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Rockkonzert in Minsk mit tödlichem Ausgang

■ Bei einer Massenpanik in einer U-Bahn-Station kommen im Zentrum der weißrussischen Hauptstadt mindestens 54 Menschen zu Tode. Die Regierung beruft eine Krisensitzung ein

Berlin (taz) – Der Besuch eines Open-air-Rockkonzertes in der weißrussischen Hauptstadt Minsk endete am Sonntag abend für mindestens 54 Menschen tödlich. Die Tragödie ereignete sich, als wegen eines plötzlich einsetzenden Gewitters und Hagelschauern Hunderte von Konzertbesuchern panisch in die U-Bahn-Station Njamiga in der Nähe des Sportpalastes drängten, um dort Schutz vor dem Unwetter zu suchen.

Dabei wurden Dutzenden junger Frauen ihre hohen Absätze zum Verhängnis: Sie stolperten, kamen zu Fall und wurden von den nachdrückenden Menschenmassen totgetreten, oder sie erstickten. „Die Menschen stürzten sich wie wahnsinnig in die Unterführung. Da gab es kein Entkommen mehr“, sagte ein Mann. Andere Augenzeugen berichteten, daß die Mehrzahl der 2.500 Besucher, die später in die U-Bahn-Station strömten, angetrunken gewesen sei. Eine Brauerei hatte während des Konzertes zu Werbezwecken Bier ausgeschenkt.

Unter den Opfern seien 42 Frauen unter 17 Jahren, teilte Weißrußlands Innenminister Juri Siwakow in den staatlichen Medien mit, die erst mit Verzögerung von dem Unglück berichteten. Auch zwei Fahrgäste auf dem Weg aus der Station sowie zwei Milizionäre, die versucht hätten, die panischen Menschen zurückzudrängen, seien ums Leben gekommen. In den ersten Meldungen war noch von 17 Toten die Rede gewesen. Deren Zahl könne sich noch erhöhen, so Siwakow, da gestern mittag immer noch 37 Schwerverletzte in Lebensgefahr schwebten.

Gestern morgen besuchte auchStaatspräsident Alexander Lukaschenko den Unglücksort. „Es ist schwer zu sagen, was passiert ist“, kommentierte der Staatslenker mit der ihm eigenen luziden Intelligenz. Es handele sich um die schlimmste Tragödie, die Weißrußland je erlebt habe. Den 150 eingesetzten Polizisten sei aber kein Vorwurf zu machen, sagte Lukaschenko.

Das sehen einige anders. Ein Korrespondent der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza berichtete, daß die Polizei erst eine Stunde nach der Katastrophe den Unglücksort absperrte und erst dann Dutzende von Krankenwagen der „Schnellen medizinischen Hilfe“ an der U-Bahn-Station eintrafen.

Die Regierung kam gestern mittag zu einer Krisensitzung zusammen. Außerdem wurde eine zweitägige Staatstrauer angeordnet. Die elektronischen Medien setzten ihre Unterhaltungsprogramme aus und schalteten auf Trauermusik um. Rußlands Präsident Boris Jelzin sprach den Hinterbliebenen in einem Telegramm sein Beileid aus. „Die Menschen hier stehen unter Schock“, sagte Irina, Mitarbeiterin der Zeitung Femida Nova. „So etwas hat es hier noch nie gegeben.“ Barbara Oertel

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