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Repatriierungsbewegung in GangUmstrittene Menschensammlungen

Indigene Völker fordern seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmend die einst verschleppten Schädel und Skelette ihrer Vorfahren zurück.

Zwei Schädel von Sklaven oder Maori-Ahnen aus Neuseeland – genau überliefert ist es nicht. Bild: dpa

Eine 26-jährige Studentin der Ethnologie, die großen Augen ernst auf einen alten Katalog geheftet, vervollständigt mit der rechten Hand eine neue Liste in ihrem Notebook. Mit der linken wendet sie vorsichtig ein Skelett um. Dann seufzt sie: "Schon wieder keine Nummer drauf!"

So könnte es ausgesehen haben, als Sarah Fründt von August 2009 bis Juni 2010 die Bestandsaufnahme für ihre Magisterarbeit machte, Titel: "Die Menschensammler – Über den Umgang mit menschlichen Überresten im Übersee-Museum Bremen" (Tectum Verlag, 2011). Die Arbeit liest sich auch als spannende Einführung in die Historie hinter den großen anthropologischen Sammlungen.

Dass die sogenannten Human Remains, vor allem menschliche Schädel und Knochen, in den eigenen Magazinen nur unzulänglich erfasst sind, spricht nicht gegen das Bremer Übersee-Museum von heute. Der Drang, Schädel, Knochen und Skelette nach Europa zu liefern, nahm gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den damaligen Kolonien derart überhand, dass viele europäische Museen der eingehenden Objekte nicht mehr Herr wurden.

Hoffen auf reiche Ausbeute

Viele Anthropologen, Vertreter einer damals jungen wissenschaftlichen Disziplin, forderten immer neues messbares Material. Es gelang ihnen nämlich wieder und wieder nicht, aus der menschlichen Morphologie abzuleiten, was sie beweisen wollten: Der weiße Mann sei die Krone der Schöpfung.

Ein Viertel der heute 189 als Human Remains zu bezeichnenden Objekte allein in den Abteilungen Anthropologie und Archäologie des Übersee-Museums sammelten eigene Mitarbeiter aber auch gezielt ein. So zum Beispiel Ludwig Cohn, Assistent der Zoologie. 1912 schrieb er von der Insel Manus vor Neuguinea, die Ruhr-Epidemie dort habe nachgelassen, allerdings hoffe er als Folge davon "auf eine reichliche Ausbeute an Schädeln".

Verbrechen im Dienste der Wissenschaft, wie nach 1904 die Lieferung von Skeletten von Herero und Nama aus Todeslagern im damaligen Deutsch-Südwestafrika an die Berliner Charité, bildeten selbst in jener Zeit eine Ausnahme. Doch nahmen europäische Reisende den Tod der Einheimischen fremder Kontinente für ihre Sammlerzwecke billigend in Kauf. Und wenn sie die Verstorbenen entwendeten, pfiffen sie in der Regel auf die Einwilligung oder den oft schweren Kummer der Angehörigen.

"Mancherorts führte die hohe Nachfrage auch zu gezielten Bereitstellungen", schreibt Sarah Fründt, "so verkauften beispielsweise die Maori in Neuseeland bald die tätowierten Köpfe ihrer Sklaven und Feinde". Was die äußerst kunstvoll verzierten echten Ahnenhäupter namens Toi Moko betraf, so waren und sind deren Nachkommen verpflichtet, für sie zu sorgen, sie bei außerordentlichen Anlässen hervorzuholen und auch um Rat zu bitten.

Die Ahnen kommen zurück

Innerhalb einer inzwischen weltweiten Repatriierungsbewegung fordern seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts selbstbewusst gewordene indigene Völker die sterblichen Reste ihrer Ahnen zurück. Von ihnen allen haben die indigenen Australier und Neuseeländer die bisher größten Erfolge verbucht.

Nicht zuletzt, weil sich die Regierungen dieser Länder hinter sie stellten, dazu prominente Künstler und Stars wie der neuseeländische Musiker und Entertainer Dalvanius Prime. Auch das Übersee-Museum Bremen nahm 2006 eine Repatriierung an die Maori vor.

Es ist nur konsequent, dass sich Sarah Fründt nach ihrem Magisterabschluss an der Universität Bonn beim öffentlich-rechtlichen neuseeländischen Repatriierungsprojekt bewarb. Dieses heißt Karanga Aotearoa und verfügt im Te-Papa-Nationalmuseum in Wellington über ein festliches Versammlungshaus.

Sarah Fründt betrat es als Praktikantin. Im vergangenen Mai sah die Wissenschaftlerin dann die Überreste von acht Menschen nach Neuseeland zurückkehren: drei als Toi Moko und fünf als skelettale Überreste. Sie kamen aus Deutschland, Frankreich, Schweden und Norwegen zu einer "imposanten" Zeremonie, wie sie sagt.

Maori-Frauen nahmen helle Holzkästen mit den sterblichen Überresten aus Booten in Empfang und hüllten sie in in Pelzdecken, damit sie nicht froren. Später folgte ein langer Wechselgesang. Besonderen Eindruck hinterließ bei der Repatriierungskommission die Gesandte der schwedischen Botschaft. Als ausgebildete Sängerin trug sie ein schwedisches Trauerlied vor.

Seit 2003 wurden die Überreste von 26 Menschen durch ihre Iwis (Maori-Volksstämme) nach christlichem Brauch beerdigt. Nicht alle Maoris sind davon begeistert. Weil ein großer Teil der Köpfe und Knochen im Te-Papa-Nationalmuseum bis heute keinem Ursprungsort im Lande zugeordnet werden konnte, wird nun auch darüber diskutiert, für sie ein Mausoleum zu bauen. Über den Zugang zu ihnen soll dann die Karanga-Aotearoa-Kommission entscheiden. Warum nicht eines Tages auch mit Hilfe studierter Maori-Anthropologen?

Sarah Fründt hat für das Übersee-Museum in Bremen für den Umgang mit Human Remains Empfehlungen ausgearbeitet. Eine der ersten lautet: Ehrerbietig und aufrichtig auf Repatriierungs-Anfragen antworten!

"Mehr als einmal habe ich erlebt, dass große europäische Museen das Vorhandensein von Maori-Gebeinen oder Schädeln bei der ersten Anfrage abstritten, einige Jahre später aber zugaben", berichtet sie. Die Nachfahren der Erniedrigten sollten noch einmal für dumm verkauft werden, empört sie sich: "Die Begründung hieß dann sinngemäß: ,Ihr hättet eben damals hartnäckiger nachhaken müssen!'"

Gleichberechtigte Kulturen

Sie verstehe in einzelnen Fällen auch Museumsleute, die zum Beispiel aus wissenschaftlichen Gründen bestimmte Human Remains nicht hergeben wollten, meint die Ethnologin: "Aber dann müssen die auch offen zu ihrer Meinung stehen!"

Sarah Fründt fährt fort: "Jedes große ethnologische Museum hat zwei Gruppen von Dienstherren. Zum einen das eigene Publikum. Zum andern die indigenen Völker, von deren Kulturen es zeugt. Wenn es lebendig bleiben will, sollte es beide gleichberechtigt behandeln."

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