Resozialisierung? Lieber nicht!: Oberstes Vollzugsziel: Strafe
Im Februar könnte der Strafgefangene Daniel W. mit einem Bafög-finanzierten Studienplatz aus der JVA Bremen entlassen werden - aber die Anstaltsleitung funkt dazwischen
BREMEN taz | Daniel W. ist ein Exot unter den Gefangenen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bremen, denn er studiert „Imaging Physics“ an der Hochschule Bremen. Zwei Klausuren und die Bachelor-Arbeit fehlen ihm, um an der Uni weiter studieren zu können. Doch nun, gut zwei Monate vor seiner möglichen Haftentlassung, macht ihm die Anstaltsleitung einen Strich durch die Rechnung.
Seit vier Jahren sitzt der 32-Jährige wegen wiederholten Drogenhandels im Gefängnis: „Trotz einer Bewährungsstrafe hat W. wieder mit Drogen gedealt, um sein Studium zu finanzieren“, sagt W.’s Vollzugshelfer Ingo Straube. „Zwanghaft“ sei W.’s Fixierung aufs Studium, „aber nur ein solcher Mensch kann im Knast ein schweres Studium durchziehen.“ Das schrieb er auch, damals noch als JVA-Psychologe, während W.‘s Untersuchungshaft in seine Vollzugsplanung: „Der schizoide Persönlichkeitstypus (...) fördert genau das Berufsziel, das er zu erreichen anstrebt.“
In W.’s Urteil wurde das berücksichtigt: Strafmildernd galt „die beachtliche Energie, trotz emotionaler Überforderung und fehlender Unterstützung, eine anspruchsvolle berufliche Qualifikation zu erlangen und dieses Ziel auch aus der Untersuchungshaft weiterhin erfolgreich zu verfolgen“. Vollzugsziel sei die Beendigung des Studiums.
Also durfte W. im Gefängnis weiter studieren, „aber immer wieder“, so W.’s Anwalt Philipp Marquort, „bekam er ohne Angabe von Gründen keinen Freigang zur Hochschule, immer wieder wurden Ausgangszeiten kurzfristig verändert“. Im Herbst 2012 musste W. sogar ein Semester pausieren. Er soll damals die Wochenend-Arbeit, die er in der JVA verrichten musste, verweigert haben.
„Dabei hatte er offiziell frei, um sich auf eine Klausur vorzubereiten“, sagt Straube. Ein Missverständnis, trotzdem befand die JVA: Ein Studium sei bei W. kontraindiziert – und stellte sich damit gegen das erklärte Vollzugsziel. Das wurde später freilich wieder aufgenommen, „aber die Schikanen gingen weiter“, sagt Straube.
Im September, als W. wieder einmal nicht raus durfte, gab Marquort die Angelegenheit zur Prüfung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts: „Und dort warten sie bis heute auf die notwendigen Unterlagen aus der JVA“, sagt er. Nun hat er die Sache „ergänzt“, wie er es nennt, denn W. darf seit einer Woche gar nicht mehr studieren.
„Nur vorläufig“, sagt dazu JVA-Leiter Carsten Bauer, „denn natürlich soll Herr W. seinen Bachelor machen.“ Allerdings habe der die Abgabe der Arbeit verschoben, ohne das der JVA mitzuteilen, „und die Teilnahme an Kursen für die Zulassung zum Master-Studium waren gar nicht mit uns abgesprochen“.
„W. hat seine Bachelorarbeit aufgrund von Ausgangssperren und der Belegung von Vorkursen verschoben“, sagt Marquort. Dafür habe ihm die Uni einen Härtefallantrag genehmigt „und ihm bereits einen neuen Abgabetermin gegeben.“ Die Anstaltsleitung sei darüber informiert; Bestätigungen darüber habe W. beim Abteilungsleiter des offenen Vollzugs abgegeben.
Zwei Klausuren müsse W. noch schreiben, dann könne er seine Bachelorarbeit schreiben: „Und danach kann er im April sein Masterstudium beginnen und bekäme dafür Bafög – er wäre dann also auch finanziell versorgt“, sagt Marquort. Das ist nicht unwichtig, denn W. befindet sich in „Entlassungsvorbereitung“: Im Februar wird er zwei Drittel seiner Strafe abgesessen haben und kann dann auf Bewährung frei kommen: „Er muss dafür eine gesicherte Existenz nachweisen“, sagt Marquort.
Die steht nun auf dem Spiel, denn die Klausuren sind auf Dezember und Januar terminiert: „Wenn W. die verpasst, muss er ein Semester lang auf die nächste Chance warten und bekäme danach wegen der zu langen Studienzeit kein Bafög“, sagt Straube. JVA-Leiter Bauer ist das egal: „Herr W. soll seinen Bachelor machen, aber wann, das müssen wir sehen – in erster Linie ist er Strafgefangener und hat eine Strafe zu verbüßen.“
„In erster Linie“, sagt indes Marquort, „soll ein Gefangener resozialisiert werden – dieses Vollzugsziel wird bei W. gerade zunichte gemacht.“ Und Ingo Straube hat vergangene Woche einen Beschwerdebrief an Bremens Justizstaatsrat Matthias Stauch geschickt, in dem es unter anderem heißt: „Hier wird die Zukunft eines Gefangenen zerstört, der sich aktiv für seine Zukunft und fleißig für seine Integration in das Arbeitsleben über das Studium einsetzt.“
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