Renovierte Markthalle in Kreuzberg: Alter Markt in neuem Licht
Die Marheineke-Markthalle im Bergmannkiez ist nach einjähriger Umbauzeit wieder geöffnet: Viele Händler und Kunden sind begeistert. Anderen fehlt das alte Flair des Gedrängten und Schummrigen.
Es ist das Licht, um das sich in der wieder eröffneten Marheinekehalle die Gespräche drehen. "Kalt wie ein Bahnhof", sagt jemand. "Offen wie eine Agora", sagt ein anderer. Die umgebaute Markthalle, die seit sechs Tagen wieder geöffnet hat, ist nicht länger ein dunkler Kasten. Mit ihrer komplett verglasten Südseite hat sie sich dem Tag, der Sonne, dem Licht geöffnet. Viele müssen sich daran erst noch gewöhnen.
"Das alte Flair ist dahin", seufzt eine Frau. Sie meint das Schummrige, das Dichtgedrängte, die Bretterverschläge und Backsteinmauern. "Früher ist man rein, wenn es dunkel war, und wieder raus, wenn es dunkel war", sagt eine Verkäuferin. Im neuen Licht erlebe sie die Tage nun plötzlich ganz neu. Ein anderer Kunde: "Der Boden ist zu hell. Er reflektiert zu viel Licht. Als ob man auf dem Nichts stünde." Und was meint der Trupp Arbeitsloser, der mit Bierflaschen in der Hand gegenüber der Boulettenbude steht, die direkt an der Glasfassade ihren Stand hat? "Jetzt haben wir ne Ansicht. Das ist schon besser." Nicht "Aussicht", sondern "Ansicht" sagen sie. Sie gucken nicht raus. Sie gucken, was draußen ist, an. Das muss man stehenlassen, so wie man sie hier stehen lässt. Sie gehören zur Markthalle und sind - drei Kreuze - zurückgekommen. So edel, so bürgerlich, so versnobt, wie Umbaukritiker fürchteten, ist die alte Halle nach ihrer Häutung doch nicht.
War die Markthalle früher eine Ansammlung dichtgedrängter Verkaufsstände entlang schmaler Gänge, so präsentiert sie sich nach einjähriger Umbauzeit in verschiedenen Gewändern: in der Mittelachse als Straßenmarkt. Unter der zweiten Ebene, die auf der Nordseite eingezogen wurde, kommt sie wie ein schummriger Basar daher. Oben auf der zweiten Ebene ist sie eine Messehalle. Auf der lichtdurchfluteten Südseite imitiert sie so etwas wie eine mediterrane Piazza hinter Glas. Dort liegen die Imbisse in bester Berliner Manier. Sie sind mal antipastisch-dönerisch, mal biologisch-krautig, boulettisch-konkret, fischig-geruchsstark. Zu essen gibt es so Sachen wie Geflügel-Bockwurst, Butterbrote mit Kresse, Matjes mit Dill oder "Bio-Döner". Auch "Käse & Leidenschaft."
Bald soll die Fensterseite abends vom Rest der Halle abzutrennen sein, damit die Imbisse und Essenstände länger offen bleiben können, erzählt Ilona Hegerlik. Ihr Tabakwarenstand liegt an der Fensterfront. "Herrlich, das Licht", sagt die passionierte Nichtraucherin, die seit 16 Jahren in der Markthalle verkauft. "Wir waren immer für die Renovierung", sagt ihr langhaariger Mann. Anders als für seine Frau ist Rauchen für ihn "Kultur und Lebensqualität". Die Markthalle wäre ohne den Umbau pleitegegangen, ist er überzeugt. Deshalb haben er und seine Frau auch ein Jahr lang draußen auf dem Platz im Händlerdorf ausgehalten. Im Frühjahr und Sommer hat es ihnen gefallen. "Nur der Herbst " Ilona Hegerlik, die so wirkt, als könne sie Wind und Wetter trotzen, schüttelt sich. Sie ist froh, nun an ihrem Panoramaplatz drinnen gleichzeitig auch die Atmosphäre von draußen zu haben. "90 Prozent unserer Kunden finden den Umbau gelungen", sagt sie. Und weil das Gesprächsthema Nummer eins in der Halle ist, mischt sich ein Kunde gleich ein: "Die Kaiserzeit ist vorbei. Jetzt hat man einen besseren Überblick."
Betritt man die Halle von der Zossener Straße aus, überrascht der ausladende Mittelweg quer durch den überdachten Markt. Rechts sind die Verkaufsstände von Lebensmittelhändlern. Sie sind so groß, dass sie bis zur Fensterfront reichen. Entlang der Hallenstraße kann man bei ihnen die Lebensmittel roh kaufen, auf der Fenstersseite dagegen gekocht. Wie bei Metin Dogan. Fischfeinkosthändler ist er. Die Riesengarnelen und Seelachsfilets auf Eis sehen frisch aus - wie alles in der Halle. Für Dogan läuft es gut an. Den Kunden gefalle die Halle nach dem Umbau, sagt er. Und ihm auch. Das Licht tue ihm und den Leuten gut. Schon der Umzug ins Händlerdorf hinter der Halle während des Umbaus sei wie Urlaub gewesen. "Da haben wir Tische rausgestellt."
