Restaurantkritik-Serie Auf die Mütze (1): Von Gohmijoh bis Mischelahn
Essen ist wie Fußball oder Politik: Jeder hat dazu eine Meinung. Und manche werden dafür sogar bezahlt. Sie sind ein ganz spezielles Völkchen.
Die Todesnachricht von Christian Millau las ich beim Mittagessen. Ich saß an einem Tisch in einem hervorragenden Restaurant, mein Blick schweifte über die Tannen des Nordschwarzwaldes, und in meinem Mund klang noch der „Gruß aus der Küche“ nach, ein Tomatenschaumsüppchen mit Basilikumsorbet, als mir die Meldung in der Tageszeitung entgegenschlug.
Wobei ich vermute: Den meisten von Ihnen sagt der Namen gar nichts. Oder es klickt nur in einem ganz bestimmten Sinnzusammenhang im Gehirn: „Gault&Millau“ bzw. „der Gohmijoh“. Denn auch wenn ihn nur wenige richtig aussprechen können: der Gohmijoh war und ist zusammen mit dem Mischelahn (Michelin) der wichtigste Restaurantführer der Welt.
Mir selbst sagte der Name Millau sofort etwas. Schließlich saß ich nicht zum Vergnügen in diesem Restaurant, sondern als Testesser für einen Restaurantführer (für welchen, darf ich nicht sagen). Als Vorspeise kam kurz darauf ein Sashimi von der Obsiblue-Garnele mit Melone, Pata Negra und Yuzu. Jetzt werden sich wieder Menschen ausgeschlossen fühlen. Denn zwischen den Gerichten, die in Spitzenrestaurants angeboten werden, und jenen, die unseren Alltag bestimmen, gibt es keine gemeinsame Sprache mehr. Wer heute zum ersten Mal ein Gourmetrestaurant betritt, sollte sein Google griffbereit haben.
Als Vater der Restaurantkritik gilt der Franzose Alexandre Grimod de la Reynière. Ein Adeliger, der kurz nach der Französischen Revolution damit begann, die Kochkünste seiner Landsleute mit bissig-ironischen Kommentaren zu bewerten. Seinen bürgerlichen Lesern gefiel die freche Kritik in dem von ihm herausgegebenen „Almanach des Gourmands“, und bis heute erfreut sich das Genre großer Beliebtheit.
Volkes geschmäcklerische Stimme
Obwohl – oder vielleicht gerade weil – sich inzwischen jeder Gast im Wildwuchs der Internetbewertungsportale zum Richter aufschwingen darf, sind die professionellen Restaurantführer nicht verschwunden. Sie achten umso mehr auf die Kompetenz ihrer Prüfer, je lauter sich Volkes geschmäcklerische Stimme online erhebt.
Dabei schickt Michelin vorwiegend Tester mit geschulter Vorkenntnis los, ausgebildete Köche, Hotel- und Servicekräfte, während der „Gault&Millau“ lieber Schlemmermäuler beschäftigt, die sich ihre Küchenkenntnisse über die Jahre durch ungezählte Restaurantbesuche erarbeitet haben. Ihre Zahl ist überschaubar: In Deutschland sind jeweils nicht mehr als 30 Gaumen im Einsatz.
In direkten Kontakt mit der Gastronomiekritik kommen die meisten Menschen aber eher in den großen Zeitungen, speziell in den Wochenendausgaben und -magazinen. Es ist wohl die Mischung aus Schadenfreude und Vergnügungslust, die die Lektüre von Gastrokritiken am eigenen Küchentisch so beliebt macht. Reden über das Essen, was wann wo wie geschmeckt hat, ist nach dem Wetterbericht ja das unverfänglichste Konversationsthema. Zumal kein anderer Berufsstand so schadenfroh (und manchmal auch bewundernd) öffentlich vorgeführt werden darf wie Köchinnen und Köche, allenfalls noch Politiker und Fußballspieler.
Die wichtigsten dieser Restaurantjournalisten haben sich selbst einen Namen erschrieben. Der Grandseigneur der deutschen Kritik war zweifelsohne Wolfram Siebeck (Die Zeit), der im vergangenen Jahr starb und bis zuletzt seinen Zeigefinger in jeden Kochtopf steckte. Ein anderer, Jürgen Dolasse (FAZ), hat mit seinen Beschreibungen des Essens eine eigene Kunstform geschaffen. Nach der Lektüre weiß man zwar nicht, wie es ihm geschmeckt hat, dafür erfährt man so staunenswerte Dinge wie, dass „im Hintergrund das Gelee die Austerntextur vorwegnimmt“ oder dass „die dünnen Gurkenstreifen durch eine leichte Crème-fraîche-Hülle dezent gehalten werden und ein paar Fäden Olivenöl eine minimale Irritation schaffen, die dem Akkord einen Hauch von Individualität gibt“.
Stets ein wenig verkrampft
Restaurantkritiker sind ein spezielles Völkchen. Was bei den meisten sofort auffällt: Sie sind nicht locker, sie wirken stets ein wenig verkrampft. Sie kauen minutenlang auf einem Stück Fleisch herum und finden dann heraus, dass die Röstnote nicht mit dem Sauerkirschen-Gelee korrespondiert. Echte Genießer sind nur wenige darunter, denn wer ständig das Haar sucht, schmeckt die Suppe nicht mehr. Auch ist die Gastronomiekritik eine Männerdomäne, Frauen sind so selten wie Gelbschwanzmakrelen im Atlantik.
Ähnlich wie Motor- und Reisejournalisten haftet Foodjournalisten aber auch der zweifelhafte Ruf der Spesenritter an, die beim Besuch eines Restaurants auf eine bevorzugte Behandlung bestehen, dass man sie hofieren und ihnen Küchenchef winselnd zu Füßen liegen möge. Einer, den ich gut kenne, erwartete wie selbstverständlich, dass ein mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneter Koch ihm zu seinem Geburtstag das Menü beisteuerte. Natürlich ohne Bezahlung. Dafür würde er auch in seinem Magazin gut besprochen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Schillernde Figuren gibt es in der Branche sogar außerhalb der Redaktionen: Vor ein paar Jahren wurde ein 19-jähriger Abiturient aus Frankfurt verurteilt, der sich selbst eine „Lizenz“ als Restaurantkritiker ausgestellt hatte und forthin die Küchen der Rhein-Main-Region angeblich für bekannte Magazine testete. Bezahlen tat der junge, gut gekleidete Igor E. allerdings nie. Bis er schließlich wegen Betrugs vor dem Jugendgericht landete. Das Urteil: 60 Arbeitsstunden in der Küche einer Sozialstation.
Im Nordschwarzwald bin ich inzwischen beim Nachtisch angekommen. Das Hauptgericht, ein Teres Major vom Angusrind mit einer Variation von der Tomate, war sensationell, ganz zu schweigen von der Kraft einer über sieben Tage reduzierten Sauce – ich werde das Restaurant besser bewerten als im Jahr davor.
Was gab es eigentlich zum Leichenschmaus von Christian Millau? Darüber hat mal wieder niemand berichtet.
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