Revolution im Bayerischen Wald: Die Konvertiten von Ruhmannsfelden
Die Idee der Grünen ist doch absolut konservativ, ist der Geiger Roland überzeugt. Wollte er eben noch CSU-Bürgermeister werden, ist er jetzt ein Grüner, so wie acht andere im Ort.
RUHMANNSFELDEN taz | Im Bayerischen Wald, wo die Straßen kurvig und steil sind, wo die Menschen erst ihren Nachnamen nennen und dann den Vornamen, liegt Ruhmannsfelden - 2.044 Einwohner, ein Kindergarten, Grund- und Hauptschule. In diesem Dorf in einer Talsenke tut sich etwas, das den Beteiligten vor zehn Jahren absurd vorgekommen wäre. Selbst jetzt stoßen sie oft auf Unverständnis bei Freunden und Bekannten - also bei fast allen im Dorf.
Am Anfang, sagt Roland Geiger in seinem Wohnzimmer, ging es bloß "um den Bürgermeister, der beschissen hat". Geiger mag klare Worte. Mit Zögern und Warten hätte er es nicht so weit gebracht: zu einem großen Haus mit riesiger Terrasse, von der er auf die grünen Bergkämme blicken kann. Zu einem Heim für sich, seine Frau und die zwei Kinder.
Im Garten steht ein Mast mit der blau-weißen Bayernflagge, vor dem Haus ein 5er BMW. Der Immobiliendienstleister - er sammelt Geld und investiert es in deutsche Unternehmen - hat es mit 36 Jahren weit gebracht. So hätte es ruhig weitergehen können. Dann aber kam die Sache mit dem Bürgermeister, "der beschissen hat".
"Wenn die Intrige mit dem Josef Brunner nicht gewesen wäre", sagt Geiger, "dann wären wir immer noch in der CSU." Josef Brunner ist seit 27 Jahren Bürgermeister von Ruhmannsfelden. Glaubt man den Worten Geigers, dann hat der Bürgermeister verhindert, dass ein junger, fähiger Mann, der "Englmeier junior", im April Vorsitzender des CSU-Ortsvereins wurde.
Das fleißige JU-Mitglied hätte die Nachfolge der "Englmeier-Gaby" antreten sollen, seiner Mutter. Stattdessen habe sich Brunner, wegen Führung eines falschen Diplomingenieur-Titels verurteilt, gegen alle Absprachen selbst wählen lassen.
Macht verloren
Glaubt man hingegen dem Bürgermeister, dann hat die CSU-Ortsvorsitzende Englmeier "nur Scherben hinterlassen". "Mindestens 10 von 50 Leuten sind ausgetreten. Ja gut, da sind zwei Sterbefälle dabei." Er selbst sei nicht machtversessen, sondern sei nur für den Übergang Ortsvorsitzender. Und bei der Kommunalwahl 2014 werde er "hundertprozentig" nicht mehr als Bürgermeister antreten.
Roland Geiger und Gaby Englmeier setzten sich nach ihrer verlorenen Schlacht mit fünf Mitstreitern in einer Kneipe zusammen. Sie hatten die Macht in der einzigen Partei am Ort verloren? Was sollten sie tun? Zu einer der beiden lokalen Wählergemeinschaften gehen?
Die fanden sie zu unorganisiert. Zum Schluss war sich der gesamte bisherige CSU-Ortsvorstand einig: Wir verlassen die Christsozialen und gründen den ersten Grünen-Ortsverein im Bayerischen Wald.
Warum verlässt einer, der Lokalpolitik machen will, die CSU? Die Partei errang hier 46 Prozent bei den Kommunalwahlen 2008. "Meiner Meinung nach ist der Gedanke der Grünen absolut konservativ", sagt Geiger und blickt auf die Anhöhe hinterm Haus.
Ein grüner Unternehmer
Seine drei Hauptziele zählt er an den Fingern ab: "Energieautarkie, mehr Nahrung aus der Region, Förderung des ökologischen Tourismus". Geht das nicht auch bei der CSU, jetzt, da selbst Parteichef Horst Seehofer den Atomausstieg preist? "Wir wollten diese Ideen in der CSU verwirklichen." Dort seien ihnen Steine in den Weg gelegt worden. Und der Seehofer? "Der weiß ja am Nachmittag nicht mehr, was er am Morgen gedacht hat."
So ein Windrad, sagt Geiger und zeigt nach draußen, das verschandele doch nicht die Umwelt. Das sei doch ein Blickfang. 7.000 Haushalte könne so ein Ding mit Strom versorgen. Er hat schon überlegt, wie sich die 7 Millionen Euro, die ein solches Windrad koste, zusammenbringen lassen. Er mag jetzt bei den Grünen sein, doch er bleibt Unternehmer.
Noch vor wenigen Monaten konnte Geiger hoffen, bei den Kommunalwahlen 2014 als CSU-Kandidat Bürgermeister von Ruhmannsfelden zu werden. Jetzt will er es als Mann der Grünen schaffen, mit Unterstützung der zwei Wählergemeinschaften. "Natürlich stellte ich mir auch die Frage: Wo hat man Auftrieb? Die einzige Partei, die aufstrebt, sind die Grünen." Geiger fürchtet nicht, dass seine Worte als Opportunismus ankommen könnten. Er ist ja einer von hier, man kennt ihn.
