Renaissance des Sehens: Die Rückkehr des 3-D-Kinos
Dank modernster Technik, renovierter Kinosäle und Videogame-sozialisierter Zuschauer hat 3-D-Kino ein neues Level erreicht. Es gibt also handfeste Gründe seinen dritten Anlauf Ernst zu nehmen.
Spötter behaupten, in Krisenzeiten flüchte sich Hollywood besonders gerne in die dritte Dimension. Das klingt nach schlechtem Science-Fiction-Film, doch tatsächlich verläuft die Konjunktur des 3-D-Kinos seit den Fünfzigerjahren zyklisch. Alle 25 bis 30 Jahre erleben stereoskopische Bilder im Kino ein Revival.
Als Reaktion auf die wachsende Verbreitung des Fernsehens in Privathaushalten Mitte der Fünfzigerjahre bildeten Horrorklassiker wie "Das Kabinett des Professor Bondi", "Der Schrecken vom Amazonas" oder Hitchcocks "Bei Anruf Mord" die Speerspitze des ersten 3-D-Booms. Aber die Technik - rot-grüne Anaglyphenbrillen, die beim Betrachter Kopfschmerzen auslösten und sogenannte Geisterbilder produzierten - war noch zu unbeholfen, sodass nur knapp ein Jahr nach Einführung das in 3-D gedrehte MGM-Musical "Küss mich, Kätchen" bereits wieder "flach" aufgeführt wurde. Auch die zweite Welle Anfang der Achtzigerjahre hielt nur kurz an: Um Fans die siechenden Horror-Franchises von "Freitag, der 13.", "Der Weiße Hai" und "Amityville Horror" schmackhaft zu machen, produzierten die Studios die dritten Teile jeweils "in Stereo". Wenige Jahre später stellte die kanadische Firma IMAX erstmals ein ausgereiftes System vor. Es wäre jedoch zu einfach, die derzeitige Renaissance des 3-D-Kinos allein auf die anhaltende Krise der Kinobranche zurückzuführen. Denn so schlimm ist es um sie auch wieder nicht bestellt: 2009 brachte den umsatzmäßig erfolgreichsten Kino-Januar aller Zeiten; wenn eine Branche von Rezessionen profitiert, dann immer noch der Unterhaltungssektor.
Die Stellungnahmen der treibenden Kräfte des jüngsten 3-D-Booms klingen dann auch alles andere als panisch. Vielmehr scheint sich die amerikanische Filmindustrie in Aufbruchsstimmung zu befinden. So prognostiziert Dreamworks-Chef Jeffrey Katzenberg seit Jahren, bald schon würde die gesamte Filmproduktion auf 3-D umgestellt sein. Bereits im vergangenen Jahr gab Dreamworks bekannt, seine Animationsfilme von nun an ausschließlich stereoskopisch in die Kinos zu bringen. Pixars neues 3-D-Abenteuer "Up!" ist sogar als Eröffnungsfilm für die Filmfestspiele in Cannes bestätigt worden. Und das Branchenblatt Variety räumte James Cameron, dessen Science-Fiction-Epos "Avatar" (Filmstart: Dezember 2009) den vorläufigen Maßstab für 3-D-Produktionen setzen soll, im Frühjahr ausgiebig Platz ein, seine Vision von dreidimensionalem Kino zu erläutern. Testmarkt für dieses Großprojekt, das Branchenbeobachter als dritte Revolution des Kinos (nach Ton und Farbe) bezeichnen, sind natürlich die USA, wo in diesem Jahr dank milliardenschwerer Finanzspritze landesweit mehr als 5.000 Kinosäle mit digitaler 3-D-Projektionstechnik ausgestattet werden sollen.
Es gibt also handfeste Gründe, den dritten Anlauf des 3-D-Kinos ernst zu nehmen. Der wichtigste ist zweifellos, dass neue Digitaltechnik das Versprechen dreidimensionalen Sehens im Kino erstmals angemessen umsetzbar macht. Schon die Brüder Lumière und Edwin Porter hatten um die letzte Jahrhundertwende das Auditorium als integralen Bestandteil des Erfahrungsraums "Kino" verstanden. Ihre Filme "LArrivée dun train à La Ciotat" (1895) oder "The Great Train Robbery" (1903) spielten mit dem Prinzip der dreidimensionalen Wahrnehmung, wenn Züge direkt in den Zuschauerraum zu fahren schienen oder Cowboys das Publikum beschossen. Weder die Lumières noch Porter verfügten über stereoskopische Bilder, dennoch war die Idee in diesen Filmen bereits angelegt und damit durchaus mit den aus der Leinwand hervorpoppenden Augäpfeln des im Mai anlaufenden Slashers "My Bloody Valentine 3D" vergleichbar: Es geht um die Expansion des filmischen Raums. Akustisch ist der Kinosaal bereits seit 30 Jahren, seit Einführung des Dolby-Stereo-Mehrkanalsystems 1976, fest in den Erfahrungsraum des Kinos integriert. Katzenberg und Cameron fordern nun, diesen Schritt endlich auf visueller Ebene zu vollziehen.
Nie standen die Vorzeichen besser. Momentan kämpfen drei Systeme um die Vormachtstellung im 3-D-Sektor: Real D, dessen Technik derzeit in über 90 Prozent der weltweit operierenden Kinosäle eingesetzt wird, Dolby 3D sowie XpanD. Zwei Eigenschaften sind diesen Systemen gemein: Wie gehabt benötigt der Zuschauer eine Brille zur "Entschlüsselung" der stereoskopischen Bilder (an einem brillenlosen Verfahren wird seit längerem gearbeitet). Die Filme laufen jedoch nicht mehr über zwei synchronisierte Kinoprojektoren, sondern einen einzigen, mit einem Server verbundenen Digitalprojektor, der die Bilder sequentiell, also hintereinander, in hoher Frequenz belichtet. In der "Bildaufbereitung" unterscheiden sich die Systeme allerdings gravierend.
