Repräsentant des anderen Afghanistan

■ Abdul Qayyum Rahbar ermordet: Ein Mann zwischen Kommunismus und Islamismus

Berlin (taz) - „Nationale Unabhängigkeit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit“ - unter diesen Leitgedanken hatte sich 1978 ein breites Bündnis unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft der Nationalen Einheitsfront Afghanistan (NEFA) zusammengeschlossen. Am 27. Januar 1990 fiel der Mitbegründer und spätere Führer der NEFA, Dr. Abdul Qayyum Rahbar, in Hayat Abad (Peshawar) einem Mordanschlag zum Opfer. Qayyum war der Repräsentant des unabhängingen Widerstands, der eine demokratische Alternative verkörpert in der gegenwärtigen Polarisierung zwischen Kommunismus und Islamismus. Am Sonntag, dem 28.1.1990, wurde Qayyum in Frankfurt erwartet - zu Gesprächen mit Spitzenpolitikern verschiedener europäischer Parteien.

Zu Unrecht wird der afghanische Widerstand mit den radikalen islamistischen Parteien gleichgesetzt, die erst durch die internationale Hilfe, sei es von den USA, Pakistan, Iran oder Saudi-Arabien, entstanden. Es war die NEFA, ein breites Bündnis nationaldemokratischer Kräfte, das den Widerstand unmittelbar nach dem kommunistischen Putsch 1978 aufnahm. Schon ein Jahr später kontrollierte das Bündnis die Regionen Afghanistans bis auf die großen Städte.

Erst nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen Ende 1979 sorgten die großzügigen internationalen Spenden und Hilfsaktionen ausschließlich für die Etablierung und Stabilisierung der islamistisch-fundamentalistischen Parteien. Für alle Afghanen, die sich nicht eindeutig den Kommunisten oder Islamisten unterwarfen, begann ein grausamer Kampf ums Überleben. Ein erheblicher Anteil am Leiden der Bevölkerung wurde durch den Terror der islamistischen Parteien verursacht, die im Sinne ihrer Geldgeber Iran, Pakistan oder Saudi-Arabien versuchen, Einflußsphären zu sichern.

Qayyum war gerade von einer längeren Reise aus den von Mudschaheddin besetzten Gebieten zurückgekommen, wo er Lösungsmöglichkeiten für den Konflikt erörterte. Ihm wurde bestätigt, daß innerhalb Afghanistans beide Regierungen, die von Moskau ausgehaltene in Kabul sowie die von Pakistan abhängige, von der Bevölkerung abgelehnt werden. Nicht nur die Abhängigkeit von ausländischen Mächten wird ihnen zum Vorwurf gemacht, sondern auch Korruption, Rauschgift- und Waffenhandel etc.

Qayyum, für den die Wiedererlangung der nationalen Unabhängigkeit und die Etablierung demokratischer Rechte für Afghanistan Lebensziel waren, trat immer für die politische Lösung unter Beteiligung aller Kriegsparteien ein und widersetzte sich den Bestrebungen, die den Konflikt militärisch lösen wollten.

Selbst der Rückkehr des alten Königs Zahir Schah stimmte er unter der Voraussetzung zu, daß sie Frieden und Freiheit für das geschundene afghanische Volk bringen würde. Ein schwerer Schritt für einen Mann, dessen Großvater (ein angesehener pir der Naqshbandi-Bruderschaft) und Vater unter dem König als Rebellen hingerichtet wurden und der wie sein legendärer Bruder Madjid Kalakani mehrere Jahre ungerechtfertigt in Gefängnissen einsaß und gefoltert wurde.

Dennoch verfolgte Qayyum, der Gesprächspartner mehrerer Staatsoberhäupter war und bei Parlamentariern und Gewerkschaften in Europa und Lateinamerika hohes Ansehen genoß, unbeirrt seinen Weg. Qayyum, der von den Islamisten als „Maoist“ abgestempelt wurde, studierte acht Jahre lang an der Al-Azhar-Universität in Kairo islamisches Recht. Über das Max-Planck-Institut kam er später in die Bundesrepublik, wo er unter anderem an der Universität Kiel unterrichtete und am Deutschen Orient-Institut in Hamburg Forschungsarbeiten ausführte. Als Gastredner an zahlreichen Universitäten (unter anderem an der FU Berlin) und Akademien Eruopas und Lateinamerikas erwarb er sich den Ruf eines besonnenen Intellektuellen mit tiefer humanistischer Bildung.

Der 48jährige Widerstandsführer hinterläßt eine Frau und zwei Töchter. Es mag einige Jahre dauern, bis die demokratische Mitte unter den Afghanen wieder eine staatsmännische Persönlichkeit von Range Qayyums vorweisen kann.

Khalid Duran/Michael Pohly