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Religion und RegierungEin besonderes Geflecht

Das deutsche Staat-Kirche-Verhältnis ist aus historischen Gründen etwas Einzigartiges. Das hat sich in der religiös-politischen Debatten um die Pius-Brüder und "Pro-Reli" wieder gezeigt.

Staat und Kirche können nicht mit- aber auch nicht ohneeinander. Bild: montage taz.de/reuters,dpa

"An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen" - selten passte dieses Jesuswort aus dem Matthäus-Evangelium (7,16) so gut wie in der Diskussion über die Pius-Priesterbruderschaft, die die katholische Kirche seit etwa drei Wochen erschüttert. Aus eigener Schuld. Dabei ist die Affäre um die Wiedereingliederung der vier Pius-"Bischöfe" in den Schoß der Kirche nach einer Woche erstaunlicher Aufmerksamkeit in einer etwas ruhigeren Zwischenphase angelangt. Spätestens bis Ende Februar muss sich "Bischof" Richard Williamson nach den Aussagen seiner Oberen entscheiden, ob er bei seiner Holocaustleugnung bleibt oder nicht.

Widerruft Williamson nicht, wird er entweder aus seiner Pius-Bruderschaft ausgeschlossen (wenn er sie nicht von sich aus verlässt, worüber er offenbar nachdenkt). Oder aus der katholischen Kirche. So hat sie es jedenfalls angedeutet. Das Bischofsamt darf er jedenfalls bei weiterer Holocaustleugnung nach Angaben des Vatikan nicht behalten - und es ist schon jetzt nichts wert, denn den vier Pius-"Bischöfen" ist es weiter untersagt, liturgische Handlungen vorzunehmen oder Sakramente zu spenden, also etwa zu taufen oder Priester zu weihen.

PRIVILEGIERTE POSITION

Die Bundesrepublik hat die beiden großen Volkskirchen nach 1945 massiv unterstützt - auch weil sie sich Hilfe beim sozialen (und moralischen) Wiederaufbau nach der NS-Zeit erhoffte. Weil die Nähe von Staat und Kirche hierzulande lange historische Wurzeln hat, wurden dabei manche Privilegien der Kirchen gefestigt oder ausgebaut. Dazu gehört etwa der Einzug der Kirchensteuer durch den Staat, der rechtliche Status als Körperschaften öffentlichen Rechts und Hilfe für kirchliche Schulen und Kliniken.

Widerruf oder Ausschluss - Ähnliches gilt auch für die Pius-Bruderschaft insgesamt, so den Erklärungen aus Rom zu trauen ist: Entweder die Pius-Bruderschaft akzeptiert das reformorientierte Zweite Vatikanische Konzil vor gut vierzig Jahren oder sie bleibt ausgeschlossen. Möglich auch, dass mit dieser Bruderschaft am Ende ein Formelkompromiss bezüglich der Akzeptanz des Konzils getroffen wird, was sicherlich die schlechteste Lösung der Affäre wäre. Für die Weltkirche insgesamt wohlgemerkt.

In all dieser Misere und trotz der gegenwärtigen Warterei ist jedoch schon jetzt deutlich, was der Skandal um die Pius-Brüder für die Lage in Deutschland bedeutet: Er hat wie ein Katalysator für die Neujustierung des besonderen Staat-Kirche-Verhältnisses im Lande Benedikts XVI. und Luthers geführt. Rein zufällig trifft diese Entwicklung nämlich auch auf die erbitterte Debatte über den Religionsunterricht in der Hauptstadt, wo es ebenfalls um die Beziehung von Altar und Thron geht, um es altertümlich zu beschreiben. So wie Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Attacke gegen den Papst etwas übergriffig wurde und sich in Dinge der Kirche einmischte, so werden die Kirchen bei der Pro-Reli-Frage in Berlin übergriffig und mischen sich in eine Sache des Staats ein - nämlich ob es neben dem Pflichtfach "Ethik" an den staatlichen Berliner Schulen als Alternative auch ein Wahlpflichtfach "Religion" geben soll.

