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Robert AltmanTäuschungsmanöver

Kommentar von Andreas Busche

Ein versöhnter, rühmlicher Abschied: Robert Altmans letzter Film "Last Radio Show". Kulturpessimistisch, trotz seines bittersüßen Beiklangs.

Woody Harrelson und John C. Reilly im Duett Bild: Promo

E ines konnte man Robert Altman nie vorwerfen, nämlich dass er eine sentimentale Ader gehabt hätte. Zu groß war sein Misstrauen gegenüber dem, was soziale Gemeinschaften oberflächlich zusammenhielt: Glamour, Macht, bürgerliche Ideologien, politische Gesinnung, selbst der Glaube an die Vernunft. Darin blieb Altman bis zum Schluss ein Pessimist. Seine Ensemblefilme untersuchten in ihrer dissonanten Vielstimmigkeit jene Kräfte und heimlichen Übereinkünfte, die als sozialer Kitt für die von ihm porträtierten Milieus und Gesellschaften dienten. Altmans kultivierter Zynismus wurde zu einem Markenzeichen, aber das Fehlen einer autoritären Stimme bewahrte seine Filme auch vor den Irrtümern festgefahrener Erfahrungsbilder. Jeder Missklang zeigte in Altmans Filmen zugleich neue Möglichkeiten und Wege auf, und wenn bloß in Form negativer Utopien.

Als "A Prairie Home Companion" bei der Berlinale 2006 seine Premiere erlebte, wurde er von der Kritik recht gefällig aufgenommen. Altman sei im Alter milde geworden, lautete das einhellige Urteil. Ein halbes Jahr später, "A Prairie Home Companion" war in den USA längst angelaufen, starb Altman im Alter von 81 Jahren, und plötzlich stand dieser für ihn so untypische Film mit seinem ganz und gar unpraktischen Hang zur nostalgischen Verklärung als letztes Vermächtnis im Raum. Eine glückliche Fügung ist es, dass Altmans Film erst postum unter dem etwas missverständlichen Titel "Robert Altmans Last Radio Show" in die deutschen Kinos kommt. Denn Altmans letzter Film ist in vielerlei Hinsicht ein rühmlicher Abschied: kulturpessimistisch wie eh und je, aber mit einem bittersüßen Beiklang; versöhnlich, ohne den falschen Leuten Zugeständnisse zu machen; konservativ in seiner Kenntnis der bedeutenden Dinge im Leben, für die es sich morgens aufzustehen lohnt.

Countrymusic gehört zu diesen Dingen, allerdings nicht die Sorten, die Altman in "Nashville" noch genüsslich in den Dreck gezogen hat. In "Nashville" war ihm nichts heilig; jede menschliche Regung musste an diesem grotesken Ort zur Farce verkommen. Es war Altmans pessimistischster Film, steckengeblieben in einer leeren Bewegung, weil selbst die traurigen Balladen über Einsamkeit und Sehnsucht von kostümierten Clowns gesungen wurden. Dreißig Jahre später hat Altman mit "A Prairie Home Companion" nun doch sein Herz für Country entdeckt - in der "Old Timey Music" des amerikanischen Mittelwestens, in der noch ein Rest kommunitaristischen Gemeinsinns überlebt hat. Die Cowboysongs in "A Prairie Home Companion" fungieren als Stimmen aus der Vergangenheit; nicht im Sinne einer Oral History, sondern als nostalgische Projektion. Nostalgie steht im amerikanischen Kino gerade wieder hoch im Kurs und "A Prairie Home Companion" bedient sich ihrer schamlos. Nur sollte man von Altman kein tröstendes Schulterklopfen erwarten. Er stellt solchen eskapistischen Affekten lieber die Kraft des Performativen entgegen.

In Garrison Keillor hat Altman einen Verbündeten gefunden. Keillor produziert seit über dreißig Jahren eine erfolgreiche Radiosendung, die das Vergangene, das Authentische und die Kleinstadtgemeinschaft genauso beschwört, wie sie die Eigenarten von Kleinstadt-Amerika durch den Kakao zieht. "A Prairie Home Companion" basiert auf der gleichnamigen Radioshow Keillors und auf dessen Drehbuch. Lake Wobegon heißt das fiktive Städtchen in Minnesota, aus dem Keillor, ein Master of Ceremony alter Schule, jede Woche Anekdoten zum Besten gibt. Hier scheint die Zeit in den Vierzigerjahren stehengeblieben zu sein. Die Werbespots, von Keillor mit musikalischer Unterstützung seiner Hausband vorgetragen, preisen fiktive Artikel aus lokaler Produktion an, und die Figuren sind so kauzig wie Keillor selbst, dessen breiter Akzent klingt, als würde er jeden Vokal erst zerkauen, bevor er ihm über die Lippen kommt. Auf den ersten Blick scheinen Altman und Keillor, der sich im Film selbst spielt, eine unmögliche Paarung. Doch die beiden haben eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und sind außerdem großartige Geschichtenerzähler.

Die Betulichkeit ist ein elegantes Täuschungsmanöver. Denn ganz so billig ist Nostalgie bei Altman nicht zu haben. Die Sehnsucht nach dem Vergangenen führt in "A Prairie Home Companion" immer wieder nur Vergänglichkeit vor Augen. Der Tod ist im Film allgegenwärtig: als Abschied von der Geschichte und von alten Freunden, im Aussterben einer überlieferten Kultur, im Ende familiärer Enklaven und in der Figur eines blonden Todesengels, der durch den Film geistert. Die traurige Schlusspointe, könnte man sagen, hat Altman schließlich selbst gesetzt.

