: Resozialisierung bleibt frommer Wunsch
■ Eindrücke und Gedanken eines Gefangenen aus dem Alltag hinter deutschen Gefängnismauern. Vom Anspruch des Strafvollzugsgesetzes und der Wirklichkeit zwanzig Jahre nach dessen Verabschiedung
Zwölf Neuzugänge sind an diesem kalten, grauen Donnerstagmorgen aus dem Untersuchungsgefängnis in die JVA Diez, die einzige Langstrafen-Haftanstalt des Landes Rheinland-Pfalz, überstellt worden. Einer von ihnen ist Herbert, das fünftemal im Knast und das zweitemal in Diez. Den Stationsbeamten der Zugangsabteilung begrüßt er wie einen alten Bekannten. Man duzt sich, man klopft sich auf die Schulter. „Warst aber lange draußen gewesen“, staunt Heinrich, der alte Schließer. „Stimmt“, gibt Herbert etwas wehmütig zurück, „fast anderthalb Jahre!“ Nach anderthalb Jahren draußen wieder zurück im Knast, ein Einzelfall ist das leider nicht. Mit stolzen 80 Prozent ist die Rückfallquote deutscher Haftentlassener erschreckend hoch und liegt in Europa mit an der Spitze. Kaum einem gelingt es, den ewigen Kreislauf zwischen Gefängnis und Freiheit zu durchbrechen – und daß das so ist, scheinen alle Verantwortlichen als ein unabänderliches Naturgesetz hinzunehmen.
„Der Strafvollzug soll den Gefangenen auf ein künftig straffreies Leben in sozialer Verantwortung vorbereiten, und mit der Resozialisierung soll am Tag der Einlieferung in die JVA begonnen werden“, zitiert Günter Niermann, Anstaltsleiter der JVA Wittlich, aus dem Strafvollzugsgesetz. Allerdings zeigt nicht nur in seiner Anstalt der Haftalltag, daß dieses Gesetz nicht das Papier wert ist, auf dem es geschrieben steht. „Ein solches Haftkonzept müßte bereits in der Untersuchungshaft einsetzen, und dazu fehlen im Landeshaushalt sowohl die Mittel als auch das Personal“, so beschied Justizminister Cäsar (FDP) den Gefangenensprechern der JVA Diez.
Vor allem das Personal fehlt. In der JVA Diez stehen für rund 550 Straftäter, die allesamt eine mindestens dreijährige Haftstrafe abzusitzen haben, gerade mal fünf Psychologen bereit, in der JVA Wittlich zwei für etwa 340 und in der JVA Koblenz einer für gut 200 Gefangene. Daß es bei einem derart beschränkten theapeutischen Angebot mit der Vorbereitung auf das straffreie Leben in sozialer Verantwortung nicht weit her sein kann, liegt auf der Hand. „Zweieinhalb Jahre bin ich jetzt in Diez“, seufzt Bernd, „aber mit einem Psychologen habe ich bisher noch nicht mal ein Zugangsgespräch geführt! Wie ich an mir zu arbeiten habe, damit ich in Zukunft nicht wieder straffällig werde, sagt mir kein Mensch!“ Wendelin, dessen Ehe über die lange Haftzeit in die Brüche ging, bettelte monatelang um ein Gespräch mit seinem Abteilungspsychologen, um einen Rat einzuholen, wie er mit dieser Situation fertigwerden sollte. Vergebens. „Tut mir leid, aber für Sie habe ich keine Zeit“, mußte er sich abservieren lassen. Ein nicht therapeutisch vorgebildeter Mitgefangener riet ihm daraufhin, seiner Alten doch einfach eins in die Zähne zu hauen.
Ob dies eine Entwicklung im Strafvollzug darstellt, wie der Gesetzgeber sie sich wünscht? „Man muß auch draußen längere Wartezeiten in Kauf nehmen“, schwächt Justizminister Cäsar ab, als ihn die Diezer Gefangenenvertreter auf die Unterbesetzung seiner Haftanstalten mit medizinischem Personal ansprechen. Einmal mehr verweist er auf die angespannte Haushaltslage. Und fügt gleich hinzu, daß therapeutische Intervention ohnehin erst im unmittelbaren Vorfeld einer Entlassung Sinn mache. Daß sich bei Bernd, Wendelin und einigen hundert anderen Gefangenen die Frustrationen und Aggressionen bis dahin zu solchen Größenordnungen aufgestaut haben könnten, daß sie gar nicht mehr abzubauen sind, spielt in seiner Kostenrechnung eine untergeordnete Rolle.
