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Religion, Zivilisation und MoralVom Schaden Gottes

Robert Misik
Kommentar von Robert Misik

Viele, die sich über Kardinal Meisners Wort von der "entarteten" Kultur aufgeregen, stimmen seiner Kernthese zu: dass Religion für ein sittliches Zusammenleben nötig sei. Ein Widerwort

Wieviel Glauben darf denn sein? Bild: dpa

W enn der Mensch Gott aus seiner Mitte verbannt, nehme die Kultur und damit die Zivilisation Schaden( 1), sagt der Kölner Katholenkalif Joachim Meisner. Damit formuliert er freilich nur in besonders blöder Weise, was der gläubige Mainstream denkt. Denn dergleichen hört man aus allen Kirchenecken: Wenn der Mensch keinen Gott über sich fühlt, macht er sich zum Maß aller Dinge. Dann "herrscht immer mehr die Willkür, verfällt der Mensch", wie es bei Joseph Ratzinger heißt (2).

Es ist ein Gemeinplatz, dass dort, wo Gott nicht existiert, alles erlaubt sei, und gewiss gab es in der Geschichte Ungläubige, die sich in verrückter Egomanie als Herren über Leben und Tod fühlten und sich dazu berechtigt wähnten, Hunderttausende oder Millionen in den Tod zu schicken. Aber ebenso gab es etliche Gläubige, die derlei taten, weil sie glaubten, ihr Gott würde Mord und Totschlag von ihnen erwarten. Man braucht keinen Gott, um Massenmord zu begehen. Aber wenn man sich einbildet, dass Gott dies von einem wünscht, fällt das Massakrieren leichter.

Dennoch hält sich die fixe Idee, dass gläubige Leute eher ein moralisches Leben führen. "Viele religiöse Menschen finden es schwer vorstellbar, wie jemand ohne Religion gut sein kann; mehr noch, sie können nicht glauben, dass er überhaupt gut sein wollen könnte", schreibt Richard Dawkins in seinem Buch "Der Gotteswahn", um mit dem ihm eigenen Spott hinzuzufügen: "Davon ist es kurioserweise nicht weit zum Hass auf die, die ihren Glauben nicht teilen." (3)

Die Meisners dieser Welt glauben, dass sich Menschen nur moralisch verhalten, weil sie auf Gottes Lohn hoffen oder seinen Zorn fürchten. Aber, fragt Dawkins hierzu, "heißt das, wenn es Gott nicht gäbe, würden sie rauben, vergewaltigen, morden? Wenn diese Leute das wirklich meinen, sollte man ihnen aus dem Weg gehen". (4)

privat

ROBERT MISIK (41) lebt in Wien und ist Autor der taz sowie der österreichischen Zeitschriften Falter und Profil. In der kommenden Woche erscheint im Aufbau-Verlag sein neues Buch "Das Kult-Buch - Glanz und Elend der Kommerzkultur". Sein Blog findet sich unter www.misik.at.

Fußnoten

(1) "Wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus, und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte", hatte Meisner am vorigen Samstag gepredigt. Das Wort "entartet" hat er inzwischen zurückgenommen. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schrieb er, der Ausdruck sei für seine Argumentation nicht notwendig gewesen. Wo er recht hat, hat er recht.

(2) Peter Seewald/Joseph Ratzinger: "Salz der Erde". Stuttgart 1996

(3) Richard Dawkins: "The God Delusion". London 2006, S. 211

(4) Ebd., S. 211

(5) Bertrand Russell: "Moral und Politik". München 1988, S. 82

(6) Christopher Hitchens: "God is not great". New York 2007, S. 180

(7) Michel Onfray: "Wir brauchen keinen Gott". München 2006, S. 265

Vielleicht sind sie auch der Ansicht, sie könnten eine moralische Person bleiben, ohne dass Gott sein Auge auf sie hat. Dann aber ahnen sie bereits, dass es keinen Zusammenhang zwischen Moral und Glaube gibt - oder allenfalls einen komplizierten und widersprüchlichen.

Ethische Überzeugungen haben vielfältige Quellen. Ein gesundes Solidaritätsgefühl für unsere Mitmenschen braucht keine religiösen Wurzeln. Der Altruismus ist eine gute Sache, aber moralisches Handeln erfordert ihn nicht zwingend. Für ein gerechtes Gemeinwesen ist es möglicherweise sogar ein stabileres Fundament, wenn die Moral keine Selbstlosigkeit nötig hat.

