Richtungsstreit zweier Ex-Freunde: Sind Konservative die wahren Rebellen?
Links zu sein galt einmal als Ausweis fortschrittlichen Denkens, rechts als reaktionär. Inzwischen sehen das viele zu Bürgerlichen gewordene Exlinke allerdings ganz anders.
Unsere Autoren waren früher beste Freunde und politisch links. Dann wurde einer ein Bürgerlicher, der andere taz-Redakteur. Beide fragen sich, ob aus dem Verrat an einstigen Idealen wahrhaft Neues entsteht.
Pro
Neulich erreichte mich über Facebook die Zuschrift des Lesers Mick Jelnikow. „Die absolut widerwärtige Grütze, die sie regelmäßig bei Spiegel Online veröffentlichen, können Sie sich in Ihre öligen Haare schmieren“, schrieb er mir. „Sie sind ein total kaputter Typ.“ Wie ich aus vielen Reaktionen weiß, ist Mick Jelnikow nicht der Einzige, der mich für einen absolut fertigen Typen hält. Tatsächlich scheint es ziemlich viele Menschen auf der linken Seite des politischen Spektrums zu geben, die so denken wie er.
Ich will mich nicht beklagen. Wer unter seinem Namen Meinungsbeiträge veröffentlicht, sucht die Öffentlichkeit. Deshalb sollte er auch nicht zu empfindlich sein, wenn es Widerspruch gibt.
Trotzdem frage ich mich manchmal, warum viele Leser beim Lesen meiner Texte so aus dem Häuschen geraten, dass sie den Deutschen Presserat anrufen oder Aufrufe für ein sofortiges Publikationsverbot ins Netz stellen.
Meine Vermutung ist, dass die meisten Linken aus Überraschung die Contenance verlieren. Sie sind es einfach nicht mehr gewohnt, auf abweichende Meinungen zu stoßen, schon gar nicht in einem Medium, das für viele dort zu stehen hat, wo sie selber stehen. Vielleicht sollte man den Leuten raten, ruhig mal öfter hinauszugehen und andere Menschen zu treffen. Die Begegnung mit Andersdenkenden kann durchaus bereichernd sein, wie ich aus Erfahrung weiß.
Umgekehrt liegt hier auch eine Erklärung dafür, warum so viele Menschen links sind. Für die Sozialdemokraten, oder besser noch: für die Grünen zu sein, ist heutzutage fast begründungsfrei; mit diesem Bekenntnis segelt man anstandslos durch jede Diskussion. Tatsächlich gibt es gerade auf der Linken ein ausgesprochenes Anlehnungs- und Kuschelbedürfnis, das in eigenartigem Kontrast zu der behaupteten Lust an der Provokation steht.
Gemeinsam: Jan Fleischhauer und Marco Carini sind beide Jahrgang 1962, gingen zur selben Zeit in dieselbe Klasse (1974–1980) des Hamburger Gymnasiums Grootmoor. Sie waren zeitweilig beste Freunde und in der Oberstufe auch in derselben Tutorengruppe (1980–1983) und Kirchengemeinde aktiv.
Fleischhauer und Carini studierten nach ihrem zeitgleich abgelegten Abitur Germanistik – der eine als Haupt-, der andere als Nebenfach –, beide wurden Journalisten, beide schließlich Buchautoren. Hier trennt sich nun der Weg – publizistisch stehen beide auf unterschiedlichen Seiten.
Getrennt: Jan Fleischhauer schreibt heute über das Dasein des Renegaten, der sich heute als Konservativer versteht. Sein neues Buch „Der schwarze Kanal“ trägt den gleichen Namen wie seine Kolumne auf Spiegel Online.
Marco Carini, Redakteur der taz.nord, hat mit „Die Achse der Abtrünnigen“ ein renegatenkritisches Buch geschrieben, das sich auch mit Fleischhauer auseinandersetzt.
Man muss sich ja nur einmal den Prozessionszug einer normalen Demo ansehen, wo nach dem Block der Lehrergewerkschaft und der vereinigten RollstuhlfahrerInnen-Front die Ärzte gegen den Atomtod kommen, gefolgt von den roten Krankenschwestern, dem Zentralrat zur Befreiung der Frau, dem Grau-Grünen-Panther e.V., wie der Bewegungschronist Götz Aly festgehalten hat.
Sind die Konservativen die wahren Rebellen? Keine Ahnung, Rebellentum ist eine Kategorie, die eher bei der Linken hoch im Kurs steht, wo man sich offenbar bis ins Rentenalter beweisen muss, dass man immer noch wahnsinnig unangepasst ist. Diese Form von Zwangsjugendlichkeit ist ein Fluch, dem man rechts der Mitte eher selten begegnet. Es ist nach meiner Erfahrung nur in jedem Fall tausendmal provokanter, ein gutes Wort für die Marktwirtschaft einzulegen oder sich zu Amerika zu bekennen, als in den allgemeinen Verdammungschor einzufallen und den Kapitalismus auch ganz furchtbar zu finden.
Die Selbstghettoisierung der Linken ist weit fortgeschritten. In deutschen Großstädten gibt es inzwischen ganze Viertel, in denen nicht nur ein gewisser lässiger Kleidungsstil Pflicht ist, der kollektiv die Individualität seiner Träger betont, sondern auch die entsprechende Meinung dazu. Natürlich ist man ganz besorgt vor der israelischen Bombe, drückt gemeinsam die Daumen gegen die soziale Kälte und hält das Betreuungsgeld für eine böse Erfindung der CDU, um die Frauen zurück an den Herd zu zwingen. Kurz: Alle beglückwünschen sich pausenlos gegenseitig dazu, wie anders und fortschrittlich sie sind.