Real D benutzt einen zirkulären Polarisationsfilter, der das Licht in einer rotierenden Wellenbewegung auf die Leinwand wirft (mit dem Uhrzeigersinn für das eine, gegen den Uhrzeigersinn für das andere Auge); die Polbrille ordnet die Bilder dem jeweiligen Auge zu. Diese Schraubbewegung des Lichts macht auch Schluss mit einer Kinderkrankheit der analogen Ära, in der die Qualität des 3-D-Effekts noch abhängig vom Betrachtungswinkel war. Mit dem neuen Verfahren kommt man heute auch vorne links direkt vor der Leinwand noch in den Genuss stereoskopischer Bilder. Die "Interferenzfiltertechnik" von Dolby 3D funktioniert über die unterschiedliche Modifizierung der Lichtwellen für das jeweilige Auge, während XpanD mit dem aufwändigen "Shutter"-Verfahren arbeitet: Ein Infrarot-Signal sendet Impulse an eine LCD-Brille, die je nach Bedarf das linke oder das rechte Auge für den Bruchteil einer Sekunde abdunkeln. Der Vorteil der beiden letzteren Systeme besteht darin, dass sie mit einer herkömmlichen weißen Leinwand auskommen.
Digitale Projektionstechnik scheint also die Lösung für die bekannten Probleme des 3-D-Kinos zu sein. Nicht nur, dass die Möglichkeit hoher Bildwiederholungsraten ein gestochen scharfes und deutlich helleres Bild verspricht: dreimal wird jedes Bild pro Auge belichtet, das macht insgesamt 144 Bilder pro Sekunde, doppelt so viele wie ein herkömmlicher, mit drei Blenden ausgestatteter Kinoprojektor. Digitale Projektionen gewährleisten außerdem einen felsenfesten Bildstand, was - gerade bei hoher Bildfrequenz - der 3D-Illusion sichtbar zugute kommt. Und auch das oftmals zähe Ringen um Standards ist mit der aktuellen 3-D-Technologie überflüssig. Egal ob Real D, Dolby 3D sowie XpanD - die Kinoserver rechnen Filmdaten in Echtzeit in das entsprechende Format um. Anders als im 2-D-Digital-Cinema- oder im Home-Entertainment-Bereich stellt die Umstellung auf das neue Format also kein Hardware-Problem dar, sondern ist lediglich eine Frage der Software.
Regisseure wie James Cameron oder Joe Dante sind gedanklich allerdings schon weiter. Denn klar ist, dass auch der dritte Anlauf der 3-D-Revolution ein jähes Ende finden wird, sollten sich Filmememacher und Drehbuchautoren wieder nur auf den Novelty-Effekt des dreidimensionalen Kinos verlassen. Selbst ein ausgemachter Technokrat wie Cameron äußerte in Variety die Meinung, dass ein 3-D-Film nur dann etwas taugt, wenn er auch "flach" funktioniert. Bislang konzentriert man in Hollywood allerdings noch alle Anstrengungen auf die fotorealistische Rekonstruktion animierter Bilderwelten - oder gimmickhafte Jahrmarkts-Attraktionen wie "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" oder "My Bloody Valentine". Richtig spannend wird es zu sehen, wie gut sich die neue Technik mit dramatischen Stoffen verträgt.
Doch die wenigsten in Hollywood haben bislang überhaupt erst begonnen sich auszumalen, welche visuellen erzählerischen Möglichkeiten das 3-D-Kino bieten könnte. Denn die kulturpessimistische Gleichung "3-D = Spektakelkino", die momentan jede ernsthafte Diskussion bestimmt (und von den aktuellen Filmen größtenteils bestätigt wird), ignoriert geflissentlich, dass selbst die fortschrittlichsten Produktionen dieses Jahres, wie "Avatar" oder Jerry Bruckheimers "G-Force", allerhöchstens Beta-Versionen des zukünftigen 3-D-Kinos sein werden. Bestenfalls verspricht diese Entwicklung eine ganz neue Form des Sehens, die mit der retrofuturistischen Idee eines Holodecks à la "Star Treck" nur wenig gemein haben wird.
Dante meinte in der englischen Filmzeitschrift Sight & Sound dann auch, dass die größte Herausforderung des dreidimensionalen Kinos weniger die Expansion des filmischen Raumes als vielmehr dessen Vertiefung sei. Cameron ist derweil schon dabei, eine Grammatik für die Produktion realistischer stereoskopischer Bilder zu erarbeiten. Im Anschluss an "Avatar" wird er sein erstes 3-D-Drama drehen, sozusagen als Umsetzung der filmischen Theorie. Inhaltliche Erwägungen werden vorerst aber nur Begleiterscheinungen der digitalen Revolution bleiben, die in erster Linie von politischen und ökonomischen Kräften vorangetrieben wird.
Der Erfolg der 3-D-Version von "My Bloody Valentine", die trotz geringerer Verbreitung mehr als das Doppelte der 2-D-Kopien einspielte, zeigt, dass ein durch dreidimensionale Videogames sozialisiertes Publikum für den nächsten technischen Quantensprung bereit ist - und auch gewillt, für dieses Vergnügen mehr zu bezahlen. Was jetzt noch fehlt, sind die Geschichten.
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