: Reservistenglück
■ Bankdrücker als Protagonisten des 1:1 zwischen 1860 und Karlsruher SC
München (taz) – Werner Lorant, gewöhnlich ein Mann von schroffem Charme, kann gelegentlich sehr gütig sein. Vergangene Woche noch, beim Gastspiel des TSV 1860 in Hamburg, hatte er Horst Heldt auf der Tribüne sitzen lassen, kein Platz im Team für den Mittelfeldspieler, der für die Löwen-Rekordsumme von zwei Millionen Mark aus Köln nach München gekommen war. Und die Aussicht, fürderhin wenigstens die Ersatzbank anwärmen zu dürfen, schien gering, weil Heldt, der 1,69 Meter kleine Dribbelkünstler so „leicht zu übersehen“ ist, wie die Süddeutsche Zeitung sein Dilemma beschrieb. Aber Lorant, der freundliche Fußballehrer, hat den Überblick behalten, weshalb Heldt beim 1:1 gegen den Karlsruher SC im Olympiastadion plötzlich ein ziemlich Großer wurde: Dank seiner Vorlage glich Daniel Borimirow den Führungstreffer des Südafrikaners Sean Dundee aus und rettete den Löwen im „schlechtesten Spiel der Saison“ (Olaf Bodden) einen Punkt.
Ausgerechnet Borimirow, der vielverschmähte Torjäger der Sechziger: Sechs von 13 Toren seiner Mannschaft hat er in dieser Saison erzielt, sein Stammplatz aber ist trotzdem nur auf der Reservebank. Und gegen den KSC durfte er einzig deshalb mitmachen, weil Mittelstürmer Bernhard Winkler nach 20 Minuten mit verhärtetem Muskel ausgewechselt wurde. Ob der Bulgare mit seiner engagierten Leistung nun genug Eigenwerbung betrieben hat? „Der Trainer entscheidet das“, sagt Borimirow. Und der Trainer pflegt zumeist den spontanen Entschluß, weshalb für Euphorie kein Anlaß besteht. Ähnlich sieht das auch Horst Heldt.
Das eint die beiden mit dem Karlsruher Torschützen: Sean Dundee, 22 Jahre alt und vom Regionalligisten TSF Ditzingen gekommen, hat in München sein erstes Bundesligaspiel von Beginn an bestritten, aber ob es deshalb gleich „gut aussieht für einen Stammplatz in der Mannschaft“, wie er nach dem Spiel befand? Weil er bereits gegen Uerdingen die beiden KSC-Treffer erzielte, steht Trainer Winfried Schäfer zumindest vor einem pikanten Problem. Einerseits würde er den ballgewandten jungen Mann gern in die erste Elf beordern, andererseits will er dessen Talent nicht verheizen. „Der soll erstmal reifen, der hat noch einen langen Weg vor sich“, sagt Schäfer.
Wir haben jedenfalls aus den endlos öden neunzig Minuten gelernt, daß sich die Kicker anstrengen können, wie sie wollen — auf die Güte ihrer Übungsleiter sind sie dennoch angewiesen. Markus Götting
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