Noch, meinen die meisten, sei es zu früh, genau zu sagen, welchen Ruf die Halle sich erobern werde. Noch werde hier mal ein Detail gelobt und dort eins kritisiert. "Der Boden zu hell", "der Mittelgang zu breit", "die Wandgestaltung zu steril", zählt der Chef von "Yalda Trockenfrüchte" auf. Er hat seinen Stand auf der anderen Seite des Mittelgangs und kommt beim Einräumen und Sortieren seiner Waren nicht hinterher. "Mir gefällt der kleinteilige Charakter der Halle. Hier arbeiten viele Familienbetriebe. Ich hoffe, dass es so bleibt, dass keine Ladenketten reinkommen. Früher war das doch schmuddlig. Mit Ungeziefer. Ich bin froh, dass wir umgezogen sind." Er dreht sich schnell um, nimmt eine Feige aus einer Tüte. "Probieren Sie. Ich hoffe, dass wir 100 Jahre hier bleiben können. Andererseits wünsche ich mir, dass der Iran demokratisch wird und ich zurückgehen kann. So, jetzt muss ich weiterarbeiten." Mehr Zeit zum Reden hat er nicht.
Hinter seiner Ladenreihe ist der enge Gang, der unter der oberen Ebene liegt und von kleinen Ständen flankiert ist. Schuhmacher, edle Schokoladen, Strumpfläden, orientalische Süßigkeiten, Haushaltswaren werden geboten. Darunter auch die Berliner Privat Rösterei. "Super läufts an", sagt Thomas Siebert, der Kaffeeröster. Zwei Tage vor der Eröffnung am vergangenen Samstag hat er sich entschieden, sich in der Marheinekehalle einzumieten. In der kurzen Zeit ist es ihm gelungen, dem Stand seinen eigenen Flair zu verpassen. Die weißen Wände hat er rot gestrichen. Dazu die Theke aus rohem Holz, die Jutesäcke, der Geruch frisch gerösteten Kaffees. "Wohnlich, wa?" Andere Händler tun sich schwerer, anzukommen.
Birgit Otto, die es in die hinterste Ecke verschlagen hat mit ihrem Strumpfladen, ohne dass sie Einfluss auf den Standort gehabt hat, wie sie sagt, ist eine, bei der bisher kein Funken Euphorie aufkommen will. Sie sitzt am Ende des langen Ganges unter der Treppe. Um sie herum alles weiß und leer. Den Stand gegenüber gibt es noch gar nicht, obwohl ihr gesagt wurde, man sei überbelegt. "Ich kann noch nicht mal zu jemandem sagen: Du, pass mal uff, ich hol mir nen Kaffee."
Vom Mittelgang aus kommt man auf die zweite Ebene. Ein langweiliges Geländer schützt den Treppenrand. Oben wirkt alles noch improvisiert. Es gibt Lichtblick-Strom zu kaufen, die Vielfalt Brandenburgs wird beworben, man kann sich die Fingernägel feilen, das Gesicht eincremen lassen oder sich in der "Architetettura di Moda" einkleiden. Der Laden war früher auf der Goltzstraße in Schöneberg. Dort seien die Mieten zu teuer geworden, sagt die Verkäuferin.
Das könnte Sibyll Klotz zu denken geben, die sich gerade in der neu eröffneten Markthalle umsieht. Denn die frühere Abgeordnete der Grünen im Abgeordnetenhaus ist heute Stadträtin in Tempelhof-Schöneberg. Auf die Halle angesprochen, sagt sie: "Schön, dass es hier nicht nur Alimentari, Cappucino und Delikatessen gibt, sondern auch Currywurst und Boulette." Ansonsten findet sie das neue Design gewöhnungsbedürftig. "Dieses kalte Licht!"
Zur "Berliner Mischung", dem "Beirut Express", den "Walnüssen in Akazienhonig" und "Wallys Spezialitäten" kommt auch Dilek Zastrows Laden "Kismet"- Schicksal. Obwohl sie sich dem stellt, hat sie Angst vor ihrem eigenen Mut, denn sie ist, was man "eine Existenzgründerin" nennt. In Zastrows Café auf der oberen Etage werden nur fair gehandelte Produkte angeboten. Die Einzelhandelskauffrau, die in Charlottenburg im Arbeitskreis Migration mitarbeitet, sagt: "Irgendwann macht man sich nicht nur gesellschaftliche, sondern auch politische Gedanken." Mit großem, dem Menschen zugewandten Charme will sie zukünftig nur verkaufen, was fair ist. Für andere und für sich. "Globalisierung gibt es schon lange. Denken Sie an die Kartoffel", sagt sie. "Aber nicht die Globalisierung an sich ist falsch, sondern das Wirtschaftssystem." Dann fügt sie hinzu, wie gut es sei, dass man dem Einzelhandel in der Markthalle noch eine Chance bietet.
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