"Strom von drüben"
Glaubt er, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien schnell genug vorangehen kann? "Das ist schon eine Angst, dass wir uns den Strom von drüben holen", vom AKW Temelín kurz hinter der Grenze zu Tschechien. Die Österreicher sähen ja gerade, zu welcher Importabhängigkeit ein rigoroses Nein zur Atomkraft führen könne.
"Wo habe ich das gelesen?", fragt sich Geiger. "In der Jungen Freiheit?" Auf einem Stuhl neben dem Küchentisch liegt ein Exemplar der rechten Wochenzeitung. "Das ist mal ein ganz anderer Blickwinkel." Er bilde sich seine eigene Meinung.
Die Zeit drängt, Geiger muss los. Es ist Freitagabend, und gleich beginnt in einem Gasthof in der Nähe die Gründungsversammlung der Grünen. Auf dem Weg dahin geht es vorbei an seinem BMW, wegen des CO2-Ausstoßes ist so ein großes Auto unter Grünen nicht gern gesehen. "Ich hab kein Problem damit", sagt Geiger. "Diese Hysterie geht mir zu weit. Das Klima kann ich gar nicht schädigen, das ändert sich von selbst."
Der Mann, der sich aufmacht, sich zum Kovorsitzenden des ersten Grünen-Ortsvereins im Bayerischen Wald wählen zu lassen, hält den menschengemachten Klimawandel für eine Erfindung.
In L'Osteria La Vita, einem gut besuchten Restaurant mitten im Ort, treffen nach und nach die weiteren Neugrünen ein: Gaby Englmeier, gestürzte CSU-Ortsvorsitzende und selbstständige Podologin - "das ist medizinische Fußpflege". Englmeier junior, Vorname Tobias, der nicht CSU-Ortsvorsitzender werden durfte. Helmut Seitz, Omnibusunternehmer. Der jüngste Ortsverein der Grünen wird Heimat der Dorfhonoratioren.
Eine kann sich nicht so recht freuen über den Parteizuwachs: Christine Bickel, die Kovorsitzende der Grünen im Landkreis. Die 64-Jährige wirkt nach zweieinhalb Jahrzehnten im Bayerischen Wald immer noch, als habe sie es erst vor Kurzem aus Versehen in dieses Bergidyll verschlagen: mit dem leichten Ruhrpottakzent ihrer Gelsenkirchner Heimat, den kurzen rotblonden Haaren, der Selbstbeschreibung als "68erin" und der Arbeit als Psychologin. Statt 40 wird sie künftig 49 Grünen vorsitzen, und die Neugrünen haben weitere Mitglieder in Aussicht gestellt: Nachwuchs für - wie es eine Ex-CSUlerin nennt - "die Junge Union der Grünen".
Feindliche Übernahme?
Noch ist unklar, ob die neuen Konservativen und die alten Linken in der Partei Freunde oder Feinde werden. Bickel steht auf, vor ihr sitzen rund 20 alte und neue Parteimitglieder: "So, fangen wir an, ne?" Sie sagt, sie habe sich gefragt: "Was halte ich von der ganzen Geschichte?" Wird das eine freundliche oder feindliche Übernahme?
In ihrer therapeutischen Arbeit habe sie ganz ähnliche Erfahrungen gemacht. Hier sei es doch wie bei einer Familie, die zwei Kinder adoptiere. "Die Mitglieder müssen sich miteinander arrangieren." Nichts bleibe, wie es war. Ein stämmiger Mann, dunkler Anzug, schwarze Krawatte, nickt. Es ist Thomas Müller, Bickels Amtskollege im Kreisvorsitz. Er ist das beste Beispiel dafür, dass es klappen könnte mit der Integration ehemaliger Schwarzer.
Müller ist Bürgermeister im nahe gelegenen Bayerisch Eisenstein. Er trat zunächst für die CSU an, vor Kurzem trat er zu den Grünen über. Der Wechsel machte ihn über die Region hinaus bekannt. Müller sagt von sich, erst war er ein grüner Schwarzer, heute ein schwarzer Grüner. Die Altgrünen hier bezweifeln nicht, dass Müller es ehrlich meint mit seinen Bekenntnissen zum Umweltschutz und Atomausstieg. Aber ob es klappt mit der Adoption der Stiefkinder aus Ruhmannsfelden?
Auch Ex-CSUler Helmut Seitz hält in dem kleinen, mit Holz vertäfelten Raum eine kurze Bewerbungsrede. Der kräftige Mann mit der sonoren Stimme will in den Ortsvorstand. Die leidige Vorgeschichte mit dem Bürgermeister sei ja bekannt, sagt Seitz. Das brauche er deshalb nicht zu erwähnen. "Jetzt machen wir halt bei den Grünen mal mit." Dann setzt er sich.
Die Veranstaltung verläuft reibungslos, einigen Altgrünen ist sie fast zu reibungslos. Keine langen Diskussionen, kein Streit. Kurz bevor alle Kandidaten einstimmig gewählt werden, sagt die Altgrüne Bickel: "Es dürfen den Kandidaten auch gern Fragen gestellt werden." Der Neugrüne Seitz lächelt und ruft: "Ja, was soll des denn?"
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