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■ Replik auf Horst-Eberhard Richters InterventionskritikZeitalter „planetarischer Politik“

Horst-Eberhard Richter ist beleidigt, weil die Menschenwelt, ohne seine moralischen Maßstäbe zu beachten, eine neue Seite der Zivilisationsgeschichte aufgeschlagen hat. „Planetarische Politik“ jenseits der im nachhinein betrachtet relativ den Frieden bewahrenden Blockkonfrontation, der Zeit des großen kalten Friedens, steht auf der Tagesordnung. Welche Spielregeln hier gelten werden, wer die Karten wie mischt, wird im neuen alten Menschenspiel von Macht, Politik und humanistischem Anspruch in der Praxis des politischen Entscheidens festgeschrieben. Ein fester Werterahmen scheint dabei weniger als jemals zuvor zur Verfügung zu stehen. Jenseits aller philosophischen Systeme und religiösen Wahrheiten erweist sich unsere Spezies Mensch unter dem Anspruch universeller Geltung von Vernunft und Menschenrechten als unberechenbarer denn je zuvor. Gerade heute, wo keine Ideologien mehr Herzen und Hirne vernebeln, kehren alle menschlichen Archaismen und atavistische Wildheit unverhüllt auf die politische Bühne zurück. Unsicherheit und Angst, der kurze Griff zu den eigenen Interessen als einzigem Maßstab für alles politische Handeln ist naheliegend. Regionalkriege mit immer unmittelbareren Scharnieren zu weltvernichtenden Kriegen aller gegen alle sind die Realität der nächsten Epoche der Zivilisation. Bitter, zum Verzweifeln, aber wohl wahr. Planetarische Zwänge der Zivilisation und regionale Interessen treten in unversöhnlicher Weise gegeneinander an. Sie müssen um einer Zukunft der Menschheit willen zu einem Ausgleich gebracht werden. Richters Frage danach, was militärische Interventionen bewirken können oder nicht bewirkt haben, kann nicht prinzipiell mit richtig oder falsch beantwortet werden. Wahr ist wohl nur, daß militärische Interventionen zum Schutz aller gegen Menschheitsverbrechen auch in Zukunft nicht prinzipiell ausgeschlossen werden können.

Richter gewinnt weder gegenüber den Wahrheiten des Menschseins jenseits aller Vernunft noch gegenüber der Realität der Geschichte brauchbare Argumente. Er versimpelt, wie schon immer, die Weltgeschichte auf den ewigen Kampf von Gut und Böse, von der hellen Klarheit der Vernunft und angeblich ausrottbaren militaristischen Trieben. Seine Argumentation verengt sich dabei zu einer sauer aufgeplusterten Moral, aus der der Welt, wird ihr nur geglaubt, Frieden und soziales Glück in den Schoß fallen soll, wie aus dem siebenten Himmel der ewigen Jagdgründe.

Wer aber den Menschenrechten und dem Frieden weltweit eine Chance geben will, wer dem Recht des Stärkeren die Geltung allgemein anerkannter, rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Regeln entgegensetzen will, der muß die historische Realität zur Kenntnis nehmen. Zu dieser Realität gehört, daß die wiedervereinigte Bundesrepublik nicht das alte Deutschland ist und doch die entscheidende Mittelmacht in Europa. Die neue Bundesrepublik muß die freiwillige Westbindung der alten Bundesrepublik, die ihren demokratischen Erfolg überhaupt erst ermöglichte, neu begründen und dennoch Europa nach Osten öffnen. Wie das zu bewerkstelligen ist, dazu fehlen bisher konzeptionelle und strategische Antworten. Gerade weil es heute eine planetarische Realität für die Politik gibt, aber auf absehbare Zeit keinen Weltstaat, bleiben die Nationalstaaten die einzigen völkerrechtlichen Subjekte einer Weltinnenpolitik. Nur Nationalstaaten bieten Sicherheit für die Durchsetzung der Menschenrechte nach innen und eine Chance für relativen Weltfrieden.

Die EG zum Beispiel muß deshalb direkt zu einem europäischen Nationalstaat entwickelt werden, oder sie war einmal. Nationalstaaten gewinnen ihre Sicherheit nach außen durch nichts anderes als die Fähigkeit, sich auch militärisch verteidigen zu können. Mit Militarismus hat das erst einmal nichts zu tun, aber in demokratischen Gesellschaften ist keine Perversion prinzipiell auszuschließen. Nur deshalb lohnt es sich, über Freiheit zu reden. Daß es in dieser Situation zu Militärbündnissen, wie der Nato, keine Alternative gibt, liegt ebenso auf der Hand, wie es unausweichlich sein wird, dem Völkerrecht weltweit Geltung zu verschaffen. Daß dennoch nationalstaatliche Interessen letztlich die entscheidende Begründung für jede zukünftige Intervention in regionale Konflikte bleiben wird, ist im Einzelfall unerträglich und ungerecht, spricht aber nicht prinzipiell dagegen.

Darauf zu verweisen, wie Richter und viele andere, daß ein internationales Gewaltmonopol erst gelten soll, wenn die UNO demokratisiert sei (in 100 Jahren?), ist ein unredliches Argument. Es geht von einer bereits vereinigten Weltgesellschaft mit einem gemeinsamen politischen Zentrum aus, das es sicher irgendwann einmal geben wird, das aber heute realpolitisch keine der notwendigen schweren Entscheidungen ersetzen kann.

Die demokratische Stabilität der Bundesrepublik wird sich daran beweisen, daß sie gerade wegen und mit ihrer verbrecherischen Geschichte in diesem Jahrhundert jetzt eine gleichberechtigte Rolle unter den anderen Nationalstaaten des Westens einnimmt und sich an den durch den Sicherheitsrat und die entsprechenden Bündnisse beschlossenen Kampfeinsätzen beteiligt. CDU und SPD sind in dieser Frage auf dem richtigen Weg. Auch wenn es zu lange dauert, gibt es prinzipiell zwischen beiden zu dieser Frage schon längst keine Differenzen mehr.

Die Demokratie ist nicht das Himmelreich. Sie ist „kalt und eisig“, wie Ralf Dahrendorf letzte Woche pessimistisch im Spiegel bemerkte.

Aber nur mit ihren formalisierten Entscheidungsmechanismen, ihren verrechtlichten Verfahren gibt es zumindest eine Chance, die planetarische Herausforderung des nächsten Jahrhunderts zu bewältigen. Richters schal gewordener Moralismus, seine Litanei von den ewig bösen Deutschen, hat mit der Realität der Bundesrepublik heute nichts mehr zu tun. Sie ist nicht mehr als die uneinlösbare Sehnsucht nach den schönen alten Zeiten friedensbewegter Sicherheit in den einfachen Verhältnissen der weltumspannenden Blockkonfrontation.

Richters Musik ist von gestern. Sie ist belanglos. Udo Knapp

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