Die Übergriffe Merkels gegenüber dem Papst wie die der Kirchen in Sachen Religionsunterricht geschehen dabei jeweils aus guten Gründen. Merkel musste um der Staatsräson willen Benedikt zur Vernunft rufen, das heißt, zu einer deutlichen Abgrenzung vom Antisemitismus eines Williamson. Die Erinnerung an den Holocaust und die Ablehnung des Antisemitismus ist, so sagt es die deutsche Staatsspitze seit Jahren immer wieder, eine ideologische Grundsäule der Bundesrepublik - und auch von einem Deutschen auf dem Papstthron muss sie erwartet und für seine Kirche eingefordert werden. Hier geht es um die Identität des Staats, aber auch der Kirche.

Ähnlich ist es bei der Pro-Reli-Debatte in der Hauptstadt - auch da geht es um die Identität des Staats und der Kirche. Es ist den Kirchen nicht wirklich vorzuwerfen, dass sie um die Möglichkeit kämpfen, gleichberechtigt und nicht nur den Randstunden an den staatlichen Schulen den Schülerinnen und Schülern ihre Lehre nahe zu bringen, wenn diese das denn wollen. Volkskirchen, die dieser Auseinandersetzung aus den Weg gingen, verlören einen Teil ihrer Identität, nämlich ihren Anspruch, nicht nur in einer Nische der Gesellschaft und nur im Privaten wirken zu wollen.

Nur zur Erinnerung: Das Grundgesetz sieht - mit Ausnahme der Bremer Klausel, auf die sich Berlin beruft - Religion als ordentliches Lehrfach verpflichtend vor. Und in fast allen Bundesländern ist die Wahl zwischen Ethik oder Religion seit Jahrzehnten eine bewährte und unumstrittene Praxis. Natürlich gibt es auch gute Argumente für das Pflichtfach Ethik in einer einerseits stark säkularen, andererseits multikulturellen und multireligiösen Stadt. Den Kirchen aber vorzuwerfen, dass sie sich hier zu sehr in rein staatliche Angelegenheiten einmischen würden, weil doch Staat und Kirche hierzulande getrennt seien, verkennt die Verfassungslage in Deutschland. Die Bevölkerung Berlins will nach neuesten Umfragen übrigens mehrheitlich ein Wahlpflichtfach Religion, was in einer Demokratie nicht ganz unwichtig sein sollte. Selbst Angela Merkel und der SPD-Kanzlerkandidat und Außenminister Frank-Walter Steinmeier haben für Pro Reli eine Unterschrift geleistet, als Privatleute. Auch dies widerspricht tendenziell der reinen Lehre einer Trennung von Staat und Kirche.

Das gilt auch in umgekehrter Richtung: Die Tatsache, dass der Regierende Bürgermeister Berlins Klaus Wowereit (SPD) nun offensichtlich trotz beträchtlich höherer Kosten mit dem Volksabstimmungstermin zu Pro Reli rumtricksen will, um den Fans des Religionsunterrichts, den Kirchen und anscheinend auch der Mehrheit der Berlinerinnen und Berlinern die Sache zu verhageln, zeigt, dass auch die staatliche Seite nicht so viel von einer klaren Trennung von Staat und Kirche hält. Man will da schon reinreden, auch gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung Berlins. Oder wovor hat Wowereit eigentlich Angst?

Man kann es drehen und wenden, wie man will, das deutsche Staat-Kirche-Verhältnis ist aus historischen Gründen etwas Einzigartiges. Das hat sich in den religiös-politischen Debatten um die Pius-Brüder und Pro Reli mal wieder gezeigt. Und: Insgesamt hat sich dieses besondere Beziehungsgeflecht in der Bundesrepublik auch bewährt. Der Staat gab und gibt den Kirchen hierzulande Privilegien, erhält dafür aber von ihnen auch massive Hilfe beim Aufbau und Erhalt des Sozialstaats und des Bildungswesens, um nur zwei wichtige Aspekte zu nennen.

