Repression im Iran: Kleine Freiheit: Teehaus
Ein gutes Jahr nach der "Grünen Revolution" ist die Stimmung im Iran angespannt. Vor allem die Jungen verachten das Regime - und versuchen doch, ein normales Leben zu führen.
Aus dem Autoradio dröhnt persische Popmusik, begleitet von orientalischen Gesängen. Alireza dreht auf, fährt Schlangenlinien im Rhythmus, schüttelt seinen Oberkörper und singt mit. Er liebt die persische Kultur und kennt fast alle Lieder auswendig - moderne wie traditionelle. Neben ihm sitzt sein Freund Farsad, auch er singt laut mit, die Fenster sind heruntergekurbelt. Ein Polizeiwagen taucht auf. Alirezas Oberkörper erstarrt, seine Handbewegungen, mit denen er eben noch die Musik begleitet hat, gehen fließend über in ein unauffälliges Kratzen am Ohr. Tanzen ist in der Islamischen Republik Iran verboten. Wie fast alles, was Spaß macht. Und es ist ratsam, sich daran zu halten.
"Wir Iraner haben Angst", sagt Alireza. Bekannte von ihm sind in den letzten Monaten spurlos verschwunden. Er vermutet, dass sie im Gefängnis sitzen. Sie wurden eines Nachts abgeholt, seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihnen.
Alireza und Farsad, die beide eigentlich anders heißen, betreten ein Teehaus am Rande der Stadt. Die beiden sind Ende zwanzig. Im Garten wachsen Platanen, in der Mitte sprudelt ein Springbrunnen. Die beiden werden von einem Kellner begrüßt und gehen einen Weg entlang, an dessen Ende ein Zelt aufgebaut ist. Darin stehen an den Wänden mit Teppichen bedeckte niedrige Podeste. Junge Leute trinken Tee, essen klebrige Süßigkeiten, viele rauchen Wasserpfeife. Auch Frauen, für die das verboten ist. Sie sind geschminkt, haben die Haare sorgfältig frisiert. Viele tragen Highheels, die sie ausziehen, bevor sie sich auf das Podest setzen. Paare berühren sich unauffällig, auch das ist verboten. Ärmel rutschen bis zum Ellenbogen hoch, das Kopftuch wird zum modischen Accessoire.
Hunderte von Teehäusern, die größtenteils am Rande der Stadt liegen, ersetzen die Tanzlokale, die während der islamischen Revolution geschlossen worden sind. Nirgends sonst wird so sichtbar und gleichzeitig so unbeschwert gegen die Unfreiheit rebelliert wie in den Teehäusern. Die Gesetze in der Islamischen Republik lassen sich dehnen wie frische Äste. Aber man muss wissen wie weit, sonst schnappen sie mit aller Wucht zurück.
Auf dem Heimweg schlendern Alireza und Farsad durch die Straßen und bleiben auf einem Platz stehen. Farsad erzählt von den Bahai, einer in Iran verfolgten Religionsgemeinschaft. Darüber zu sprechen ist verboten. Alireza wirkt unruhig. "Psst, leise, vielleicht sind hier Mikrofone installiert", flüstert er. Farsad lacht. Aber Alireza meint es ernst. Niemand weiß, wann und wo der Geheimdienst mithört.
Seit den Wahlen denken immer mehr Iraner darüber nach, das Land zu verlassen. Vor allem die jungen. Und vor allem viele Frauen. Auch Alireza und Farsad spielen mit dem Gedanken. Sie träumen davon, in die USA auszuwandern oder nach Europa; ein beliebtes Ziel ist Deutschland. Alireza war schon mehrmals dort, die Menschen sind ihm sympathisch, und er lobt die deutsche Politik. Wie viele Iraner kennt er die Freiheiten und Perspektiven, die ihm im Ausland geboten würden. Aber er weiß auch, was ihm fehlen würde: seine Familie, seine Sprache, seine Kultur. Er ist stolz auf sein Land, daran ändert auch die schlimmste Regierung nichts.
Alireza bereitet in der Küche einen kleinen Imbiss vor. Er holt eingelegte Bohnen, Maiskolben, Oliven aus dem Kühlschrank, dazu amerikanischen Whiskey. Alkohol ist in Iran verboten, jede Flasche muss auf Eselsrücken aus der Türkei oder dem Irak ins Land geschmuggelt werden. Denn ein iranisches Sprichwort besagt: Wer Alkohol trinkt, fängt an, über Politik nachzudenken. Und nichts will die Regierung dringender verhindern als das.