Wir Menschen sind soziale Wesen und wissen, dass wir in der Interaktion mit anderen unser Leben meistern müssen. Daraus allein folgt das Postulat: "Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu!" Eine sozial gerechte Gesellschaft ist für uns alle gut. Ich habe auch einen Nutzen davon, wenn nicht allzu viele meiner Mitmenschen im Elend leben. In einer Gesellschaft, in der sich alle nur um sich, nicht aber um das Geschick ihrer Mitmenschen kümmern, wäre es schnell für alle ungemütlich, auch die "Glücklichsten" müssten in den gated communities leben, in die sich in manchen Ländern bereits heute die Reichen zurückziehen müssen, um sicher zu sein. Schon der "aufgeklärte Eigennutz", schrieb der große Denker Bertrand Russell, müsse zur Abschaffung der Sklaverei führen. Denn "in einem Staat mit zahlreichen Sklaven" seien "dauernd Sklavenaufstände zu befürchten". (5)

All das schließt nicht aus, dass ich Mitgefühl mit der Bedrückung meines Nächsten habe. Kurzum: Moral gehört zur Conditio humana. Gott ist dafür nicht notwendig. Eher im Gegenteil. Denn die Religion ist ein gutes Mittel, solche moralischen Empfindungen auszuschalten. Geschichte und Gegenwart bieten genügend Beispiele dafür, dass normale Individuen in anderen nicht den Mitmenschen, sondern den Feind sahen, sobald sie von ihm durch religiösen Eifer getrennt waren. Natürlich braucht man nicht unbedingt Religion, um Kriege vom Zaun zu brechen und andere Länder zu überfallen und zu besetzen. Aber die Religion nützt sehr, Aggression zu wecken und zu erhalten.

Sie ist ein gutes Mittel, den Unterdrückten zu einem moralisch minderwertigen Subjekt zu machen, das froh sein kann, wenn ihm die Zivilisation, der wahre Glauben oder was auch immer gebracht wird. Und Religion ist ein gutes Mittel, um dem Unterdrücker die Gewissheit zu geben, sein Handeln sei von Gott gerechtfertigt. Zudem wird Unrecht, das sich religiös begründen lässt, eher akzeptiert.

Wir wissen, dass es viele Ungläubige gab, die sich an den Menschenrechten vergingen, aber auch sehr viele Gläubige. Und es gab viele Gläubige, die gegen Unrecht aufstanden, aber auch viele Ungläubige. Martin Luther King trat für die Nachkommen der Sklaven ein; sein Namenspatron Martin Luther hetzte gegen die Juden und segnete die Obrigkeit, die während der Bauernaufstände die "mörderischen Rotten" der Freiheitskämpfer erschlagen ließ. Franjo Tudjman, der kroatische Staatspräsident, war ein gläubiger Katholik, General Radko Mladic, der Führer der serbischen Armee, ein orthodoxer Christ. Beide waren große Anhänger der "ethnischen Säuberung" und des genozidalen Massenmords, der ohne die Versessenheit auf ethno-religiöse Identitäten gar nicht hätte funktionieren können. Denn nur anhand der Kriterien "katholisch", "orthodox" und "muslimisch" waren die Südslawen überhaupt auseinanderzuhalten. Oskar Romero, der Erzbischof von San Salvador, stellte sich vor dreißig Jahren in El Salvador mutig auf die Seite des unterdrückten Volkes und wurde deshalb von faschistischen Todesschwadronen erschossen, deren Anführer gläubige Christen wie er waren.

Sieht man sich die Geschichte der meisten Freiheitsbewegungen an, waren es jedenfalls meist die säkularen Kräfte, die sich mit dem Unrecht der Welt nicht abfinden wollten, während die Gläubigen in der Mehrzahl ihr Heil im Gebet suchten - ganz abgesehen davon, dass sich meist eine Bibelstelle fand, die die Eroberung eines Landes, die Unterdrückung der Frauen oder die Beibehaltung der Sklaverei legitimierte. "Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der säkular oder Freidenker war, sich gegen das Unrecht stellte, war extrem hoch", schreibt Christopher Hitchens in Hinblick auf den Kampf gegen die Sklaverei in Amerika. "Die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand aufgrund seiner religiösen Überzeugungen gegen die Sklaverei und Rassismus stellte, war ziemlich klein. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aufgrund seines Glaubens die Sklaverei und den Rassismus verteidigte, war statistisch extrem hoch, und das war auch der Grund dafür, dass der Sieg über das Unrecht so lange auf sich warten ließ." (6)