Dass die katholische Kirche Deutschland insgesamt vergleichsweise liberal ist, ist auch dieser Nähe und Interaktion mit der Demokratie des Staats geschuldet. Und es ist wahrscheinlich auch kein Zufall, dass einige der wichtigsten Reformtheologen des Konzils wie Karl Rahner, Karl Lehmann und, ja, damals auch Joseph Ratzinger aus diesem besondern Staat-Kirche-Geflecht Deutschlands stammen. Im Lande Luthers musste die katholische Kirche eben notgedrungen religiöse Toleranz lernen - und das ist etwas anderes als die gegenseitige Ignoranz und der häufige Fanatismus, der in religiösen Dingen etwa in den USA zu finden ist, wo pro forma Staat und Kirche strikt getrennt sind. Die hiesige Nähe des Staats zur Kirche hat auch den Vorteil, dass sie sich nicht so leicht in eine Kampfgruppe der Frommen verwandeln kann, dass sie gar Staat im Staate wird.

Die katholische Kirche hierzulande ist in vielen Dingen keineswegs immer der Hort der Reaktion, was etwa beim Sozialwort der Kirchen vor zwölf Jahren, bei ihrem Einsatz für Illegale und Flüchtlinge und bei jüngsten Äußerungen etwa vom Münchner Erzbischof Reinhard Marx zum Kapitalismus zu sehen ist. Die deutsche katholische Kirche mag dank der Hilfe des Staats etwas lahmer, satter und feister sein als die Kirchen anderer Staaten. Dafür ist sie liberaler, toleranter und gegenüber Rom selbstbewusster als die meisten katholischen Kirchen des Westens - und das tut dieser Gesellschaft und der Weltkirche durchaus gut.

Es ist ein gutes Zeichen, dass das klare Bekenntnis zum Konzil sowie der laute Protest gegen die Pius-Brüder und gegen das stümperhafte Agieren des Vatikans bei dieser Affäre gerade in der deutschen katholischen Kirche so stark war. Und das sowohl von den Laien wie von den Bischöfen. Auch die Tatsache, dass vor allem die Holocaust-Leugnung Williamsons und die Angst um das Verhältnis zum Judentum im früheren Land der Nazi-Täter für so viel Aufruhr innerhalb und außerhalb der Kirche führte, zeugt von einem positiven Bewusstseinswandel in der Gesellschaft, aber auch innerhalb der Kirche. Antisemitismus ist in der katholischen Kirche der Bundesrepublik nicht mehr salonfähig, sondern vielmehr geächtet. Auch dies ist, um es pathetisch zu sagen, eine Frucht des Konzils.

Der Vatikan hat nun offiziell erklärt, der Papst habe vor der Wiederaufnahme Williamsons in den Schoß der Kirche nichts von dessen widerlichen Holocaustleugnung gewusst - gehen wir in christlicher Güte mal davon aus, dass es so war. Wahrscheinlich wird diese Frage erst von Historikern plausibel zu beantworten sein. Für uns Heutige bleibt die Erkenntnis, dass diese Affäre schon jetzt zumindest die katholische Kirche in Deutschland wieder näher zu ihren auch zukunftsweisenden, das heißt insgesamt vergleichsweise liberalen, toleranten und selbstbewussten Wurzeln geführt hat. Und übrigens: Auch deshalb sollte man sich vielleicht doch noch mal überlegen, ob man wirklich aus der Kirche austreten will.

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12 Kommentare

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  • PA
    Peter aus Brandstätt

    Auch mir hat der Artikel von Philip Gessler gefallen. Wegen solchen Denkkapriolen habe ich die taz abonniert. Natürlich ist das Verhältnis Staat-Kirche in der Vergangenheit nicht von Kritik frei, natürlich ist nicht alles heilig, was Kirche ist, natürlich gibt es große Verwundungen, natürlich nervt der Wahrheitsanspruch mancher Religiöser. Aber wir kommen nicht aus. Leben ohne Spiritualität gibts genau so wenig wie Leben ohne gesellschaftliche Teilhabe. Dass Kirche und Staat ein Verhältnis miteinander haben, das liegt doch nahe. Und die scheinheilige Trennung von Kirche und Staat in den USA ist ja auch keine Lösung.

