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Rinderbacke oder Lallbacke?

Natürlich ist Karl Wannemacher sympathischer als Michael Schumacher. Selbstverständlich ist Rolf Schmidt imposanter als Heiner Lauterbach. Keine Frage: Johannes King ist unterhaltsamer als Caroline Reiber. Aber wer kennt Wannemacher, Schmidt, King? Niemand. Da fängt das Unheil doch schon an.

Die drei Unbekannten sind Könner ihres Fachs, sie sind inspiriert, wagemutig, tolle Hechte. Sie haben nur einen Nachteil: Sie sind Köche. Sie stehen am Herd, schneiden gelegentlich sogar noch selbst die Zwiebel und lassen sich beim Wenden des Wildschweinrückens mit Fett bespritzen. Können solche Leute berühmt werden?

In Frankreich schon. Auch in Großbritannien. In Deutschland? Schwer vorstellbar, weil „schön essen gehen“ für die meisten dann doch bei 29,80 Mark aufhört. Aber: Irgendwas ist in Bewegung. Alfred „hmmmhh-lecker“ Biolek springt in die Top ten der Sellerliste, Sternekoch Johann Lafer köchelt mit eingebauter Grinsebacke im ZDF, Sternekoch Vincent Klink sendet im Südfunk, das FAZ-Magazin heuert Klaus Trebes an, am Feinschmecker-Wettbewerb „Hobbykoch des Jahres“ beteiligen sich 4.000 Menschen. Selbst die Gattin des Bundespräsidenten rät zu frischen Kräutern im Salat. Kochen wird epidemisch, und „das ist so schlecht nicht“ (Willy Brandt).

Aber Köche als richtige Topstars? Es gibt Zeichen der Hoffnung, daß eines Tages uns morgens am Kiosk nicht immer nur Tennisopa Becker anglotzt, sondern auch mal einer, der großartige Terrinen fabriziert. Berlin hat jetzt erstmals seine sechs besten „Meisterköche“ gekürt. Wie beim „Oskar“ und „Sportler des Jahres“. Das soll jedes Jahr wiederholt werden. Glänzende Idee! Die sechs Champions – unter anderem Wannemacher, Schmidt, King – haben außerdem ein sechsgängiges Menu gekocht und sich – oho! – von 200 Gästen feiern lassen. Und das in Berlin.

Die Metropole hat zehn Topadressen für Spitzengastronomie, macht 400 Plätze pro Abend für fünf Millionen Berliner (inkl. Speckgürtel). Trotzdem werden sie nicht voll. Mancher „Meisterkoch“ kämpft um die Existenz. Einfach mal 200 Mark nicht für Fummel, Verstärker, Computer oder Alufelge, sondern für ein einziges Essen auszugeben – das scheint in der Hauptstadt unmöglich.

Köche als Stars? Wenn schon Stars, dann Köche! Solange eine Lallbacke wie Gottschalk bekannter ist als eine sanft geschmorte Rinderbacke von Wannemacher & Co., solange herrscht Reformstau in diesem Land. Manfred Kriener

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