Wir alle, ob gläubig oder nicht, wissen, dass wir uns gut fühlen, wenn wir etwas getan haben, was vor unseren Kriterien einer moralischen Lebensführung zu bestehen vermag, und dass wir uns schlecht fühlen, wenn wir etwas getan haben, was unseren moralischen Vorstellungen widerspricht. Wir haben in einem solchen Fall Gewissensbisse. Da brauchen wir keinen Gott über uns.

Im Gegenteil: Meist sind es der Welt zugewandte Menschen, die Unrecht als besonders unerträglich empfinden, während ein guter Gläubiger oftmals die fixe Idee in seinem Kopf hat, dass die rein äußerlichen Unterschiede auf Erden keine Rolle spielen, da alles Irdische ohnehin eitel sei.

Sklave oder Bürger? Alles unwichtig. Ja mehr noch, oftmals wurde unterstellt, "der gute Sklave, der sich in seine Sklavenrolle fügt" (Michel Onfray), tut ein gottgefälliges Werk, weil er wie ein guter Diener seines Herrn auf dem Platz bleibt, auf den ihn Gott auf Erden gestellt hat - eine "Demutshaltung", mit der er sich "einen Platz im Paradies" verdient. (7) "Ein jeder bleibe in der Berufung, in der er berufen wurde", heißt es in der Luther-Bibel (1. Kor 7,20), woher bezeichnenderweise auch das deutsche Wort "Beruf" stammt. Jeder soll bleiben, was er ist, denn er ist von Gott dorthin "berufen", und der Knecht mag zwar irdisch unfrei sein, aber wenn er den Herrn bei sich weiß, dann ist er "ein Freigelassener des Herrn" (1. Kor 7,22). Toller Ratschlag!

Gewiss sind die Heiligen Schriften der großen monotheistischen Religionen auch so etwas wie das Inhaltsverzeichnis der moralischen Imperative der Menschheit. Das Tötungsverbot, die Nächstenliebe, das Mitgefühl für den Mitbürger oder die Aufrichtigkeit sind für das Funktionieren eines jeden Gemeinwesens zentrale Werte, sodass es nicht wundert, dass sie praktisch in allen Moralkatalogen vorkommen, egal ob religiös oder nicht. Und selbst wenn das, was man "unsere Werte" nennt, historisch gesehen auch religiösen Ursprungs wäre, spricht nichts dafür, dass die Bindekraft moralischer Normen abnimmt, wenn der Mensch Gottes Videoüberwachung nicht mehr über sich spürt. Besonders religiöse Gesellschaften sind keineswegs moralischer als eher nicht religiöse Gesellschaften.

Es ist ein Irrglaube, dass die Religion wenn schon nicht wahr, dann nützlich sei, weil sie die Moral stärke. Solange auch Nichtgläubige dem etwas abgewinnen können, haben die Meisners leichtes Spiel.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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18 Kommentare

 / 
  • JF
    Jan Freyn

    Sehr richtiger Artikel und viele lächerliche und sehr bemühte Entgegnungen in den Kommentaren.

  • MT
    michael the first

    Yes i need indead a layer ,to realise my mailsending`s to the United Staates

  • DK
    Dr.Werner Kommarek

    sehr geehrter herr michael tfirst,

     

    ich habe mir ihre homepage angesehen und mir belibt nur ien rat an sie und die mutter des manuel nowatschek. diese mutter eva nowatschek oder der nun volljährig gewordene manuel soll die repubik österreich samt der kath.kirche und den schon seit jahrzehnten kindesschändenden schulbrüdern,eine klage an den hals hängen.eurer mut und einsatz ist mit keinem geld der welt abzuwiegen.gebt bitte nicht auf, die justiz hat in extrem vielen fällen,die alle die schulbrüder als täter betreffen geschützt.das was auf ihrer homepage von manuel nowatschek zu finden ist,genügt um die schulbrüder, die kath.kirche und die republik österreich auf millionen erfolgreich zu klagen,solltet ihr einen anwalt suchen so gebt das auf dieser homepage bekannt,ich werde dafür sorgen dass euch ein unbefangener anwalt gratis zur verfügung gestellt wird.schreibt diese eva nowatschek nun ihr oft schon erwähntes buch,dass ihr gerichtlich verboten sein soll,offensichtlich um die schulbrüder zu schüzen? geben sie herr tfirst diesbezüglich auskunft auf ihrer homepage,da ich dass enstehen des buches vorantreiben und finanziell fördern möchte.