  • ES
    Eleore Sand

    "Der Staat gab und gibt den Kirchen hierzulande Privilegien, erhält dafür aber von ihnen auch massive Hilfe beim Aufbau und Erhalt des Sozialstaats und des Bildungswesens, um nur zwei wichtige Aspekte zu nennen."

     

    Man ist sprachlos über dieses uninformierte und gegenaufklärerische Statement. Der Staat zahlt den klerikalen "Wohlfahrtsverbänden" zu fast 100 Prozent die Kosten, damit sie ihm "beim Sozialstaat" helfen. Das ist eine massive Förderung der Kirchen, die über ihre weltlichen Unternehmen große Teile des Arbeitsmarktes konrotllieren.

  • DS
    Dirk Schöllgen

    Es mag ja vielleicht geschichtlich plausibel rekonstruierbar sein, dass man nach dem 2. Weltkrieg erneuerte geistig-moralische Anknüpfungspunkte suchte und sie (leider) irgendwie im „Christlichen“ zu finden meinte; woraus dann in der Folge die entsprechend grundgesetzliche Fundierung und - qua Verfassungsinterpretation im Laufe der Zeit ausgestaltet - das wohlwollende Verhältnis von Staat und Kirche erwuchs. Der Autor Gessler vollzieht allerdings m.E. einmal mehr den altbekannten „pragmatischen Fehlschluss“, bei dem die Frage nach der Wahrheit gegen die Frage nach der Nützlichkeit eingetauscht wird. Leider wird immer wieder in Diskussionen über Religion sehr schnell nur noch von deren angeblichen oder tatsächlichen Vorteilen für den Einzelnen oder die Gesellschaft gesprochen, anstatt im Auge zu behalten, dass es sich bei Religion(en) im Kern und vor aller theologischen Vernebelung - m.E. - um abstruse, unausgewiesene Phantasmen handelt.

     

    Natürlich steht es in einer offenen Gesellschaft jedem frei, sich einem „Weltbild“ zu verpflichten, das er für „wahr“ hält und/oder das ihm gut tut und sein Leben wie auch immer strukturiert (sofern ein gewisser Rahmen nicht infrage gestellt wird). Gleichwohl: Positive, gesellschaftlich erwünschte, stabilisierende Effekte von Religion (oder jeder anderen, z.B. säkularen Weltanschauung auch) auf die Gemeinschaft oder auch positive (Rück-) Wirkungen eines bestimmten institutionellen Arrangements auf die Kirchen selbst rechtfertigen dennoch niemals eine besondere staatliche Begünstigung und speziell im Bereich von Schule eine Steigbügelhalterschaft des Staates, mit der im Ergebnis Kirchen bequemer Zugang zu Kinderköpfen vermittelt wird. Kirche darf selbstverständlich in einer freien Gesellschaft einen über bloßes Nischendasein hinausgehenden Anspruch haben, den sie ja bekanntlich auch zur Genüge beispielsweise bei Wortmeldungen zu politischen Streitpunkten in der Bioethik geltend macht. Überhaupt nicht selbstverständlich scheint mir - im Gegensatz zum Autor - allerdings, dass dieser Anspruch sich auch in Form eines eigenen, konfessionell gebundenen regulären Schulfaches an staatlichen Schulen ausdrücken muss (!).

     

    Im übrigen: Welche speziell deutsche katholische Kirche (Volkskirche?) hat der Autor Gessler eigentlich vor Augen, wenn er deren ach so bemerkenswerte Liberalität preist? Abgesehen von den Hinweisen, die bereits in anderen Leser-Kommentaren gegeben wurden: Existiert ein „ökumenisches“ Abendmahl mit Evangelischen? Erkennt die deutsche katholische Kirche inzwischen etwa die Lehre des Islam oder des Judentums als wahr an? Dass sie sich gegenüber dem obersten Funktionär in Rom gelegentlich eine eigene Meinung leistet, ist ja schön und gut.