Auch Keillor scheint das Spiel mit der Vergänglichkeit weidlich auszukosten. "A Prairie Home Companion" schildert die letzte Ausstrahlung seiner gleichnamigen Radioshow. Ein texanischer Medienkonzern hat das Fitzgerald Theater in St. Pauls, Minnesota, aus dem Keillor seit 1974 sendet, aufgekauft und "A Prairie Home Companion" für immer gecancelt. Wehmütig bereitet sich Keillors Truppe auf die letzte Sendung vor. Resignation und Existenzängste machen sich unter den Mitarbeitern breit, von denen viele von Beginn an dabei sind. Wie die Garderobenfrau, die der Crew seit dreißig Jahren die Brote schmiert. Oder der alte Cowboy Chuck Akers, dessen Herz mitten in der Show einfach zu schlagen aufhört. Altman hat auf Leute aus der Show zurückgegriffen, fiktive wie echte. Die Musiker natürlich, und Tom Keith, Keillors Mann für handgemachte Geräuscheffekte. Oder den Privatschnüffler Guy Noir, eine Schöpfung Keillors. In "A Prairie Home Companion" übernimmt er die Rolle des nicht-wissenden Erzählers: ein Westentaschen-Marlowe, der sich ständig selbst im Weg steht. Kevin Kline hat solche Figuren schon oft gespielt, aber selten besser.

Altmans Gemeinschaftssinn und das Todesmotiv fügen sich in "A Prairie Home Companion" zu einer interessanten Dialektik, die seinen Film jeden Verdachts romantischer Verklärung enthebt. Keillor wirkt dem persönlich entgegen, wenn er nach der Nachricht vom Tod Chucks darauf beharrt, die Sendung bis zum Ende durchzuziehen. "Ich halte nichts von Grabreden", meint er einmal. Auf die Frage, ob er nicht auch wolle, dass die Menschen sich einmal an ihn erinnern, entgegnet er: "Ich will nicht, dass ihnen jemand vorschreibt, sich an mich zu erinnern." Die Erinnerungsleistung, die Altman hier anstrebt, hat nichts vom konservierenden Gestus bürgerlicher Kultur. Es geht ihm weder um identitäre Selbstvergewisserung noch um verzagte Larmoyanz - sondern die Wertschätzung eines alten Wissens über kulturelle Praktiken. Keillors Live-Radio hat diese ganz besondere Qualität, die Altman schon in seinem sträflich unterschätzten Film "The Company" fasziniert hat: Es verfügt über ein soziales Gewebe, in dem die Performanz kultureller Produktion noch im Spiel zwischenmenschlicher Dynamiken aufgewertet wird. Wie in seinem Film über das Chicagoer Joffrey Ballet hat Altman nach anderen Möglichkeiten der Performance gesucht, jenseits der strengen Formen des narrativen Films.

Als Homage an die Hochzeit des Radios bleibt "A Prairie Home Companion" auch stilistisch dem alten Format mit seinen halb-improvisierten Comedy-Einlagen und Countrysongs treu. Altmans Film lebt von der Verve seiner Darsteller; ohne sie wäre "A Prairie Home Companion" nicht mehr als eine leere Geste. In den letzten Jahren ist Altman das nicht immer gelungen. Während Ensemblefilme wie "Gosford Park" oder "Prêt-à-Porter" in ihrer panoramischen Breite eher zerrissen wirkten, ist es nun umso bemerkenswerter, wie die Vielstimmigkeit in "A Prairie Home Companion" zu harmonischer Übereinkunft findet. Meryl Streep und Lily Tomlin spielen die letzten noch lebenden Schwestern einer Musiker-Dynastie ("... wie die Carter Family, nur nicht so berühmt"). Tochter Lola (Lindsay Lohan) hat mit dieser Tradition nichts mehr am Hut, aber am Ende steht sie doch mit ihrer Mutter auf der Bühne und singt - ein Lied über Selbstmord. Die singenden Cowboys Dusty (Woody Harrelson) und Lefty (John C. Reilly) haben dagegen ein Faible für versaute Lieder und schlechte Witze. Und in all dem Trubel versucht die Aufnahmeleiterin Molly (Maya Rudolph) verzweifelt die letzte Sendung reibungslos über die Bühne zu bringen.

Ed Lachmans Kamera ist dabei ständig in Bewegung, hebt die Grenzen von Backstage und Studio, Hinter-den-Kulissen-Chaos und Inszenierung mühelos auf. Wie eine Sonde gleitet sie durch die Räume des Fitzgerald Theaters, schnappt Gespräche auf, verweilt kurz bei den Figuren und verliert sich immer wieder in den verwinkelten, schummerigen Gängen. Es sind die Bewegungen Guy Noirs, die sie imitiert. Klines Detektivfigur mit dem sinnigen Namen ist der einzige in "A Prairie Home Companion", der des Todes habhaft zu werden versucht: Der schöne Todesengel im weißen Trenchcoat (Virginia Madsen) hat es ihm angetan. Was ihm jedoch eine erotische Obsession, ist Altman eine morbide. Diese schizoide Todessemantik durchzieht den Film wie eine düstere Vorahnung, fast als hätte Altman "A Prairie Home Companion" erst mit seinem Tod abgeschlossen.

Es ist kein Grund zur Traurigkeit. In einer letzten prophetischen Anwandlung hat Altman sich bereits von seinen Fans verabschiedet, lange bevor die Schlusscredits ablaufen. "Der Tod eines alten Mannes," sagt die mysteriöse Schönheit im weißen Trench, "ist keine Tragödie. Vergebt ihm seine Unzulänglichkeiten und dankt ihm für seine Liebe." Wenn Altman einen Trost für uns bereithält, dann den, dass er in seinen Filmen weiterleben wird.

"Robert Altmans Last Radio Show". Regie: Robert Altman. Mit Meryl Streep, Tommy Lee Jones u. a. USA 2006, 103 Min

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