  • MT
    Michael Tfirst

    Die kath. Kirche ist ein einziger Pädophilenring, geschützt vom Staat durchs Konkordat

     

    Bei der zölibatären Enthaltung überschätzen sich einfach alle, denn welcher Mensch kann sich der Sexualität schon absolut enthalten? Die Sexualität ist ein sehr starker Trieb und so wollen ihn viele Menschen als höchste Leistung für die kath. Kirche opfern, nur können sie das nicht und der Trieb gleitet aus der Kontrolle. In der kath. Kirche sind sehr viele Männer, die bezüglich der gesunden Haltung gegenüber einer erwachsenen Frau einen Knacks haben, deswegen werden sie ja Priester oder Mönche, um sich irgendwie vor dem Angstobjekt Frau zu schützen. Im Kloster haben sie davor nun endlich ihre Ruhe. Es gibt Ersatzhandlungen, in denen der Zölibatäre seinen Trieb ausleben kann, eine davon ist die Homosexualität, die innerhalb von Klöstern der kath. Kirche ebenfalls sehr stark verbreitet ist (aber nach außen hin verteufelt die kath. Kirche die Homosexualität).

     

    Außerdem können eventuell aufkommende Gefühle zu einer Frau in die vielen Marienverehrungen von der kath. Kirche sublimiert werden, und dann gibt es noch das Kind, das als Messdiener, als Ministrant, als Mitglied der Jungschar oder als Schüler der unzähligen kath. Privatschulen dem Klerus voll ausgeliefert ist.

     

    Ich berichte auf meiner Homepage über mich, wie ich bei den Schulbrüdern in der 1. Klasse Volksschule schon den 1. sexuellen Missbrauch erlebte und dass noch weitere Missbräuche folgen sollten. Wegen Groer machte ich als Kandidat im Benediktinerstift Göttweig zwei Selbstmordversuche (ich sprang aus dem Turmzimmer und später hatte ich Nachahmer, denn es sprangen nur wegen Groer mehrere Mönche aus dem Turmfenster. Ob es da auch Tote gab, weiß ich nicht. Der Abt verhinderte Jahre später aber nicht, dass Groer Kardinal wurde). Schon in der Überschrift meiner Homepage erwähne ich, dass ich durch die sexuellen Missbräuche von Kirchenleuten in meiner Kinderzeit seit dem 15. Lebensjahr an Bulimie leide. Nach 33 Jahren Bulimie habe keinen Zahnschmelz mehr. Wegen mehrmaligen Erstickungsanfällen in der letzten Zeit sind neue Funktionsdiagnostiken wieder nötig geworden. Die lange Zeitdauer meiner Bulimie von 33 Jahren hat bei mir lebensgefährliche Spuren hinterlassen.

     

     

    Ich berichte auch auf meiner Homepage über 100.000 sexuelle Missbrauchsopfer, denn ich habe im Laufe der Jahre fast 800 Medienberichte über sexuelle Missbrauchsopfer der kath. Kirche gesammelt.

     

    Den ersten gravierenden Fall vom Missbrauchsopfer Manuel Nowatschek (ein Opfer der Schulbrüder) dokumentiere ich mit Zeitungsartikel, Polizeiberichten, Gutachten usw., usf. Es gelang auch in diesem Fall der kath. Kirche mit Verbindung des Konkordates die österreichische Justitia erblinden zu lassen. Die kath. Kirche ist eben zu mächtig. Nach einem fast 15jährigen Kampf der Familie mit der kath. Kirche ist Herr Nowatschek, der Vater des Opfers, am 17.11.2007 verstorben. Die Kirche, bzw. die Erzdiözese Wien (seit 11 Jahren unter der Leitung Kardinal Schönborns) konnte sich bis jetzt drücken, Schmerzensgeld zu bezahlen.

     

    Mit freundlichen Grüßen

    Michael Tfirst

  • F
    francis

    wenn es einen gott gäbe,

    dann könnt ich wenigstens atheist sein

  • S
    shadowdrake

    meiner Ansicht nach gehen, mit Verlaub gesagt, die meisten Kommentare, wie auch der ursprüngliche Artikel an der eigentlichen Situation vorbei.