     

    Und es mag ja sein, dass der Autor Gessler mit Blick auf geschichtliche und/oder gegenwärtige weltweite Erscheinungsformen des Religiösen sich bereits darüber freut, dass die deutschen christlichen Kirchen den Staat des Grundgesetzes immerhin anerkennen und weltanschaulich Andersdenkenden nicht gleich mit Tötung drohen, und er deshalb so großzügig das Prädikat „liberal“ verteilt. Dass allerdings etwa Religionslose sich für solche von den Kirchen (und nicht nur von ihnen) zu fordernden Selbstverständlichkeiten und darüber hinaus für deren Wirken in die Gesellschaft hinein eigens zu bedanken hätten (den Eindruck kann man m.E. insbesondere aus Gesslers Schlußsatz gewinnen), sehe ich nicht.

     

    Sich zu einer gesellschaftlichen Ordnung zu bekennen, die für das eigene Wirken einen derart privilegierten Status bereithält, wie es in der Bundesrepublik der Fall ist, sollte den Kirchen vielmehr nicht allzu schwer gefallen sein. Und mit vielem, was diese gesellschaftlich im so genannten sozialen Bereich tun, pflegen sie im übrigen – Nutzen hin oder her und dabei zudem finanziell durchaus unterfüttert; auch ein Kindergarten oder ein Krankenhaus in z.B. katholischer Trägerschaft erbringen ihre Leistungen bekanntlich nicht für ein „Vergelt’s Gott“ – insbesondere auch geschickt ihren „Markenkern“ und ihre „Botschaft“.

     

    Vor diesem Hintergrund in der Tat: Wie Autor Gessler schreibt, ist RU qua Verfassungslage in den meisten Bundesländern leider ordentliches Schulfach; und z.B. in der NRW-Verfassung konnte unter Artikel 7, Grundsätze der Erziehung, Satz 1 als vornehmstes Erziehungsziel (!) auch für bekenntnisfreie Schulen festgeschrieben werden die Ehrfurcht vor Gott - m.E. eigentlich ein Skandal. Als Nicht-Religiöser wird man – realistischerweise – mit dieser Lage auf unabsehbare Zeit leben müssen. Gerade deshalb allerdings ist es umso wichtiger zu versuchen, etwaigen Ausbreitungstendenzen des Staat-Kirche-Geflechts in neue „Zonen“ nach Möglichkeit entgegenzutreten. Und eben deshalb ist der „Schulkampf“ im kleinen Berlin m.E. von durchaus größerer, exemplarischer Bedeutung.

  • D
    Dieter

    Zur Umfrage: es handelt sich um eine Forsa-Umfrage im Auftrag der "Berliner Zeitung". Die exakte Fragestellung lautete lt. "Berliner Zeitung" (http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0131/berlin/0080/index.html): "Finden Sie die bisherige Regelung, nach der das Schulfach Ethik ab der 7. Klasse ein fester Bestandteil des Stundenplans ist und das Fach Religion freiwillig dazu genommen werden kann, richtig?" Mögliche Antworten waren: "Ja" beziehungsweise "Nein, die Schüler sollten sich entscheiden können." Wie wäre das Ergebnis wohl ausgefallen, wenn die vorgegebenen Antworten gewesen wären: "Ja, denn es ist den Schülern nicht zumutbar, noch freiwillig den Religionsunterricht zu besuchen" und "Nein, die Schüler sollten sich entscheiden MÜSSEN".

  • BT
    Beate T.

    Die Äußerungen von diotima zum Thema Sozialstaat kann ich nur unterstreichen.

     

    Sicher ist es gut, dass einige deutsche Bischöfe sich gegen die jüngsten Taten des Papstes stellen. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Antijudaismus ein Wesen des Christentums ist. Das II. Vatikanische Konzil erklärt auch die Bibel in JEDEM Punkt für wahr, obwohl es darin sowohl Hass gegen Juden, als auch gegen Anhänger anderer Religionen, gegen Atheisten, gegen Homosexuelle, ... usw. gibt. Auch die deutschen kath. Kirchenleute haben das II. Vat. Konzil anerkannt. Inwiefern sie persönlich den Haß gegen andere Gruppen teilen, ist nicht zu sagen. Bei Kardinal Meisner kommt das z.B. häufiger durch. Aber wenn diese Leute es sich noch erlauben dürfen, die anderen Gruppen zu verunglimpfen, in Bezug auf die Juden können sie sich das NICHT ERLAUBEN derartige Äußerungen zu tun. Möglicherweise handeln auch die deutschen Bischöfe jetzt nur aus Kalkül, um schlimmere Folgen für ihre Kirche zu verhindern.

