: Rin und raus ausse Krise
■ Gewonnen: Werder – HSV 3:1 / Norddeutsche Stimmungsschwankungen nach einem rasanten Nordderby – die einen „unten drin“, die anderen „oben dran“
Bloß nicht in der ersten Reihe sitzen - nichts wie weg von den Mikrophonen und Kameras! Da konnte der freundliche Ordner im Presseraum des Bremer Weserstadions dem mürrisch dreinblickenden Herrn im mausgrauen Zwirn einen noch so guten Sitzplatz anbieten: Der winkte nur knapp ab, verkrümelte sich in die letzte, die allerletzte Reihe und zog sich in seinen Rollkragenpullover zurück. Man konnte ihn verstehen, Werner Hackmann, Vorstandsvorsitzender des HSV: Seine Truppe hatte gerade von elf Pflichtspielen das zehnte vergeigt, mit 1:3, und das auch noch ausgerechnet beim ewigen Rivalen Werder, schlappe 21 Ligapünktchen auf dem Konto – Abstiegskampf. Und dass nun die Diskussion um Coach Frank Pagelsdorf munter weitergehen würde, darauf konnte Hackmann wetten. Der HSV ist nun vorläufig „unten drin“, reichlich Fluchtgründe also – nichts wie weg!
Freundlich lächelnd, gänzlich entspannt und höchst auskunftsfreudig schlenderte er auf die wartende Journalistenschar zu, den Mantel locker über dem Arm, ein wenig verspätet, weil draußen doch schon die ersten Interviewwünsche abgearbeitet werden mussten. Alles easy, alles kein Problem für Werder-Sportdirektor Klaus Allofs. 3:1 gegen den HSV, der zweite Heimsieg in Folge, zum zweiten Mal hat das Pizza-Toni-Sturmduo getroffen, zum zweiten Mal nicht nur ein Sieg, sondern auch eine überzeugende Leistung. Alles Gründe für nette Plaudereien in der Öffentlichkeit – Werder ist „oben dran“.
Sie hatten es als „Schicksalsspiel“ deklariert, dieses Nordderby, hüben wie drüben, und gerade so schicksalhaft reagierten sie auch hernach. Auf der einen Seite Hackmann und sein Trainer Pagelsdorf, der eine gab Mal um Mal „Ruhe bewahren“ als Tagesparole aus, als müsste er sich selbst hypnotisieren, und der andere war sicher, „dass meine Mannschaft doch auf dieser Leistung aufbauen kann“. Und auf der anderen Seite die Herren Allofs und Schaaf, mit breiter Brust und bestens gelaunt – wobei zugegebenermaßen gerade dem Trainer derlei Gefühlsregungen außerhalb des Spielfeldes eher schwer anzumerken sind. Wenn Schaaf von einem „klasse Derby“ spricht, dann klingt das ungefähr so begeisternd wie „Vorsicht bei der Abfahrt, die Türen schließen selbsttätig“.
Dabei: Der Bremer Trainer hatte recht, sogar beide Trainer hatten recht. Es war ein klasse Derby, und tatsächlich kann selbst der geschlagene HSV auf dieser Leistung aufbauen. So frustriert die einen, so entspannt die anderen auch hinterher waren – lange war unklar, wer nach Abpfiff welche Rolle einnehmen würde. Phasenweise boten beide Teams echten Hurra-Fußball mit Chancen im Minutentakt – eben auch für die Hamburger. Die Pagelsdorf-Truppe hätte sich tatsächlich aus der Krise spielen können. Allein Heinz vergab vier-, fünfmal, Mahdavikia durfte sogar ungestört aufs Bremer Tor schießen, nur: Sie kamen eben nicht am tadellosen Bremer Keeper Rost vorbei. Einmal lochte Heinz doch ein, nachdem Barbarez ihm nett aufgelegt hatte. Doch mehr als diesen kurzzeitigen Ausgleich zum 1:1 brachte die Hamburger Angriffsabteilung eben nicht zustande.
Und genau das war wohl spielentscheidend. Die Bremer Abwehr war nicht unbedingt stabiler als ihr Hamburger Pendant, auch wenn Verlaats Rückkehr der Mannschaft reichlich mehr Sicherheit gebracht hat und Torsten Frings in Nationalmannschaftsform ist. Das Bremer Mittelfeld war auch nicht spielfreudiger als das des HSV, und so gut Werder-Keeper Rost auch hielt, richtige Patzer machte sein Gegenüber Butt auch nicht – die spielentscheidende Differenz zwischen den beiden Hanseatenteams lag in der Effektivität der Abteilung Zählbares. Mahdavikia wirbelte, Heinz rackerte, und der alte Herr Yeboah setzte zwar all seine Routine ein, es trafen aber – wie letzten Samstag – Pizarro und Ailton aus der grün-weißen Combo. Und wie! Ein traumhafter Freistoß von Pizarro, ein Ailton-Knaller gegen Elfmetertöter, und noch ein eiskalt eingelochter Konter des Peruaners – das gibt Selbstvertrauen. Und das ist es genau, was die Bremer hatten, und die Hamburger nicht. Weshalb die einen nun „oben dran“ und die anderen „unten drin“ sind.
Und schon träumt Bremen von mehr. Als HSV-Boss Hackmann drinnen im Stadion auf dem Rückzug in die Innerlichkeit war und Werder-Sportdirektor Allofs aus dem Lächeln nicht mehr rauskam – da ging draußen im Schneetreiben die Party los: „Und nächste Woche in Dortmund!“ Jochen Grabler
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