Ressourcen in der Arktis: Der 100-Jährige, der die Krise hat
Spitzbergen steht unter der Souveränität Norwegens. Die kühle Küste wird immer wärmer. Und wegen der Rohstoffe wächst das Interesse an ihr.
Für einen Hundertjährigen hat er sich richtig gut gehalten: Der Spitzbergen-Vertrag, der die Inselgruppe unter „die Souveränität Norwegens“ stellt, feiert Geburtstag. So ein Alter haben bislang nur vereinzelt internationale Verträge erreicht. Vor allem was die angeht, die im Rahmen der Pariser Friedensverhandlungen nach Ende des 1. Weltkriegs ausgehandelt worden waren. Der am 9. Februar 1920 unterzeichnete Vertrag hat jedenfalls nicht nur einen weiteren Weltkrieg, sondern auch den nachfolgenden „Kalten Krieg“ überstanden. Doch nun stellt ihn die schmelzende Arktis in Frage.
„Svalbard“, so der norwegische Name, deutsch die „kühle Küste“, umfasst eine Fläche von 61.000 qkm, vergleichsweise etwa soviel wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein zusammen. Es leben dort aber nur rund 2.500 Menschen. Seit dem 17. Jahrhundert hatten sich vor allem Walfänger und Forscher für die staatenlose Inselgruppe in der Arktis interessiert. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zum Streit um die dortigen Bodenschätze, vor allem Kohle.
Norwegen hatte schon vor dem Weltkrieg Anspruch auf Spitzbergen erhoben. Der fünf Jahre nach seiner Unterzeichnung in Kraft getretene „Svalbard-Treaty“ bestätigte grundsätzlich „das volle und uneingeschränkte Hoheitsrecht“ Oslos, erklärte gleichzeitig, das Gebiet dürfe „niemals zu Kriegszwecken benutzt werden“ und räumte den BürgerInnen aller Vertragsstaaten das Recht auf Niederlassung, Arbeit und ökonomische Tätigkeit ein. Praktisch machte aber zunächst außer Norwegen selbst nur Russland davon Gebrauch.
Seit offenbar geworden ist, welche wirtschaftlichen Ressourcen in der schmelzenden Arktis zunehmend besser zugänglich werden, erweist sich die „vollkommene Gleichstellung“ und „völlige Gleichberechtigung“, die der Vertrag allen – damals 14, mittlerweile 46 – Vertragsstaaten verbrieft, als Quelle von Konflikten. Die begannen bei der Frage, inwieweit das Abkommen auch für die Hoheitsgewässer rund um das Archipel gilt. Vom Wortlaut her ist das nur die 12-Meilen Zone. Norwegen beansprucht seit 1977 aber auch eine 200-Meilen Wirtschaftszone. Die Auslegung Oslos, diese werde vom hundertjährigen Vertrag nicht erfasst, weil dort nicht erwähnt, wird von den anderen Vertragsstaaten und auch von der EU-Kommission nicht geteilt: Eine „Wirtschaftszone“ konnte 1920 gar nicht erwähnt werden, weil deren Konzept von den Vereinten Nationen erst 1960 erarbeitet worden war.
Krieg der Krabben
Die unterschiedlichen Interpretationen haben bereits zu einem „Krabbenkrieg“ geführt. Norwegen beschlagnahmte Schiffe, denen die EU den Schneekrabben-Fang genehmigt hatte. Die Justiz des Landes segnete das ab. Die prinzipielle Frage ist damit aber nicht gelöst und dürfte erneut hochkochen, wenn es darum geht, wer Anspruch auf Öl- und Gasressourcen oder die Mineralien auf dem Meeresboden in der Wirtschaftszone erheben kann.
Während andere Vertragspartner den Vertrag „modernisiert“ haben wollen, möchte Norwegen einerseits nichts geändert sehen, versucht aber andererseits in der Praxis seine Souveränität zu festigen. Womit man in Konflikt zu den verbrieften Niederlassungs- und Gleichberechtigungsrechten der anderen Staaten gerät. Oslo passst es beispielsweise gar nicht, wie Peking eine 1958 eingerichtete Forschungsstation ausgebaut hat. Diese „Chinese Arctic Yellow River Station“ hat sich laut dem Arktis-Experten Torbjørn Pedersen zur „wichtigsten chinesischen Präsenz in der Arktis“ entwickelt. Ihre Tätigkeit begrenzen zu wollen, hat Peking empört abgelehnt.
Passend zum 100-Jahres-Jubiläum meldete sich vergangene Woche auch Russlands Außenminister Lavrov zu Wort und forderte „Konsultationen“: Durch „vertragswidrige Restriktionen“ werde versucht, die russische Bewegungsfreiheit einzuschränken.
Über die Zukunft des „Svalbard-Treaty“ gibt es höchst unterschiedliche Meinungen. Die reichen von der Idee, dass er ein Vorbild für die Regelung anderer territorialer Konflikte in der Arktis sein könnte, bis zur Auffassung, im anstehenden Wettlauf um die dortigen Ressourcen sei das Prinzip eines internationalen Gebiets mit gleichberechtigtem Zugang illusorisch. Formal aufgehoben oder abgeändert werden könnte der Vertrag nur mit Zustimmung aller Vertragsländer. Jedenfalls auf dem Papier darf man dem Hundertjährigen deshalb wohl noch ein langes Leben vorhersagen.
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