: Revolte in der Ärztekammer
■ 20 Jahre lang leitete Karsten Vilmar die Bremer Ärztekammer – jetzt übernahm Ursula Auerswald die Führung, als erste Frau bundesweit / Liste Gesundheit stellt Vize
Zu einem regelrechten Machtwechsel kam es vergangene Woche in der Bremer Ärztekammer. Trotz wachsender Kritik hatte die Kammer 20 Jahre lang unter der Führung von Dr. Karsten Vilmar gestanden. Am Montag wählten die Delegierten Dr. Ursula Auerswald zur neuen Präsidentin.
Die 45jährige Anästhesistin ist bundesweit die einzige Frau, die einer Ärztekammer vorsteht. Diesem Umstand mißt sie selbst wenig Bedeutung zu: „Ich glaube nicht, daß es einen großen Unterschied macht, ob ein Mann oder eine Frau der Kammer vorsitzt“, sagte sie gegenüber der taz. Und doch soll sich die Arbeit der Kammer, die in Bremen die Interessen von 3.500 MedizinerInnen vertritt, entscheidend ändern:
Vor allem soll „mehr Transparenz“ zur Basis hin geschaffen werden. „Es ist wichtig, daß die Ärzte wissen, wofür die Kammer eigentlich gut ist“, meint Ursula Auerswald. Tatsächlich scheint das bei vielen MedizinerInnen in Vergessenheit geraten zu sein: So rutschte die Wahlbeteiligung, die bei der vorigen Wahl vor vier Jahren noch bei 75 Prozent gelegen hatte, in diesem Jahr auf 57 Prozent ab. Ein wachsender Teil der Ärzteschaft sah sich durch den von Vilmar angeführten traditionellen Funktionärsblock immer schlechter vertreten.
Besonders die Liste Gesundheit, die aufgrund ihrer sozialmedizinischen Ansätze und der Nähe zu alternativen Gesundheitsprogrammen in der Kammer als „linke Liste“ gehandelt wurde, konnte keinen Delegierten an die Spitze bringen, obwohl sie über drei Amtsperioden hinweg als stärkste Fraktion in der Delegiertenversammlung vertreten war. Stets schlossen sich die konservativen Listen zusammen und verhinderten so den Einzug der Liste Gesundheit in den Kammervorstand.
Auch das hat sich jetzt geändert: Als Vertreter der Liste Gesundheit bezog Ulrich Kütz das Amt des Vizepräsidenten der Kammer. Ursula Auerswald, Vertreterin der politisch nahestehenden „Ärzteliste Klinik und Praxis“, setzt auf eine enge Kooperation mit ihrem Vize. Sie wollen dafür sorgen, daß Informationen wieder bis an die Basis gelangen, wollen konkurrierende berufsständische Interessen offen diskutieren, statt sie unter den Teppich zu kehren, gesundheitspolitische Debatten eröffnen.
Auch soll das im Zuge der Gesundheitsreform angeschlagene Verhältnis zu Krankenkassen und zur Kassenärztlichen Vereinigung verbessert werden, für die Probleme von Patientinnen will die Kammer offener werden. „Es ist sinnvoll, an einem Strang gegenüber der Politik zu ziehen, die uns ja relativ knebelt“, resümiert Ursula Auerswald.
22 Delegierte gaben ihr Votum für die 45jährige Anästhesistin ab, Karsten Vilmar erhielt hingegen lediglich 16 Stimmen. AugenzeugInnen zufolge saß bei Karsten Vilmar der Schrecken über den Richtungswechsel „seiner Kammer“ tief. Gegenüber der Presse nannte er seine Abwahl „nicht so überraschend“. Der Vorwurf, ihm habe der Bezug zur Basis gefehlt, sei „an den Haaren herbeigezogen“.
Dieser Vorwurf aber wird nicht nur erhoben, weil Vilmar, der erst im Mai als Präsident der Bundesärztekammer bestätigt worden war, sich mehr in Bonn als in Bremen aufhielt. Die Distanz vieler MedizinerInnen zum Präsidenten der Bundesärztekammer vergrößert sich vielmehr aus politischen Gründen: Vielen Ärztinnen ist ein Dorn im Auge, daß Vilmar als Atomlobbyist auftritt. Nicht zuletzt geriet Vilmar 1993 ins Kreuzfeuer der Kritik, als er als Vorstandsmitglied im Weltärztebund Hans Joachim Sewering für das Amt des Präsidenten des Weltärztebundes vorschlug. Sewering war in der Nazizeit Mitglied der Reiter-SS.
Durch seinen Vorschlag habe Vilmar dem Ansehen der Deutschen Ärzteschaft im In- und Ausland schwer geschadet, kritiserte die deutsche Sektion der Internationalen Ärztevereinigung für die Verhütung eines Atomkrieges und forderte im Januar 93 den Rücktritt Vilmars als Präsident der Bundesärztekammer. dah
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