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Requiem für einen Mörder

■ Premiere in Bremerhaven: „Roberto Zucco“ / Kein Fall für Analytiker

Am Anfang sind minutenlang lautpochende Herzschläge zu hören. Wenn sich der Vorhang hebt, tritt ein Saxofonist ins Scheinwerferlicht. Sein kühl-melancholisches Solo leitet über zum ersten Bild: Ein kahler Gefängnis-Hof, links eine metallisch glänzende, rechts eine steinerne Seitenwand, hoch oben eine schmale Brücke, die ins Nichts führt. Nirgendwo Fenster oder Türen. Wenn Figuren kommen und gehen, öffnen sie lautlose Wände.

Dies einfache, faszinierende Bild (Wolf Gross) ist das Grundmuster für alle Szenen des Schauspiels „Roberto Zucco“, das jetzt im Großen Haus des Stadtthaters Bremerhaven Premiere hatte. Bernhard-Marie Koltes hat kurz vor dem eigenen Tod dem Mörder Roberto Zucco ein Requiem geschrieben. Es ist ein Totengesang für einen Straßenjungen, der die Eltern, ein fremdes Kind, einen Polizisten umbringt, der ohne jeglichen Grund tötet und seine Schuld als einen Teil seiner selbst akzeptiert.

Das Stück weicht allen vordergründig sozialpsychologischen Deutungen aus. Sein Protagonist löst sich nicht auf in die bekannten, beruhigenden Erklärungsmuster: 50% traurige Kindheit, 25% mangelnde Bildung und ein Rest Bosheit. Der literarische Roberto Zucco, dem die reale Geschichte des gleichnamigen Mörders zugrundeliegt, ist kein Fall für Analytiker oder mitleidige Herzen. Er ist eine Figur, die ein Skandal bleibt, ein undurchschaubarer Außenseiter, ein mörderischer Götterbote, den zu berühren tödlich sein kann.

Manfred Repp, Oberspielleiter am Stadttheater, hat den Mut gehabt, das schwierige und schwer zu spielende Stück auf einer Bühne zu inszenieren, die in den letzten Jahren mit großem Schauspiel wenig Furore machen konnte und ins komisch-klamottenhafte abzuschwenken droht. Mit „Roberto Zucco“ zeigt er nicht nur, was er selber kann, sondern auch, zu welcher Glanzleistung die Bremerhavener Bühne imstande ist, wenn ein leidenschaftlicher Bildermacher den Apparat und das Ensemble in Bewegung setzt.

Manfred Repp faßt den Gedanken, den er den 15 Szenen des streng komponierten Stückes zugrundelegt, in ein schlüssiges Bild: Die Welt ist für Roberto Zucco ein Gefängnis und alle anderen Orte, ob draußen oder drinnen, ob Elternhaus oder Freundin, Rotlichtviertel, Park oder Metro-Station, sind nur geringfügige Variationen dieses Gefängnisses. Die Menschen führen zwischen diesen Wänden, selbst wo sie miteinander reden, nur Selbstgespräche. Bis auf Roberto Zucco scheint das niemand zu merken. Daß seine Einsamkeit nicht nur von den Umständen rührt, sondern viel tiefer und auch im eigenen Körper liegt, zeigt der Schauspieler Michael Thalheimer mit einer atemberaubenden Unmittelbarkeit und Intensität. Lautlos, zeitlupenhaft-pantomimisch bewegt er sich wie in Trance zwischen den anderen, zwischen einer Gesellschaft ins sairisch-groteske überzeichneter Typen. Es ist Michael Thalheimer zu verdanken, daß der animalische Junge im Soldaten-Drillich nicht ins Kitschig-Pathetische abgeleitet, daß über mehrere Stunden die Spannung gehalten wird und die Massenszenen nicht ins Schwankhafte umkippen.

Roberto Zucco packt und spaltet sein Publikum im besten Sinn.

Manfred Repp gibt allen Nebenfiguren eindeutige Tricks, körperliche Zeichen ihrer inneren Zerstörung, die nicht alle DarstellerInnen überzeugend ausspielen können. Dennoch bleibt die Balance bewahrt. Eine außerordentliche schauspielerische Leistung ist zu besichtigen, ein stimmiges Bühnenbild, gelungene Saxofon- Intermezzi (Martin Pawassar, Marek Nowak). Das sollte ausreichen, um ein großes Publikum anzuziehen. In Bremerhaven verließen viele schon in der Pause das Theater. Roberto Zucco packt und spaltet sein Publikum im besten brechtschen Sinn. Der Beifall der Dagebliebenen war heftig. Hans Happel

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