■ Richter verschaffen Grams-Anwälten Zugang zu den Akten: Verspätete Einsicht
Es gab einmal eine Zeit, da galten die Schweriner Staatsanwälte als Fels in der Brandung. Während Bundesinnenminister Manfred Kanther, der Krisengewinnler von Bad Kleinen, die „rückhaltlose Aufklärung“ des desaströsen GSG-9-Einsatzes an der Ostsee beschwor, aber keine Hand dafür rührte, während die am Einsatz beteiligten Beamten sich auf einen kollektiven Blackout verständigten, der sie just im Moment des Todes von Wolfgang Grams ereilte, während die Einsatzplaner bei Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt damit beschäftigt waren, ihre haarsträubenden Fehler kleinzureden, schienen die Ermittler vor Ort tatsächlich an der Wahrheit interessiert. Die Möglichkeit eines Selbstmordes von Wolfgang Grams hielten sie für ausgeschlossen. Aus ihren Reihen drang an die Öffentlichkeit, daß die Beamten des GSG-9-Kommandos teils widersprüchlich, teils objektiv falsch aussagten. Auch deshalb leiteten sie das Ermittlungsverfahren gegen zwei GSG-9-Beamte ein. Das ist lange her.
Erste Schatten fielen auf die staatsanwaltschaftliche Unbefangenheit, als die Öffentlichkeit im Herbst in homöopathischen Häppchen mit Zwischenergebnissen versorgt wurde, die die Wende zur Selbstmordversion einleiteten. Daß dabei Informationen, die zur „Irritation“ der Öffentlichkeit geeignet waren, gezielt zurückgehalten wurden, kam nur durch Zufall ans Licht. Erkenntnisse der Züricher Gutachter über eine Patrone, die keiner der benutzten Waffen zugeordnet werden konnte, wurden zunächst ebenso verschwiegen wie die Tatsache, daß manche Kleidungsstücke der GSG-9-Beamten im frisch gewaschenen Zustand bei den Gutachtern eintrafen. Danach setzten die Schweriner auf Zeit. Je später die Grams-Anwälte Zugang zu den Akten erhalten, lautete offensichtlich die Devise, um so geringer die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie erwarten dürfen, wenn dort doch noch die ein oder andere Tretmine verborgen liegt.
Das ging gut, bis das Landgericht Schwerin jetzt die verspätete Einsicht in die Akten verfügte. Eine strafprozessuale Selbstverständlichkeit, auf deren Realisierung die Eltern Grams' viel zu lange warten mußten. Eine neue Dimension dieser skandalträchtigen Angelegenheit fördert der Gerichtsbeschluß eher beiläufig zutage: Der „rückhaltlos aufklärende“ Bundesinnenminister mühte sich – was heißt hier Gewaltenteilung? – bis zum Schluß, die Akten unter Verschluß zu halten. Damit erhalten Zweifel neue Nahrung, ob das Einschwenken der Schweriner Staatsanwälte auf die Selbstmordthese wirklich nur ihrem wachsenden Erkenntnisstand zuzuschreiben ist. Die Frage steht im Raum, wie es um die Gewaltenteilung in diesem Lande bestellt ist, wenn es – wie in Bad Kleinen – hart auf hart kommt. Gerd Rosenkranz
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