Rita Süssmuth über Schwarz-Gelb: "Konsens und Kompromiss sind nötig"

Bildung und Integration sollten zentrale Anliegen der Koalition sein, sagt die einstige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU). Sie fordert, mehr Frauen und Migranten in die Regierung zu holen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die CDU-Abgeordnete Maria Böhmer, die Beauftragte der Bundesregierung für Migration. Bild: dpa

taz: Frau Süssmuth, am Montag beginnen die Koalitionsverhandlungen. Wird das eine Regierung der sozialen Kälte?

Rita Süssmuth: Die Gefahr sehe ich nicht. Das war vor vier Jahren anders. Nicht nur die Bundeskanzlerin hat in dieser Zeit dazugelernt, sondern auch die FDP. Wichtig ist, dass der Staat den Zusammenhalt in der Gesellschaft erhält, das Wir-Gefühl stärkt und die Leistungslust fördert.

Steuersenkungen, Kündigungsschutz, Gesundheitsfonds: Sind das die dringlichen Themen der nächsten Jahre?

Diese Themen sind wichtig. Aber es muss deutlich werden, dass die Belange aller Bevölkerungsgruppen bedacht werden. Denken Sie an die Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz, an die alleinerziehenden Mütter oder an die Hartz-IV-Empfänger. Wenn wir weniger Geld für Transferleistungen ausgeben wollen, dann ist Bildung ein zentrales Thema.

Die Bildungskompetenz hat der Bund allerdings komplett an die Länder abgegeben.

Der Einfluss des Bundes ist gar nicht gering. Ob es die Ganztagsschulen sind, der Ausbau der Kinderbetreuung oder der Hochschulpakt - überall ist der Bund beteiligt, zumindest als Zahler.

Auf Landesebene hat sich die CDU bislang nur in Hamburg von den Grünen zu einschneidenden Reformen drängen lassen. Warum sollte es im Bund besser sein, ohne den Druck eines Koalitionspartners?

Rita Süssmuth, Jahrgang 1937, studierte Romanistik und Geschichte und promovierte in Erziehungswissenschaften. 1981 trat sie der CDU bei. In der Regierung Kohl war sie von 1985 bis 1988 Bundesministerin für Familie, Jugend und Gesundheit. Von 1988 bis 1998 leitete sie den Bundestag, im Jahr 2000 wurde sie in die Zuwanderungskommission berufen. Süssmuth engagierte sich außerdem in der Bekämpfung von Aids.

Die FDP räumt der Bildung breiten Raum ein. Aber es geht ja nicht nur um Koalitionsdruck. Der demografische Wandel zwingt zu Bildungsreformen. Das beste Beispiel sind unsere Grundschulen. In mehreren Bundesländern haben wir schon ein zweigliedriges Schulsystem. Als Erziehungswissenschaftlerin weiß ich, dass wir heterogene Lerngruppen brauchen. Wenn wir die Kinder zu früh trennen, werden die Zurückgebliebenen schwächer.

Ohne zusätzliches Geld wird es kaum gehen. Wie realistisch sind dann Steuersenkungen?

Ich sehe Steuersenkungen in großem Umfang nicht. Verbesserungen sind nötig für kleine und mittelständische Betriebe, ebenso für Familien. Steuersenkungen für alle sozialen Schichten werden nicht möglich sein.

Bildungspolitik hängt eng mit der Integrationsfrage zusammen. Die dafür zuständige Staatsministerin war in der letzten Wahlperiode kaum sichtbar.

Das sehe ich nicht so. In der letzten Wahlperiode erfolgte in der Integrationspolitik ein Durchbruch.

Allerdings eher über den Innenminister oder die Kanzlerin.

Es war wichtig, dass sich die Kanzlerin dieses Themas annahm. Sie vermittelte Migrantinnen und Migranten das Gefühl: Wir sind hier erwünscht.

Unterstützen Sie den Wunsch nach einem vollwertigen Integrationsministerium?

Derzeit gibt es Zuständigkeiten vor allem im Innenministerium, im Bildungs- und im Arbeitsressort. Diese Kompetenzen müssen wir in einem Haus bündeln. Das Wie ist Aufgabe der Koalitionspartner. Unbedingt fortzusetzen ist die Islamkonferenz.

Was muss die Regierung auf diesem Feld vor allem tun?

Bei der Integration sind wir vorangekommen, bei der Zuwanderung noch nicht. Wir können mit erweiterten Auswahlkriterien nicht warten, bis die Arbeitslosigkeit abgebaut ist oder alle Integrationsprobleme gelöst sind. Wir brauchen nicht nur Hochqualifzierte, sondern auch Auswahlverfahren für dringend benötigte Fachkräfte.

Als Erfolg der letzten Wahlperiode galt die Familienpolitik. Wird dieser Kurs fortgesetzt?

Ich sehe keine Alternative. Schon zu meiner Zeit als Ministerin haben wir über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestritten. Da ist keine Zeit zu verlieren.

Wie wichtig ist eine Frau als Bundeskanzlerin für die Frauen- und Familienpolitik?

Eine Frau als Bundeskanzlerin hat gezeigt: Wir sind auch an diesen Aufgaben zu beteiligen, und wir sind dabei nicht schlechter als Männer. Wir dürfen als Frauen aber nie vergessen, woher wir selbst kommen und wie sehr wir die Anwaltsfunktion für andere Frauen oder für Menschen in besonderen Problemlagen wahrzunehmen haben. Nicht polarisierend, sondern an der Lösung der Probleme orientiert. Konsens und Kompromiss sind nötig, damit die Auseinandersetzungen nicht auf der Straße stattfinden. Mit einer Sozialdemokratisierung, die der Kanzlerin vorgeworfen wird, hat das nichts zu tun.

Bei der Kabinettsbildung sind vor allem männliche Kandidaten im Gespräch. Werden Frauen in der neuen Regierung angemessen vertreten sein?

Mir ist momentan zu viel davon die Rede, ob wir genügend Ältere oder Jüngere im Kabinett haben werden. Von Frauen ist wenig die Rede. Da setze ich auf Angela Merkel. Sie weiß, dass Frauen nicht eo ipso beteiligt werden. Es gehört zur repräsentativen Demokratie, dass alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind. Der Bundesrepublik würde es gut anstehen, dabei auch die Migranten nicht zu vergessen.

Ein Migrant muss in der neuen Regierung vertreten sein?

Das müsste eine Selbstverständlichkeit sein.

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