Rennen gegen das Verbrennen

Teams wie Berlinin Tahko und Münchenin Maila Jussit betreiben hierzulande Pesäpallo, die schnellere finnische Variante des American Baseball – katzendepperleweises Wahlrecht bei den Löwen im schwäbischen Merklingen  ■ Von Thomas Volkmann

Früher, auf dem Bolzplatz, ging's erstmal darum, sich die besten Dribbler ins Team zu wählen. Katzendepperleweise knobelte man mit dem gegnerischen Häuptling ums Wahlrecht. So ein ähnlicher Vorgang ist auch beim Pesäpallo, der finnischen Variante des American Baseball, zu beobachten: Weil manche der insgesamt acht an den Spielen der Deutschen Pesis- Liga (Pesis ist das Kurzwort für Pesäpallo) teilnehmenden Teams die erforderliche Anzahl von neun Feld- plus drei Auswechselspielern oft nicht zusammenbringen, leiht man sich notgedrungen bei den wenigen Wettkämpfen schon mal Akteure bei der anderen Fraktion. So zuletzt geschehen beim Spiel der „Löwen“ aus dem schwäbischen Merklingen gegen Nürnberg.

Da durfte also Merklingens Pesäpallo-Prediger Eberhard Piatkowski und der beste „Löwe“ Steffen Neefe für den Gegner aufs Feld. Als „Verräter“ sahen sich die beiden nicht. „Ich sehe das eher unter dem Aspekt der Kameradschaft. Ohne uns hätte der Gegner gar nicht spielen können“, meinte Piatkowski. Streng genommen hätten die Mannschaften auch gleich komplett nach dem Katzendepperleverfahren zusammengestellt werden können.

Kleinstschritte sind es, mit denen die randsportliche Randsportart Pesis hierzulande um Bekanntheit wirbt. Ganze 200 Mitglieder gehören den acht deutschen Vereinen an. Mit Ausnahme von Merklingen (28 Mitglieder, Frauen und Männer spielen gemeinsam) tragen sie alle pesäpalitical correct finnische Namen (z.B. Nürnbergin Palloveikot, Berlinin Tahko oder Münchenin Maila Jussit). Eine eigene Liga existiert seit 1994, die Reinin Reipas aus Dormagen lösten 1997 überaschend den dreimaligen Meister München ab und gewann soeben auch den Titel 1998 vor Mainin Pallo. Merklingen wurde triumphaler Vorletzter, die Verantwortlichen feierten „eine zufriedenstellende Saison“.

Für Thomas Scharnberg aus Berlin, lange Zeit Vorsitzender der Deutschen Pesäpallo-Liga, war der Erfolg der Reinin Reipas nur konsequent. „Das sind zumeist Kinder deutsch-finnischer Eltern, die spielen seit Jahren zusammen.“ Das Spielniveau hat sich zwar gebessert – Trefferquote bei der Angabe hierzulande schon 60 Prozent gegenüber 95 Prozent in Finnland –, es fehlen aber ausgebildete Trainer. Scharnberg: „Wir müssen hier von Videos leben oder mal so ein Glück wie vor zwei Jahren haben, als ein ehemaliger Erstligaspieler nach Frankfurt kam.“

In seinem Ursprungsland hat der 1922 von Lauri Pihkala entwickelte Schlägersport enorme Bedeutung. Rund 60.000 Mitglieder in 340 Vereinen, die wiederum 260 Mannschaften stellen, das zieht Tausende von Lappen und Samen in die Stadien. In finnischen Schulen steht Pesis, dessen Vorzüge mit Ausdauer, Taktik, Schnelligkeit und Teamgeist angepriesen werden, sogar auf dem Stundenplan.

Anders als beim Baseball wird der Ball beim Pesis nicht vom Pitcher, dem „Lukkari“, geworfen, sondern unmittelbar neben dem Schlagmann mit seinem „Maila“ (Schläger) stehend senkrecht in die Höhe gezwirbelt. Dabei darf die gelbe, 150 Gramm schwere und gewebeummantelte Kugel nicht über den Radius einer am Boden liegenden Holzscheibe (Durchmesser: 60 Zentimeter) hinausfliegen.

Der Schlagmann hat insgesamt drei Versuche, den Ball mit seinem carbonverstärkten Pesis-Racket ins seitlich begrenzte Spielfeld zu katapultieren und einen Homerun, genannt „Kunnari“, zu starten. Was wiederrum acht über das Spielfeld verstreute Außenspieler zu verhindern suchen, indem sie den Ball schnellstmöglich dem Bewacher der Pesä (Base) zuwerfen, auf die der Läufer gerade zusteuert. Kommt der Läufer zu spät, gilt er als „verbrannt“, nach drei „Verbrannten“ wechselt das Aufschlagrecht. Dieser Vorgang wiederholt sich sechs Mal, dann ist Halbzeit. Punkte bekommt, wer mehr Läufe absolviert hat.

In den Ligaspielen mußten die Merklinger Löwen meist Lehrgeld zahlen. So auch im Ligaspiel gegen Nürnberg, die die taktischen Tips des ehemaligen finnischen Nationalspielers Tapani Oinonen gut umzusetzen wußten. Zum Beispiel jenen über den Einsatz des Jokeri, der tatsächlich in einem Trikot aufläuft, das einem karnevalistischen Harlekin zur Ehre gereichen würde. Während des Wettkampfs werden die zuvor ausgeheckten Spielzüge mittels eines Farbkartenfächers angezeigt, einer raffiniert verschlüsselten Form der taktischen Vorhaben.

Den Merklingern half nach dem Nürnberg-Spiel eine Standpauke von Trainer Veikko Renkonen gegen den fehlenden Enthusiasmus. Und siehe da: gegen Südmeister Augsburg sprang ein überraschendes 2:1 heraus. Nationalspieler Steffen Neefe war auch nicht weggekatzendepperlet worden.

Ihr großes Jahresereignis hatte die Merklinger Pesis-Abteilung als Ausrichter der sogenannten Nord- Süd-Spiele, zu denen an die 80 Teilnehmer aus Deutschland und der Schweiz, darunter auch Frauenteams, anreisten. Über finnische Wortfetzen durfte man sich da ebensowenig wundern wie über Werbeposter finnischer Firmen, die den Spielfeldrand schmückten. Das zweitägige Treffen wirkte wie ein finnophiler Familienausflug, zu dem das Kleinkind mit Schnuller ebenso gehörte wie die strickende, fachmännische Kommentare abgebende Omi am Spielfeldrand.

„Man muß für dieses Spiel schon finnlandverrückt sein“, glaubt Thomas Scharnberg. So wie das Team aus Vechelde, das den Sport vor Jahren quasi als Souvenir von einem Schüleraustausch aus Finnland mitbrachte. Sie sind bis heute enthusiastisch bei der Sache geblieben, auch als Ligaletzter.

Von Baseballfreunden wird Pesis meist nur belächelt, „aber“, weiß Scharnberg, „die haben noch gar nicht gesehen, daß unsere Sportart viel schneller ist“. Doch was nützt das, wenn Scharnberg und die Berliner Pesisfraktion vor den samstäglichen Trainingseinheiten jedesmal bangen müssen, ob die Spielflächen der öffentlichen Sportanlagen nicht schon besetzt sind. Von Fußball und ähnlich gewöhnlichem Gesportele.