„Jeder Gefangene sollte den Strafvollzug als eine Chance begreifen, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen, die Defizite in seiner Persönlichkeit aufzuarbeiten und seinem Leben eine neue Richtung zu geben“, verriet der Diezer Anstaltsleiter Bandell seine Zöglingen in einem Interview. Daß die meisten von ihnen diese Entwicklung nicht zuletzt deshalb nicht schaffen, weil sein Konvikt mit Psychologen und Sozialarbeitern sträflich unterbesetzt ist, weiß er wohl; ändern kann er allerdings nichts. Sein Traum wie der der Diezer Gefangenenvertreter ist eine in die Anstalt eingebundene sozialtherapeutische Abteilung. Eine solche Sozialtherapie, das bedeutet eine Betreuung des Gefangenen durch ein hinreichend bestücktes Team von Sozialarbeitern und Psychologen, das bedeutet ein engmaschiges Beratungs- und Therapieangebot mit Einzel- und Gruppengesprächen, das bedeutet auch den Wohngruppenvollzug mit tagsüber unverschlossenen Zellentüren. Ein solcher ermöglicht es dem Insassen, sein Acht- Quadratmeter-Gehege zu verlassen und hinaus auf den Flur oder nach nebenan zum Nachbarn zu gehen, wenn er glaubt, daß ihm die Decke auf den Kopf fällt. Dem gefürchteten Hospitalismus, dem Persönlichkeitsabbau als Folge jahrelanger Isolation mit seinen typischen Folgen Aggressivität und Depressionen läßt sich so wirksam entgegenwirken. Die erheblich geringere Rückfallquote aus der Sozialtherapie Entlassener – Insider schätzen sie auf allenfalls zehn Prozent – spricht Bände. Dem steht nur entgegen, daß diese Vollzugsform wesentlich personal- und kostenintensiver ist als der übliche Knast und man deshalb nicht allzuviel von ihr wissen möchte.
In ganz Rheinland-Pfalz gibt es eine einzige sozialtherapeutische Anstalt in Ludwigshafen mit eben mal siebzig Plätzen, und für den Landeshaushalt sind das bereits siebzig Plätze zuviel. „Für eine sozialtherapeutische Abteilung in ihrer JVA fehlt uns das Personal und das Geld“, ließ der Justizminister denn auch den Diezer Anstaltsleiter und die Gefangenenvertreter wissen.
Allein die dazu notwendigen baulichen Maßnahmen, damit dürfte der Minister Türen ohne Riegel und mit einer Klinke außen und innen gemeint haben, könne niemand bezahlen. Ähnliches hatte auch schon der Wittlicher Anstaltsleiter Niermann seinen Gefangenensprechern kundgetan. „Es gibt nicht einen Gefangenen, der sich nicht resozialisieren möchte“, spricht Bernd aus der JVA Diez eine deutliche Sprache: „Nur ist es so, daß die dazu notwendigen Reformen noch immer auf sich warten lassen und die einschlägigen Bestimmungen allenfalls zögerlich umgesetzt werden. Unser Strafvollzug wird nämlich von Bürokratie und festgefahrenen Strukturen getragen; niemand – vom Direktor bis hinunter zum Abteilungsleiter oder Stationsschließer – möchte etwas ändern und bemüht sich, die Dienststelle im alten Trott weiterzuführen.“ Und Minister Cäsars Argument, Resozialisierungsmaßnahmen müßten aus Kostengründen zurückgestellt werden? „Das ist Augenwischerei! Wenn man bedenkt, welche Kosten ein einziger Rückfall verursacht, mal ganz abgesehen von dem damit verbundenen menschlichen Leid, widerlegt sich dieser Gesichtspunkt doch ganz von allein!“
Herbert sieht das nicht anders. „Wenn ich in den fünf Jahren, die ich zuvor hier war, ein bißchen Unterstützung bekommen hätte, wäre das mit meinem Rückfall gewiß nicht passiert“, resümiert er.
Herbert sitzt jetzt wegen Totschlags ein. Den Angehörigen seines Opfers mag nicht ganz einleuchten, daß ihr Ehemann, Sohn und Vater noch leben könnte, wenn man nicht mit den Kosten für eine wirksame Resozialisierung geknausert hätte. Minister Cäsar sollte es ihnen erklären.
D. K. Albert JVA Diez
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