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ResozialisierungNicht in den Rückfall entlassen

Wie in Hamburg Sträflinge auf ihre Entlassung vorbereitet werden, hat keinen guten Ruf. Nun hat der grüne Justizsenator eigens eine Kommission eingerichtet, die Verbesserungen vorschlagen soll.

Wie die Zeit nach der Haft aussehen wird, entscheidet sich bereits währenddessen: Mit guter Vorbereitung für die Häftlinge. Bild: dpa

Anfang Mai wurde ein sicherungsverwahrter Häftling von der Hamburger Justizvollzugsanstalt Glasmoor abgewiesen. Man sei nicht vorbereitet auf Fälle wie ihn, erklärte die Leitung der Anstalt, in die der Mann verlegt werden sollte - und ließ ihn zurückbringen in die JVA Fuhlsbüttel. Woraufhin er eine ihm zugedachte Praktikumsstelle nicht bekam - und die damit verbundene Aussicht auf eine Festanstellung.

Entlassungsvorbereitung

"Nach der reinen Lehre beginnt die Entlassungsvorbereitung am ersten Tag der Haft", sagt der Bremer Kriminologe Johannes Feest. In jüngerer Zeit ist diese Übergangsphase stärker in den Blick gerückt.

Themen der Vorbereitung sind Arbeit, rechtliche Situation, Finanzen, Wohnraum, Gesundheit/Sucht, soziale Beziehungen und der Umgang mit Ämtern und Behörden.

Für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft war der Vorfall Anlass, eine Anfrage an den Senat zu richten. Für Andreas Mengler vom Hamburger Forum Straffälligenhilfe ist "die Entlassungsvorbereitung generell Schwachpunkt im Vollzug". Offenbar teilt Hamburgs Justizsenator Till Steffen (GAL) diese Einschätzung: Er hat Ende März eine Kommission eingerichtet, die seinem Sprecher zufolge "praxistaugliche Empfehlungen" zur Verbesserung der Entlassungsvorbereitung ausarbeiten soll. Vorsitzender des zehnköpfigen Gremiums, in dem Justiz- und Sozialbehörde, Gerichtshilfe sowie Wohlfahrtsverbände vertreten sind, ist Bernd Maelicke, Leiter des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft in Lüneburg. Er hat in der Vergangenheit eine frühzeitige Entlassungsvorbereitung im Jugendvollzug gefordert und die Verzahnung von Entlassungsvorbereitung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft gelobt.

Damit verweist er auf eben die Probleme, die auch Andreas Mengler nennt: "Der Vollzug", sagt er, "denkt immer nur bis zum Haftende." Deshalb sei etwa die Wohnsituation der jährlich rund 2.000 aus Hamburger Haftanstalten Entlassenen oft problematisch. "Maximal 600 sind nach Haftende mit einer eigenen Wohnung versorgt", schätzt Mengler. Rund 100 lebten dann in betreutem Wohnen, etwa 250 in speziellen öffentlichen Unterbringungen. "Der Rest", sagt Mengler, "ist im Graubereich." Und die berufliche Situation sei "noch schlimmer". Mengler nimmt an, dass rund 90 Prozent der vormaligen Sträflinge zunächst in die Arbeitslosigkeit gingen.

In der Vergangenheit hat es wiederholt Klagen von Häftlingen über die Entlassungsvorbereitung gegeben - beispielsweise über den zu späten Beginn oder mangelnde Unterstützung bei der Wohnungssuche - zum Teil auch direkt an die Adresse des Justizsenators. "Schreiben, dass es nicht optimal läuft, kriegen wir auch", bestätigt sein Sprecher.

Als vorbildlich lobt Andreas Mengler das Konzept in Bremen. Dort ist ein Entlassungsvorbereitungspool eingerichtet worden, der die Lücke zwischen Justizvollzugsanstalt und Nachsorge-Institutionen draußen schließen soll. So soll zum Beispiel ein Bewährungshelfer schon in der JVA Kontakt zu dem zu Entlassenden aufnehmen können. Diese "verzahnte Entlassungsvorbereitung" hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2006 für den Jugendstrafvollzug angemahnt. Sie ist um so dringlicher, als nach Einschätzung des Bremer Kriminologen Johannes Feest "ein Großteil" der Entlassenen drogenabhängig ist.

Versäumnisse in diesem Bereich "zahlt am Ende die Gesellschaft", sagt Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Hamburger Linkspartei. Sie vermisst nicht nur ein Konzept für die Entlassungsvorbereitung von Sicherungsverwahrten, sondern auch eine Lösung für die materiellen Probleme der Gefangenen. Diese hätten in der Haft kaum eine Chance, etwa ihre Schulden abzuarbeiten - weil ihre Arbeit in der JVA unterbezahlt sei. Noch immer, sagt Schneider, verdienten Häftlinge nur neun Prozent des Durchschnittslohns. Das Bundesverfassungsgericht fordert 40 Prozent.

In dem konkreten Fall will die Behörde zunächst klären, warum es die Leitung der JVA Fuhlsbüttel versäumte, die Ausnahmegenehmigung für die Verlegung des Sicherungsverwahrten in den Offenen Vollzug einzuholen. Ob für die Empfehlungen der Kommission unter Bernd Maehlicke, der die personalintensiven sozialtherapeutischen Anstalten ausdrücklich lobt, Zusatzmittel bereitstehen, ist derweil offen. Gesunkene Häftlingszahlen und geplante Zusammenlegungen von Haftanstalten, so deutet es zumindest der Sprecher von Senator Steffen an, versprächen "Möglichkeiten".

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