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Ringen um Gewaltlosigkeit

Mit einem Gottesdienst in der Gedächtniskirche eröffnete gestern der Ökumenische Rat der Kirchen die „Dekade zur Überwindung von Gewalt“. Nobelpreisträger Ramos-Horta forderte Schuldenerlass

von PHILIPP GESSLER

Genau das hätte nicht passieren dürfen: Ein dicklicher Mann sprang vor den Altar der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, verkündete, dass man sich hier einem „falschen Frieden“ hingebe, verwies auf die Offenbarung des Johannes – und wurde von gleich drei Verantwortlichen, die flugs herbeisprangen, zum Ausgang gedrängt. Offensichtlich mit sanfter Gewalt.

Und das ist das Problem, denn in diesem Gotteshaus am Breitscheidplatz versammelten sich gestern die Delegierten von mehr als 330 Kirchen aus der ganzen Welt, um die internationale „Dekade zur Überwindung der Gewalt“ zu eröffnen. Das Anti-Gewalt-Jahrzehnt hat der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) mit Sitz in Genf ins Leben gerufen. Er vertritt rund 400 Millionen Christen vor allem protestantisch-lutherischer Tradition in etwa 100 Ländern der Welt. Seit vergangenem Montag tagen 158 Mitglieder des ÖRK-Zentralausschusses in Potsdam und ringen um ihr Verhältnis zur Gewalt und Wege zu ihrer Vermeidung.

Wie schwierig diese Themen sind, zeigte sich schon am ersten Tag der Tagung, als der Zentralausschussvorsitzende aus dem Libanon, Seine Heiligkeit Aram I. von der Armenischen Apostolischen Kirche, die Frage aufwarf, ob ein begrenzter und kontrollierter Gewalteinsatz als „letztes Mittel“ gegen Ungerechtigkeit legitim sei: Ein ordentlicher Streit ist seitdem unter den Kirchenvertretern entbrannt. Er soll mit einem Konsenspapier bis morgen beigelegt sein, wenn die Delegierten wieder auseinander gehen.

Keine leichte Aufgabe, die wohl auch himmlischen Beistands bedarf, weswegen der Gastgeber des Treffens, Bischof Wolfgang Huber von der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, zu Beginn des Festgottesdienstes vor politischer Prominenz wie etwa Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) an die Worte Jesu aus der Bergpredigt erinnerte: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes heißen.“ Christen aller Kontinente trugen sodann vielsprachig Gebete vor, die stets um das Thema kreisten: Wo wurde ich physischer oder psychischer Gewalt schuldig? Wo habe ich sie ermöglicht? Wie ist sie zu verhindern?

Tänzerisch setzte sich am Nachmittag im Haus der Kulturen der Welt das brasilianische Tanztheater „Peace to the City“ mit dem Thema Gewalt auseinander. Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta aus Osttimor sagte, Gewalt entstehe in Entwicklungsländern vor allem durch Armut und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen. Er forderte den vollständigen Erlass der Auslandsschulden für die am wenigsten entwickelten Staaten – und unterstrich damit noch einmal, was viele Kirchenvertreter auch betonten: Der Einsatz gegen Gewalt ist schwer, aber er verlangt nach konkretem Tun.

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