: Republikaner in der Klemme
„Wir haben hier das Gefühl, daß Reagans Ding gelaufen ist. 1988 werden wir etwas sehr Neues und sehr Großes erleben.“ Ivan Embrekts, Collegestudent in Iowa im Mittleren Westen der USA, der dies sagt, hatte gerade einen ersten Eindruck von jenem „Neuen und Großen“ gewinnen können, das da nach seiner Ansicht am Horizont heraufzieht. Joe Biden, demokratischer Senator aus Delaware, hatte zu ihm und 300 Kommilitonen gesprochen, hatte von einer „fundamentalen und historischen Wasserscheide für die amerikanische Politik“ geredet und verkündet, es sei an der Zeit, das Land „von den Dämonen und Dogmen der Vergangenheit zu befreien“. Daß Joe Biden gerne selbst Präsident werden möchte, ist nach derlei rhetorischem Bombast leicht zu erraten. Interessant ist eher die Veränderung, die in der Richtung seiner Worte anklingt: fundamentale Wasserscheide? Während noch vor vier Monaten Ronald Reagan überlebensgroß über allem schwebte, was mit den Präsidentschaftswahlen im November 1988 zu tun hatte, und jeder potentielle Kandidat voll Ehrfurcht vor dem Charisma und der Popularität Reagans erstarrte, ist nun der Anti–Reagan gefragt, wünscht man sich einen Präsidenten, der die Zügel in die Hand nimmt und durch Kompetenz statt durch gewählte Worte überzeugt. „Irangate“ und die defensive und ungeschickte Reaktion der Mannschaft im Weißen Haus auf die nahezu täglichen Enthüllungen haben die Karten für den nächsten Wahlkampf neu verteilt. Die Affaire um die Waffenlieferungen an das Khomeini–Regime und die illegale Abschöpfung der Profite für die Antisandinisten in Mittelamerika droht vor allem die republikanischen Bewerber, und in erster Linie den derzeitigen Vizepräsidenten George Bush, den Rest des Jahres zu begleiten. Der am Donnerstag veröffentlichte Untersuchungsbericht der von Reagan ernannten Tower– Kommission hat der Administration rundweg völliges Versagen vorgeworfen. Erste Meinungsumfragen machen deutlich, daß vor allem der Präsident von der Bevölkerung nicht mehr als politisch ernstzunehmende Figur betrachtet wird: Nur noch 44 Prozent heißen seine Amtsführung gut, und 31 Prozent halten laut Newsweek Reagans Rücktritt für den angemessenen Schritt. Düstere Aussichten sind dies vor allem für Reagans Partei, denn es sind zwar noch 50 Wochen hin, bis die Wähler in Iowa mit der Kür der Präsidentschaftskandidaten beginnen werden, doch schon seit mehreren Wochen werden dafür die Startlöcher gegraben; in Iowa und New Hampshire, den beiden US–Bundesstaaten, in denen im nächsten Februar die ersten „Caucuses“ oder Vorwahlen stattfinden, gab sich das runde Dutzend Bewerber schon seit längerem die Türklinken zu Hochschulen, Altersheimen und lokalen Parteiversammlungen in die Hand und sammelte Unterstützer. Auch Vizepräsident Bush versuchte sich vor gut zwei Wochen in Iowa abermals in der schwierigen Übung, einerseits Loyalität zum amtierenden Präsidenten zu demonstrieren, andererseits jedoch der öffentlichen Kritik an dessen Verfehlungen vorzugreifen. Bisher hat sich Bushs Taktik darauf beschränkt, Reagan im Zugeben von Fehlern um einige Tage und geringe Nuancen der Wortwahl vorauszueilen. Nicht nur auf die neuen Anwärter auf das Weiße Haus hat „Irangate“ profunde Auswirkungen, sondern auch auf Reagans Mannschaft selbst. Sechs hohe Mitarbeiter sind in den letzten beiden Wochen zurückgetreten oder ihr Abtritt wurde in den Medien angekündigt. Der Exodus aus den Korridoren der Macht mag darin begründet sein, daß das Politikmachen in einer belagerten und zerstrittenen Administration keine Befriedigung mehr vermittelt, ein anderer ist sicherlich, daß für viele Reagan–Mitarbeiter der November 1988 ohnehin das Ende ihrer politischen Karriere bedeuten wird und anderswo auch jetzt schon mehr Geld zu machen ist. Unter all den ausscheidenden republikanischen Hardlinern ist Pat Buchanan der einzige, der um der politischen Effektivität willen geht. Buchanan hatte Anfang Dezember in einem zornigen Beitrag für die Washington Post seine Parteikollegen im Kongreß als „verdammtes Pack“ beschimpft, das sich seit dem Ausbruch der Iran–Affaire „in die Büsche geschlagen“ habe, anstatt seinen Präsidenten zu verteidigen. Für kurze Zeit im Januar hatte er mit dem Gedanken an eine eigene Präsidentschaftskandidatur gespielt, dann jedoch mit Rücksicht auf die Bewerbung Jack Kemps, eines weiteren republikanischen Ultras, zurückgesteckt. Doch die republikanischen Parlamentarier hatten gute Gründe, einigen Abstand zwischen Reagans außenpolitische Abenteuer und ihre eigenen Karrieren zu bringen. Diese gilt es ebenso zu retten wie die zentralen legislativen Anliegen der Partei, die durch die „Irangate“–Affaire diskreditiert worden sind. Schon fürchtet der rechte Rand der Partei, daß die Unterstützung antikommunistischer Rebellenbewegungen in der Dritten Welt schwieriger werden könnte. Ein Sprecher der erzkonservativen „Heritage–Foundation“ etwa äußerte kürzlich, falls die neuerliche Contra–Finanzierung im Kongreß scheitern sollte, würde die Opposition sicherlich als nächstes die Unterstützung für die UNITA in Angola aufs Korn nehmen. Die Vorwahlen im nächsten Jahr werden sehr rasch erkennen lassen, ob der rechte Flügel der republikanischen Partei die starke Position halten kann, die er vor allem zu Beginn der Reagan– Ära innehatte. Mit dem New Yorker Abgeordneten Jack Kemp haben die wahren Reaganisten einen Bewerber im Rennen, der die Versatzstücke ihrer Ideologie predigt, als befände er sich noch im Wahlkampf von 1980. „Supply Side“–Ökonomie (Angebotsökonomie), fanatischer Antikommunismus und Antiliberalismus sowie eine rigide Gegnerschaft zu jeglicher Entspannungspolitik sind Kemps Grundpfeiler. Eine Gefahr für ihn besteht vor allem in der Person des Evangelisten Pat Robertson, der gleichfalls Unterstützung für eine Kandidatur sammelt. Bisher wird keinem der beiden Ultras eine ernsthafte Chance gegeben, die Nominierung wird sich wohl zwischen George Bush und dem Minderheitsführer im Senat, Robert Dole, entscheiden. In den letzten Umfragen hat Dole in Iowa Bush bereits überholt. Nachdem mit Howard Baker, dem neuen Stabschef Reagans, ein weiterer aussichtsreicher Bewerber ausgeschieden ist, sind Doles Chancen weiter gestiegen.
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