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Robert Mießner Ausgehen und RumstehenBierbankkino, Konzert des wiederbelebten Expanders und LSD-Blätterrauschen

Ein Drittel des Wochenendes im Funkloch verbracht, Freude gehabt: Freitag früh, gerade hatte ich dem korallen- und purpurroten Efeu vor meinem Schlafzimmerfenster einen Morgengruß entboten, stellte ich fest, dass mein Smartphone auf keinerlei taktile Reize mehr reagiert. Wahrscheinlich der Akku, bedeutete mir am Nachmittag der Elektrodoktor; ich möge in einer Stunde zurückkommen.

Um die Zeit zu überbrücken, ging ich in die Wörther Straße, setzte mich mit einem Bier vor die Schankwirtschaft Baiz und lenkte meine Blicke auf die Schönhauser Allee. Zwei weißbrotdeutsche Kinder liefen in Richtung Kulturbrauerei. Auf Handy hörten sie einen Song des Rappers 18 Karat, und der Reim geht so: „Dieses Leben ist ein Test / Bist du für oder gegen das Gesetz? / Schneller Aufstieg, schneller Absprung /Schnelles Geld, aber dann die Verhaftung.“ Gerade, da ich den Youngstern einen Goethe­blaster wünschen wollte, kamen ihnen zwei dunkle, circa gleichaltrige Südländer entgegen. Sie schüttelten nur die Köpfe und gingen weiter Richtung Rosa-Luxemburg-Platz. Kurz darauf verließ ich das Bierbankkino und konnte auf meinem Handy wieder die Lyrikzeitung lesen. Sie war gut, fuhr ich doch zwei U-Bahn-Stationen zu weit.

Zum Expander-des-Fortschritts-Konzert am Sonnabend im Kreuzberger Westgermany nahm mich Kumpel Henryk Gericke im Auto mit. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich eine sperrige Kapelle aus der späten DDR, die nun ihr erstes Konzert seit Jahrzehnten gab. Gegründet 1986 in Ostberlin, spielte der Expander in der Liga, welcher offiziell das verdruckste Etikett „Die anderen Bands“ angeheftet worden war. Der Expander war freilich anders unter anderen, bezog sich weniger auf Clash und Ton Steine Scherben als vielmehr auf Cassiber und Die Tödliche Doris. Das Quintett machte Experimentalchansons für Bücherwürmer, vertonte Brecht, Heiner Müller, Heine und Verse aus der Edda. Ich fand das grandios. Nach drei Tapes und zwei LPs, eine im Sommer 1989, noch vor dem Mauerfall, bei Chris Cutlers Recommended Records in London, schlief der Expander in den frühen Neunzigern ein. Beim wiederbelebten Expander spielen die Mitbegründer Susanne Binas-Preisendörfer und Eckehard Binas, beide mittlerweile gestandene Akademiker, mit drei sehr jungen Musikern, darunter Binas’ Sohn Leo am Schlagzeug.

Robust rocken

Zu hören war ein geschwindes Set aus alten Expander-Songs. Sie taten das weniger kunstlied- und hörspielhaft, als manch Fan das vielleicht erwartet hatte. Die neue Version von Expander des Fortschritts rockt robust, auch wenn sie dabei beherzt ausbüchst. Eingeladen, aber nicht gekommen, war übrigens der Expander-Songschreiber und Gitarrist Mario Persch. Seine bemerkenswerten Texte erschienen 1990 in der Lyrikanthologie „Fluchtfreuden Bierdurst“, ihr Titel zitiert einen seiner Expander-Songs. In dem Buch finden sich auch frühe Gedichte von Lutz Seiler, dessen DDR-Aussteigerroman „Kruso“ nun verfilmt wird. Ich sollte ihn vorher endlich lesen und hätte damit am Sonntag beginnen können, doch zog mich der plötzlich und unerwartet einsetzende Spätsommer vor die Tür. Das Blättertreiben war pures LSD. Es könnte passieren, dass ich das nächste Mal auf Flugmodus schalte.

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