Wir wären einen ganzen Schritt weiter, wenn sich die Vertreter des linken Mainstreams endlich eingestehen könnten, dass die Tage, als die Linke noch Protestbewegung war, lange vorbei sind. Dann könnte man endlich zu einer vernünftigen Auseinandersetzung kommen. Aber dann wäre auch der krampfhaft behauptete Anspruch perdu, gegen die da oben anzutreten, gegen die Reichen und Mächtigen. Also wird auch noch nach 40 Jahren im Staatsdienst tapfer behauptet, dass man das System aus den Angeln hebt, während man es sich in ihm gut gehen lässt. JAN FLEISCHHAUER
Jan Fleischhauer: „Der Schwarze Kanal: Was sie schon immer von Linken ahnten, aber nicht zu sagen wagten“. Rowohlt, 224 Seiten, 12,99 Euro
Contra
Rund ein Vierteljahrhundert nach Helmut Kohl ist die geistig-moralische Wende im deutschen Feuilleton endgültig angekommen. Linken-Bashing ist hip, Pamphlete gegen das sogenannte Gutmenschentum überschwemmen den Medienmarkt. Die Protagonisten dieses Zeitgeists sind vor allem ehemalige Ganz-, Halb-, Viertel- und Möchtegern-Linke, die sich mit boshaftem Vergnügen über ihre ehemaligen Gesinnungsgenossen hermachen: Broder, Biermann, Giordano oder auch Fleischhauer, der Spiegel-Journalist mit den selbstentdeckten „konservativen Neigungen“.
Zu bieten haben diese konvertierten Altlinken vor allem eine muntere Aneinanderreihung von Überspitzungen und Verallgemeinerungen, die noch jedes antilinke Klischee vortrefflich bedient. Es hagelt universelle Zuschreibungen: Broder entdeckt – fortlaufend seit 25 Jahren –, die gesamte Linke sei antisemitisch, Giordano hält sie für einäugig in Menschenrechtsfragen, Fleischhauer für rechthaberisch, selbstgerecht und dogmatisch, Sarrazin schließlich für total multikultiverstrahlt.
Wo eine wissenschaftlich-trockene Analyse das gewünschte Ergebnis nicht erbringen würde, ist pure Polemik stets der Ausweg – was kümmert das Argument, wenn die rhetorisch aufgemotzte Demagogie sich besser verkauft. Die gemeinsame Botschaft lautet dabei: Links ist out, die Zukunft ist konservativ! Inhaltlich eint die meisten Autoren dieser Achse der Abtrünnigen vor allem ein mal mehr, mal weniger ausgeprägter dumpfer Antiislamismus – ein schmales und nicht gerade zukunftsweisendes Band.
Da die deutsche Meinungselite angeblich stramm links steht, goutieren sich Autoren wie Fleischhauer und Sarrazin gern als politisch verfolgte Minderheit, verfemt von den rot-grünen Trägern des politischen Mainstream. Sind Konservative deshalb die intellektuellen Outlaws, die wahren Rebellen? Mitnichten! Einen Maulkorb verpasst bekommt heute eher eine Gesine Lötzsch, die das Wort Kommunismus noch zum eigenen aktiven Wortschatz zählt, oder ein Günter Grass, wenn er die israelische Regierung harsch kritisiert.
Zudem können die angeblichen Rebellen zwar mit ätzender Kritik, kaum aber mit gesellschaftlichen Perspektiven aufwarten. Lediglich Sarrazin mit seinem Blut- und Bildungsnationalismus wagt sich auf das Feld der politischen Utopie, wenn er die Integration von Migranten, die Muslime in Deutschland und den Euro gleich mit abschafft. Fleischhauer, der nach eigenem Bekunden nicht aus gutem Grund, sondern „aus Versehen“ konservativ wurde, weiß nicht einmal, was konservativ genau bedeutet, wenn er etwa schreibt: „Für mich heißt konservativ sein, erst einmal nicht links zu sein.“ Präziser geht es wirklich kaum.
Während die zu Neurechten mutierten Altlinken so kaum als konservative Vordenker durchgehen, besteht die Vorhut des deutschen Konservatismus aus einer Riege in die Jahre gekommener Publizisten, wie Arnulf Baring oder Alexander Gauland, bestückt mit einem buntem Blumenstrauß angestaubter Thesen. Ein Blick reicht aus, zu erkennen: Politisches Rebellentum sieht wahrlich anders aus!
Warum aber ist Linken-Bashing so trendy, so ungeheuer verkäuflich? Im Mittelpunkt der Linken stand schon immer der neue, der bessere Mensch: Empathisch, solidarisch mit allen in Not Geratenen, bereit zu teilen, unfähig den Nächsten auszubeuten, eher kollektiv als egozentrisch und eher humanistischen als materiellen Idealen zugeneigt. So zu leben ist einer kapitalistisch organisierten Konkurrenzgesellschaft kein Leichtes. Wer links fühlt, bleibt hin- und hergerissen zwischen Karriere und Konsum auf der einen und sozialer Verantwortung und solidarischem Handeln auf der anderen Seite. Wer kennt das nicht: Im Laufe des Lebens bleibt man den einstigen Idealen dann doch nicht treu.
Da ist es fürs eigene Ego doch schon ungeheuer entlastend, wenn eine Gruppe von Autoren die „Gutmenschen“ ihres Heiligenscheins beraubt und sie als Moralapostel und Kollektiv der Heuchler abstempelt. MARCO CARINI
Marco Carini: „Die Achse der Abtrünnigen – über den Bruch mit der Linken“. Rotbuch, 288 Seiten, 14,95 Euro.
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