Alireza schaltet den Fernseher ein. CNN, Nachrichten. Er empfängt auch alle anderen ausländischen Sender, die ihn interessieren. Wie die meisten Iraner, die einen Fernseher besitzen, hat er dank Satellitenfernsehen ein differenziertes Bild davon, wie sein Land in der Welt wahrgenommen wird. Genauso problemlos gelangt er mithilfe einer Anti-Filter-Software auf gesperrte Internetseiten. Eine davon ist Facebook. In Internetcafés lässt sie sich nicht öffnen. Aber fast alle jungen Iraner und Iranerinnen haben, genau wie Alireza und Farsad, ein Facebook-Profil.
Wenn Alireza gefragt wird, welche politische Zukunft er sich für sein Heimatland wünscht, dann zeigt er auf seine Wohnzimmerwand. Dort hängen Zeichnungen von König Kyros dem Zweiten. Er hat Persien im sechsten Jahrhundert vor Christus regiert und gilt vielen Persern noch jetzt als idealer Herrscher. Auch Alireza bewundert ihn: "Damals durfte jeder die Religion seiner Wahl ausüben, und es herrschte Meinungsfreiheit - vor mehr als zweitausend Jahren waren wir weiter als heute."
Auf einem Regalbrett steht eine nachgebildete Schriftrolle aus der gleichen Zeit. "Gutes tun, Gutes sagen, Gutes denken" steht auf drauf. Alireza liest den Satz mehrmals laut vor wie ein Mantra. "Die Achämeniden-Dynastie ist der wahre Ursprung unserer Geschichte, lange bevor die Mullahs nach Iran gekommen sind", sagt er ehrfürchtig. Schon oft sind Farsad und Alireza am Grab von Kyros dem Zweiten gewesen, einem Ort, den es möglicherweise schon bald nicht mehr geben wird: Die iranische Regierung will einen Staudamm bauen und das Tal fluten lassen.
Es heißt, siebzig Prozent der Iraner sind gegen die Regierung. Nicht alle wünschen sich wie Farsad und Alireza eine säkulare Demokratie. Viele von ihnen unterstützen grundsätzlich die Islamische Revolution. Aber sie fühlen sich durch die gefälschten Wahlen von der Regierung betrogen, sie sehen ihr Vertrauen missbraucht. Und sie mögen es nicht, wie Ahmadinedschad den Ruf ihres Landes ruiniert. Außerdem schwächelt die Wirtschaft seit Jahren. Zehn Prozent, schätzt man, sind gleichgültig, und zwanzig Prozent unterstützen das Regime. Dank der Öleinnahmen und einem sehr regimetreuen Militär genügt das, um die Regierung an der Macht zu halten.
Es ist Donnerstagabend, Alireza und Farsad haben von einem besonders guten Restaurant gehört - einem der wenigen in Iran, in denen Life-Musik erlaubt ist. Wie die meisten liberaleren Orte liegt es außerhalb der Stadt. Es ist ein Restaurant unter freiem Himmel. Als Alireza und Farsad sich nach einem Tisch umsehen, müssen sie feststellen: Der beste Platz direkt am Wasserbecken ist schon belegt. Als sie sehen, wer dort sitzt, verstummen sie kurz. Es ist der iranische Ölminister höchstpersönlich - in Begleitung einer Gruppe elegant gekleideter Herren. Alireza und Farsad haben den Politiker bisher nur in den Nachrichten gesehen, aber sie erkennen ihn sofort. Sein Tisch steht direkt neben der Bühne, auf der ein Sänger und zwei Musiker persische Lieder vortragen. Die anderen Gäste halten Abstand und flüstern. "Solche Lügner", flucht Alireza, als sie sich einen Tisch außer Hörweite suchen, "erst verbieten sie Live-Musik, und dann besetzten sie die wenigen Restaurants, in denen noch gespielt werden darf."
Auf dem Rückweg halten Alireza und Farsad an einer Tankstelle. Ein Hund lungert am Straßenrand herum. Er scheint keinen Besitzer zu haben. Hunde gelten in Iran als schmutzig, niemand würde auf die Idee kommen, sie an der Leine spazieren zu führen. Wer aus Versehen einen berührt, wäscht sich sofort die Hände. Alireza reckt das Kinn Richtung Fenster, tippt Farsad auf die Schulter und ruft in gespielter Überraschung: "Guck mal, da läuft Ahmadinedschad!" Der Hund bellt. "Ich glaube, der redet gerade mit Obama!", Alireza lacht ihn lauthals aus - mit all dem aufgestauten Ärger, den er sich sonst verkneifen muss.
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