     

    Wir sollten das Christentum in seinem Wesen betrachten und wirklich eine strikte Trennung von Staat und Kirche durchsetzen. Dazu gehört auch die Verlagerung des Religionsunterrichtes aus den Schulen hinein in die Kirchen. Zu der Unterstellung, Wowereit würde tricksen, gibt es heute einen schönen Kommentar zu einem Artikel im Tagesspiegel: "Kopplung von VE und Europawahl ist Verfälschung des Wählerwillens", den ich nur unterstreichen kann. (http://www.tagesspiegel.de/berlin/Landespolitik-Pro-Reli-Religion-Schule;art124,2729463#formular)

  • B
    beutling

    Kompliment für diesen Artikel!!! Hier wird endlich klar, dass das Schwarz-Weiß-Denken in der Frage Religionsunterricht einfach unmöglich ist. Hier die böse Kirche, die unsere Kinder verführt zu dogmatischem Denken, da der gute liberale Gottverneiner, der die wahre Ethik der Bürgerschaft aufdrückt.

     

    Ich selbst habe in einer tiefschwarzen katholischen Stadt im kath. Religionsunterricht Monty Python's "Life of Brian" gesehen, andere Religionen kennen gelernt und mit einem Priester mit staatlichem Lehrauftrag ernsthaft debattiert, ob des Papstes Frauenbild nicht verrückt sei - und immer noch ein "gut" als Note erhalten.

     

    In Berlin-Prenzelberg 2009 nun lernt mein Sohn im neuen Ethikunterricht mitnichten, was andere Religionen bedeuten. Vor allem verbietet es die Schulleitung über ein demokratisches Volksbegehren zu sprechen. Die Kinder lernen die Ilias, aber nicht die Bibel kennen.

     

    Vielleicht sind meine Beispiele Einzelfälle...aber wie viele wissen eigentlich was vor Ort in der Schule passiert? Wer war wirklich schon einmal in der Kirche? Die meisten haben wahrscheinlich noch nie mit einem Priester gesprochen und wissen gar nicht, dass Messdienerinnen auch in der Papstkirche völlig normal sind.

     

    Das Welt-Bild der "Anti-Religiösen" in dieser Stadt erscheint mir provinziell. Ich möchte Religionsverneiner/innen mit hohem Respekt behandeln. Aber Nichtreligion ist auch eine Religion, auch wenn sie sich Weltanschauung, Ethik nennt. Warum also keine Vielfalt...? Ich könnte auch damit leben, das Ethik/Religon ganz aus der Schule verbannt wird, um Religiöse und Nichtreligiöse gleich zu stellen. Aber warum ist das nötig? Warum kein Kompromiss? 2/3 getrennt, 1/3 gemeinsam. Es wäre unendlich spannend... So aber gibt sich der Staat ein Monopol, Ethik zu definieren und macht es so der dogmatischen Kirche aus schlechten Tagen nach. Wowi, Geben Sie Religionsfreiheit! Relax! Gib nach...

  • EB
    Ed Bradburn

    Die Geschichte der Kirche(n) in Deutschland zu erwähnen, ohne die reichlichen Staatskirchenverträge zu nennen - insb. die, die mit dem Heiligen Stuhl beschlossen worden sind - finde ich selbst etwas komisch.

     

    "Kann Kanzlerin Merkel wirklich von ihrem ehemaligen Staatsbürger Benedikt XVI. noch auf die deutsche Staatsräson pochen?" fragt Herr Maruschke.

