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Renate Hehr zu zwölf Jahren Knast verurteilt

■ Peruanisches Gericht warf ihr Mitgliedschaft in der Guerilla–Organisation „Sendero Luminoso“ vor / Kurz vor Ende des Prozesses in Lima verschwand der Verteidiger der Deutschen spurlos / „Trauriger Höhepunkt“ einer ganzen Kette von Behinderungen der Verteidigung

Lima/Hannover (dpa/taz) - Nach einem äußerst dubiosen Verfahren hat ein Gericht in Lima am Donnerstag Renate Hehr aus Achim bei Bremen wegen Zugehörigkeit zur peruanischen Guerillabewegung „Sendero Luminoso“ zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Die 34jährige Theaterwissenschaftlerin, so befanden die Richter des 12. Tribunals des „Corte Superior“, soll als „aktives Mitglied“ der maoistischen Guerilla an mehreren Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen sein. Der siebenmonatige Prozeß ging zu Ende, ohne daß der Rechtsanwalt Jose Vasques, der Renate Hehr seit ihrer Verhaftung im Mai 1983 vertritt, plädieren konnte. Neun Tage vor der Urteilsverkündung verschand der Anwalt spurlos. „Wir befürchten, daß er von einem der peruanischen Geheimdienste festgenommen worden ist“, erklärte vor Gericht der Rechtsanwalt Jorge Cartagena, der die Verteidigung kurzfristig übernommen hatte. Man habe bei Polizei– und Militärstellen der unter Ausnahmerecht stehenden Haupstadt sowie Hospitälern und Leichenhallen ergebnislos nach Anwalt Vasques gesucht. Für den hannoverschen Rechtsanwalt Sebastian Oehlert, der Frau Hehr in der BRD vertritt, ist das Verschwinden seines peruanischen Kollegen „der traurige Höhepunkt“ einer ganzen Kette von Behinderungen der Verteidigung. So habe der Verteidigung bei Prozeßbeginn nicht einmal die Anklageschrift vorgelegen, umfassende Akteneinsicht sei ihr ebenfalls verweigert worden. Im Prozeß selbst seien die wenigen Zeugen, auf deren Aussage sich das Urteil stützt, nie aufgetreten. Man habe einfach Polizeiprotokolle verwertet. Eine Gegenüberstellung von Renate Hehr mit den sogenannten Zeugen, die sie anhand von Zeitungsfotos erkannt haben wollen, habe nie stattgefunden. Nach Polizeiangaben wurden in der Wohnung in der südperuanischen Stadt Arequipa, ein Karton mit Sprengstoff sowie zwei Pistolen gefunden, von denen eine bei einem Angriff des Sendero auf eine Polizeistation geraubt worden war. Nach der Darstellung von Renate Hehr im Prozeß befand sich der Karton bereits vor ihrem Einzug in der Wohnung, die von einem peruanischen Soziologen namens Alberto Seguro gemietet gewesen sei. Das Gericht sah es nun im Urteil als erwiesen an, daß dieser Mann in Wirklichkeit der Theoretiker des Sendero Luminoso, Antonio Diaz Martinez, gewesen ist. Wenn Renate Hehr mit dem Theoretiker der Guerilla zusammengewohnt habe, so folgerte das Gericht, müsse sie auch in die Pläne des Sendero eingeweiht gewesen sein. Nach Spekulationen der peruanischen Presse gilt der Sendero–Theoretiker Diaz Martinez auch als Vater der Tochter, die Renate Hehr ein halbes Jahr nach ihrer Verhaftung zur Welt brachte. Nach Angaben von Anwalt Oehlert ist die Krebserkrankung von Renate Hehr inzwischen medizinisch einwandfrei behandelt worden. Sie erhalte im Hochsicherheitsgefängnis, in das sie nach dem Massaker verlegt wurde, allerdings nicht die Medikamente, die zur Nachbehandlung notwendig seien. Gegen das Urteil hat Renate Hehr noch im Gerichtssaal Berufung eingelegt. Es wird nun voraussichtlich in sechs Monaten vor dem Obersten Gerichtshof in Peru neu aufgerollt werden.

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