsturm“ genannt wird. Damit soll ausgedrückt werden, daß ein solches Ereignis größenordnungsmäßig einmal pro Säkulum passieren sollte. Dem letzten Winter allerdings war das egal, er schickte gleich drei Sturmtiefs der Sonderklasse über die Nordsee, die gelichteten Harzwälder und die angeknacksten Waldregionen Frankens weg, um Kleinholz aus dem Waldsterben zu machen.
Nein, keine Spekulation, ob das schon die Klimakatastrophe ist; wenn der nächste Winter kalt werden sollte, werden sowieso alle Abwiegler um so lauter „Entwarnung!“ schreien. Die dauernd produzierten Horrorgemälde von sich ausbreitenden Wüsten in Mitteleuropa, abschmelzenden Polkappen, überschwemmten norddeutschen Tiefebenen und schneefreien Gebirgen haben im übrigen bisher keineswegs den agitatorischen Zweck erfüllt, den ihre Propheten beabsichtigten. Im Gegenteil haben sie eher zur Gewöhnung an die Sensation geführt, unter anderem auch wegen der Falschheit der Aussage. Ein Beispiel: das kassandrierte Abschmelzen der antarktischen Eiskappe ist eher unwahrscheinlich, weil der Temperaturanstieg zu mehr Niederschlag am Südpol führen dürfte. Und dieser Niederschlag fällt dort in der Form von – Schnee. Ein Ansteigen des Meeresspiegels käme vielmehr durch die thermische Ausdehnung der sich erwärmenden Ozeane zustande, wobei das „Wieviel“ noch sehr spekulativ ist.
Waren die warmen Winter jetzt anormal? Zunächst mal waren sie bei uns überdurchschnittlich warm, woanders wurden durchaus auch Tiefsttemperaturen gemeldet. Es ist eine irrige Annahme, daß die Erwärmung überall gleichmäßig vor sich gehen wird. Eine Erhöhung des (raum-zeitlichen) Temperaturmittels der Atmosphäre kann regional Abkühlung bedeuten, wenn anderswo dafür die Temperatur überproportional ansteigt. Die ungleiche Verteilung der globalen Landmasse und deren verschiedenartige Oberfläche verursachen dabei eine Verschärfung der Temperaturunterschiede; das wiederum führt im Mittel zu höheren Windgeschwindigkeiten. Andererseits deuten die neueren Klimamodelle auf eine Abschwächung des Temperaturgefälles zwischen Nord und Süd hin, was der Orkanbildung eher hinderlich ist. Beide Effekte wirken gleichzeitig, welche Resultante dann letzlich an einem bestimmten Ort, z.B. der jetzt großdeutschen Bundesrepublik, herauskommt, kann kein zukunftsforschender Klimatologe derzeit sagen. Fazit: wo was wann passieren wird,
Der sowjetische Klimaforscher Budyko findet den anthropogenen Treibhauseffekt sogar ganz nützlich, weil dann selbst unwirtliche Regionen wie Sibirien oder Alaska (wo es noch reichlich Schnee gibt) für Ackerbau und Viehzucht zugänglich würden. Nicht ganz so schnoddrig, dafür aber im Sinne der US-Regierung argumentiert der amerikanische Klimatologe White, der die Gefahr herunterspielt: Nichts Genaues weiß man nicht, erst mal weiter forschen, und gegebenenfalls müssen wir halt ein wenig zusammenrücken. Die Mehrzahl der Klimaforschenden ist allerdings ernsthaft besorgt, unter anderem natürlich auch wegen der Auspuffabgase, die ihren gehörigen Teil zum Klimakollaps beitragen, z.B. wenn man mit dem Auto in den Winterurlaub fährt.
Den alpinen Regionen sollte eigentlich der flaue Winter gut bekommen, können doch die Brettl-Benutzer nicht fahren, also auch nichts ruinieren. Eigentlich. Aber: lokal können Menschen doch das Wetter machen; da wird eine Schneekanone an den Hang gestellt und schon kann der Flachländler am steilen Hang ganz freiwillig auf den Beinbruch zurutschen. Der Kunstschnee sei nicht schädlich, weil er aus reinem Wasser bestehe, heißt es. Diese behauptete Schadensfreiheit ist natürlich Unsinn, weil die dünne Kunstschneeschicht noch mehr als eine ordentliche Lage Schnee durch Tausende von Brettern pro Tag zu Eis gestampft wird, an dem der letzte Rest von Hangbewuchs festfriert. Rutscht der Eisschnee weg, so auch der Bewuchs mitsamt Wurzelwerk, Frost und Wasser tragen zur Erosion des Bodenrestes bei.
Und die Planierraupe, die im Auftrag der Gemeindeverwaltung den Hang skigerecht planiert. Der schneefreie Winter macht's möglich: mit der Bahn rauf zum Gornergrat und dort gucken anstatt talwärts zu wedeln. Daß die Berge ohne Schnee „richtig unheimlich“ wirken, idiomt es schwäbisch an mein Ohr. Richtig unheimlich in der Tat ist die breite, graue Schotterbahn, die runter in's Tal von Zermatt führt. Hier ist nichts mehr zu retten, außer durch ein Ski-Verbot. Und viel Schnee, der unberührt bis zum Frühjahr durch den ausgedünnten Ozonschleier die Sterne anfunkeln kann. Cletus Ossing
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