: Risse am Reaktorherzen
■ Neue Defekte in einer Rohrleitung und ein Sicherheitsventil, das nicht mehr schließt: Das AKW Brunsbüttel bleibt weiterhin vom Netz Von Marco Carini
Aus der Traum vom baldigen Comeback. Der Brunsbüttler Atommeiler, wegen zahlreicher Rohrleitungs-Risse seit August 1992 stillgelegt, geht sobald nicht wieder ans Netz. Bei Montagearbeiten entdeckten die Betreiber weitere Risse in einer Leitung des Reaktorwasserreinigungssystems.
Die Wiederinbetriebnahme des Reaktors, von den Hamburgischen Electricitätswerken (HEW) für die kommenden Wochen geplant, wird sich deshalb mit Sicherheit um Monate verzögern. Denn die neuen Risse im Bereich des Druckbehälterdeckels befinden sich, laut Auskunft des für die Wiederanfahrgenehmigung zuständigen Kieler Energieministeriums, im „höchst sicherheitsrelevanten Bereich – am Herzstück des Reaktors“.
Die HEW spielen die Risse zwar mit dem Hinweis herunter, die „Vorkommnisse“ lägen „mit Stufe Null unterhalb der siebenstufigen internationalen Bewertungsskala“; doch auch sie wissen genau, welch zeitraubende Prozedur sie jetzt erwartet: Erst muß die Ursache für die erneuten Rißbildungen eindeutig geklärt werden, danach muß sich der Stromkonzern mit dem Energieministerium auf ein Reparaturkonzept einigen. Dann erst kann der Schaden beseitigt, die Reparatur anschließend genehmigt und ein Comeback in Aussicht genommen werden.
Ein Programm, das Monate in Anspruch nehmen wird. Sollte sich bei der Ursachenanalyse gar erweisen, daß die Risse nicht herstellungs- sondern betriebsbedingt sind, wird ein einfacher Rohraustausch der Kieler Aufsichtsbehörde nicht genügen. Das AKW müßte seine wohlverdiente Ruhephase wohl kaum in diesem Jahr beenden.
Besonders brisant ist, daß die Risse bei den bisherigen umfangreichen Ultraschallprüfungen übersehen worden waren. Für den energiepolitischen Sprecher der GAL, Holger Matthews, stellt sich deshalb die Frage, „ob es nicht noch weitere Risse im Brunsbüttler Rohrleitungssystem gibt, die bisher niemand entdeckt hat“. Folgt das Kieler Energieministerium dieser Sichtweise, müßte der Reaktor erneut von Kopf bis Fuß durchleuchtet werden. Für Matthews wären deshalb die Betreiber gut beraten, „nicht weiterhin Millionenbeträge einer nicht reparablen Anlage hinterherzuwerfen“.
„Nicht zu vernachlässigen“, so Klaus Kramer, Sprecher des Kieler Energieministeriums, sei zudem, daß „bei einer Vorbetriebsprüfung“ vor wenigen Tagen festgestellt wurde, „daß eines von sieben Sicherheitsventilen des Reaktordruckbehälters, deren einwandfreie Funktion für den Betrieb des Reaktors unerläßlich sind, nicht geschlossen werden konnte“. Die Zinkschicht auf den Ventilfedern war von Rost befallen.
Energieminister Claus Möller forderte die Kraftwerksbetreiber deshalb „zu einer umfangreichen Stellungnahme auf“ und ordnete zudem „eine behördliche Inspektion“ an, die zusammen mit dem TÜV Nord durchgeführt werden soll. Solange wird Brunsbüttel sich weiter mit der Bezeichnung „atomfreie Zone“ schmücken dürfen.
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