Rockfestival in Roskilde: Kein Risiko, kein Spaß
Genug Sicherheitsbrimborium: In Roskilde wurden Zelte wegen Überfüllung geschlossen, obwohl noch Platz war. Ansonsten: Neil Young war super.
Dosenbier in Roskilde? Noch vor Jahren war die Dose in Dänemark verboten, jetzt hat sie sogar auf dem so sehr um seine Umweltbilanz besorgten Festival die Pfandflasche auch auf dem Zeltgelände verdrängt. Den St.-Pauli-Fans, die am Abend vor Festivalstart bei ihrer traditionellen Party den halben Trailerpark mit AC/DC versorgen, kann es egal sein, sie haben Kistenweise Flaschen-Astra gebunkert.
Das Dosending wäre woanders Nebensache, hier zerstört es gleich zu Anfang die letzten Illusionen vom ach so fortschrittlichen kleinen Dänemark. In den Siebzigern wegen Anarcho-Christiania und Windrädern zum Kuba Europas hochstilisiert, das heute mit fremdenfeindlicher Rechtsregierung und Irakkriegsteilnahme glücklich ist, solang die wenigen Restmoslems sich über Karikaturen aufregen. Die Romafrage hat das Festival übrigens auf ganz eigene Art angegangen: Den Kids, die als Pfandsammler unterwegs waren, hat man Sozialarbeiter geschickt und ihnen die Kinderarbeit zum eigenen Schutz verboten. Komisch, bis in die Neunziger sammelten blonde Dänenkinder unbehelligt Flaschen.
Die Crowd wirkt sowieso merkwürdig ungemischt, so gar nicht Kreuzberg, eher wie in ein Heteroeinheitsweiß verpackt. Was bei den Wikingerdorfschönheiten ohne Regenjacken, gern im Bikinoberteil zum Gummistiefel vom letzten Jahr, seinen Charme hatte. So viel zum Wetter. Regen gabs nur bei Bonnie "Prince" Billy, Hot Chip und Jay-Z. Was dem pissegetränkten Randgrün richtig guttat.
Seit 2000 und den neun Toten bei Pearl Jam versucht sich das Festival besonders soft zu gerieren. "Take care of each other" steht auf dem Display und "No Crowd Surfing" - sogar bei so grundharmlosen Acts wie Duffy. Das Ampelsystem vor den großen Bühnen lässt nur begrenzt Leute nach vorn. Ekstase sieht anders aus. Ohne es bekannt zu geben, hat man vor der Orange Bühne Glaskugeln mit Videoüberwachung eingeführt. Sogar bei Notwist wurde das Zelt wegen Überfüllung gesperrt, dabei war es drin gemütlich. Leider bemerkte keiner den kaputten Gitarrenverstärker, was schade um das heftige Gearbeite war.
Die Techniker sind in Roskilde Perfektionisten. Alles beginnt pünktlich, endet aber oft auch nach exakt einer Stunde mit einem Ansager-Clown, der Musikern und Fans "tuuse tak" (tausend Dank) sagt. Unter den Jobs, die die über 20.000 Volunteers verrichten, wäre die Autobahnbrückenbewachung für mich der größte Horror. Es gibt aber auch Edelhelfer, die sechs Stunden täglich nur Musikerklos putzen und so die 240 Euro Eintritt für die 180 Bands sparen.
Früher gab sich Roskilde gern explizit politisch, jetzt soll man das "Orange Feeling" kriegen. Wie günstig, dass die Traditions-Farbe inzwischen von der Ukraine bis zur CDU für Widerstand steht. So sollte jeder sich was Oranges anziehen beim traditionellen Wettlauf zur Öffnung der Tore. Fast beliebig diesmal das Motto der Kampagne. Die Überschüsse des Non-Profit-Festivals erhält "Human to Human. FairPhone - fair Future". Eine Kampagne für faire Arbeitsbedingungen im Kongo. Viel geholfen wäre schon, wenn die Wikingerkids mal ein bisschen weniger smsen würden.
Oder bei Neil Young leiser telefonieren, damit man ihn auch noch bei Akustikset hören könnte. Young, der Hippie mit dem Hybridantrieb, ließ gut aufgelegt zu jedem Song ein Gemälde aufstellen, am Ende in bester Gitarrenzerhacklaune, und er adelte das Festival: "Youre the best festival in the world."
Gefährlich für Selbstbildkontrolleure sind die neuen, hochauflösenden Videoleinwände. Als Rob Halford von Judas Priest mit großer Handbewegung die Leute vom Plörrebierstand zu sich rüberwinkte, sah er in seinem Lederfransenkostüm aus wie ein Reeperbahnbouncer, der versucht seinen Puff zu füllen. Bei seinem Kollegen von Slayer - deren Metal leider wenig furchterregend war - sah man als Video-Super-GAU deutlich SS-Runen und passende Totenköpfe auf dem Gitarrenhals. Viel Spaß bei Deutschlandkonzerten, Slayer! Irgendwie ungesund das Gesicht von Nick Cave, der mit Grinderman zu wenig krachte und nur überzeugte, als er jammernd seinen "No Pussy Blues" vortrug. Den hätte er mal Lady Saw vorsingen sollen, die ihr "vaginatoy" postfemininistisch nur superreichen Typen teilvermieten will.
Neben Emoschrott wie Radiohead, Goldfrapp, Duffy gabs den Soulsearcher Solomon Burke mit seinem roten Königsthron mit Stirnwischservice der Sängerin und die coolen alten Norweger-Säcke von Motorpsycho, die mich um vier Uhr früh wach schrubbten. Insgesamt war Roskilde dieses Jahr aber zu lasch. Nächstes Jahr fahren wir mal nach Budapest zum Sziget, da sollen 400.000 Irre sein.
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