     

    Das weiß ich nicht, aber vielleicht sollte Frau Merkel mal das Reichskonkordat von 1933 (zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl geschlossen - und noch bis heute zumindest z.T. gültig) noch mal durchlesen.

  • P
    paradoxa

    @diotima: Genau das wollte ich auch schreiben.

    Für eine konfessionsfreie Kindergärtnerin oder Krankenpflegerin kann es mancherorts wirklich zu einem Problem werden, einen Arbeitsplatz zu finden. Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft werden maximal zu 15% von der entsprechenden Kirche finanziert, der Rest kommt vom Staat und den Eltern. Krankenhäuser und Altenheime kommen gar komplett ohne Zuschuss von ihrer Kirche aus.

     

    Trotzdem wird man nur mit der "richtigen" Konfession angestellt, und zumindest bei den Katholiken ist es damit nicht getan. Aufgrund einer Wiederheirat nach Scheidung, Kirchenaustritt oder ähnlicher "Vergehen" kann man entlassen werden.

    So duldet der Staat nicht nur Diskrimierung und Ungleichbehandlung, sondern darf auch noch selbst dafür zahlen. Tolle Sache, dieses kirchliche Engagement für die Sozialsysteme!

  • TM
    Thorsten Maruschke

    Ein sehr differenzierter und kluger Artikel, quasi eine "Gegendarstellung aus dem eigenen Hause" zur Schlagzeile vom 06. Februar. Man möge doch beide Artikel nebeneinander lesen und damit aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit herauskriechen. Herzlichen Glückwunsch der taz zu dieser Diskussionskultur!

     

    Nur in einem zweifle ich: Kann Kanzlerin Merkel wirklich von ihrem ehemaligen Staatsbürger Benedikt XVI. noch auf die deutsche Staatsräson pochen?

  • D
    diotima

    Wenn der Kommentator daran erinnert, dass der deutsche Staat große Teile des Sozialstaates den Kirchen überantwortet hat, muss er, statt sich nur auf diesen "erfreulichen" Rückzug des Staates zu freuen, auch nennen, womit dieser einhergeht: Die Arbeitsplätze für alle der Mitarbeiter bei kirchlichen Sozialeinrichtungen sind konfessionsgebunden. Arbeitsrechte sind nicht einklagbar, da Kirchen eine Selbstverwaltung besitzen. Es sind sogar Fälle bekannt, bei denen die katholische Kirche Mitarbeiter auf Grund ihrer bekannt gewordenen Homosexualität entlassen hat. Den Gerichten ist es verwehrt, über die heilige Canones zu richten. Es versteht sich, dass das Geld für diese Einrichtungen nicht von den Kirchensteuern kommt. Ich glaube nicht, dass die taz mit diesem Artikel sich selbst einen Dienst erwiesen hat.

  • JK
    Jan Klose

    Deswegen liebe ich die taz!!!! Es ist fuer jeden was dabei und wird gegen alle gewettert.

    Fuer taz heist fuer Vielfalt!

     

    Danke.

    Wenn ich mal Geld verdiene trete ich eurer Genossenschaft bei. Bis dahin bleib ich bei nem Studentenabo.

     

    Jan

  • HM
    Heiner Mesch Nordwall17 57439 Attendorn

    Ich kann mir kaum vorstellen, dass in einer Stadt wie Berlin die Mehrheit der Bevölkerung für die Einführung der Wahlfreiheit zwischen Religionsunterricht und Ethik ist.Wenn ja, dann kann es sich wohl nur um ein unheiliges Bündnis von Christen und Muslimen handeln, die beide ihre Sichtweise der Dinge an den Schulen vermittelt sehen wollen.Ich selbst bin Gymnasialllehrer in NRW. Dort gibt es diese Wahlfreiheit.In der Praxis sieht das dann so aus, vor allem in der Oberstufe, dass es ein Scülerhopping gibt:Kommt der Schüler mit seinem Reli-Lehrer nicht aus, gibt dieser zu wenig Punkte, dann geht er zu Philosophie und umgekehrt. Mit wirklichen Überzeugungen hat dies wenig zu tun. Wollenn Sie das in Berlin?