    Menschen die sich philosophischen Diskussionen widmen, Sozialphilosophien ausarbeiten oder humanistisch angehauchte Logik-Moral Kombinationen ausarbeiten, sind ganz offensichtlich, fern der Realität. Die meisten hier aufgeführten Punkte und Kommentare sind vom Standpunkt ihres Autoren nachvollziehbar und auf ihre Weise "Richtig". Das Hauptproblem aber, dass die wenigsten Menschen sich jemals in ihrem Leben mit Geisteswissenschafftlichen Erkenntnissen auseinander setzen WOLLEN.. führt aber dazu, dass die Masse der Menschen über einen moralischen Imperativ zu ihrem Verhalten gebracht werden müssen und wollen. Der Strafgesetzkanon erfüllt diese Funktion nicht, da er lediglich einzug in das Verhalten bezieht, so die Gefahr besteht erwischt werden zu können. Ausserdem ist gerade der Masse der Menschen sowieso durch das schlechte Beispiel ihrer "Eliten" eher zu Mißgunst und Eigennutz verdammt. Der Hauptvorteil der Religion ist somit eine allg. gültige, vor allem einfache, Begründung für ethisches Verhalten. Der angeblich genetisch verankerte Aspekt unseres Sozialverhaltens wirkt sich leider nur in Bezug zu unserer "Herde" aus, und ein Volk sieht sich, schon aus rein biologischer Sicht, nicht als eine große "Herde" an, sondern als aus vielen konkurrierende Kleingruppen zusammengesetzte Masse an. Somit bietet Religion (welche auch immer), als allg. Wertekanon der Masse sicherlich eine bessere Begründung an, soziales Verhalten an den Tag zu legen.

  • A
    Alster

    Religion, ist das, was Kannibalen für ungenießbar

    halten. Das heißt, es kommt immer auf den Aspekt an.

    Jesus, unser Religionsstifter, wollte eine Verbrüderung der Menschen. Die Kirche hat einen Hort

    des Goldes daraus gemacht-, eigentlich nur zum Selbstzweck. Bedenkt man, dass nur 5-8%, der Kirchensteuer an hilfsdedürftige Einrichtungen

    zurückfließen- allein zwei Drittel für Personal-

    kosten draufgehen und ein einfacher Pfarrer seine

    Beerdigungskosten( zwei Monatsgehälter ca.9000?),

    ohne die anderen Vergünstigungen, bezahlt bekommt

    und der Systemgeschädigte auf dem 'Schindanger'

    landet, ist dies eine Religion, die erheitert.

    Jemand hat mal gesagt: Religion ist dazu da,

    die Reichen vor den Armen zu schützen.

    Übrigens,die Justiz tut das gleiche. Was hat der

    Arme also noch zu erwarten-, den Seelentrost?

    Ich frage mich von wem.

  • AL
    Alfred Loschen, Sonneneck 3 , 32427 Minden

    Der Nichtchrist, der Christ und die Armen

     

    Der Nichtchrist,

    der beizeiten erfährt,

    die Lage der Armen sei ungeklärt,

    versucht mit Hilfe einer Strategie

    zu entlarven die gesellschaftliche Apathie

    welche die Armen ohne ?Wenn? und ?Aber?

    gefangen hält im Hilfelager.

     

    Der Christ dagegen

    fühlt sich sicher.

    Er hat und teilt, wird nicht bitter

    Und trägt mit eingepredigtem Gewissen

    der Gesellschaft nach das Ruhekissen,

    auf dem die Reichen und die Armen

    sich ausruhen sollen im Erbarmen.

     

    Tät Christ und Nichtchrist

    oh´n Bedenken sich zusammen,

    sie könnten gemeinsam doch verlangen,

    dass Hilfe suchen, Helfer sein

    geschehen kann gesellschaftlich und gemein.

    Die Befreiung könnte mit Gott und Leute

    vollzogen werden im Hier und Heute.

     

    Alfred Loschen

    Minden

  • AL
    Alfred Loschen, Sonneneck 3 , 32427 Minden

    Es kommt immer auf die Taten an und nicht auf die Frage, ob Christ oder Nichtchrist. Ich habe dazu schon2003 folgende Verse geschrieben, die das deutlich machen sollten:

    Der Nichtchrist, der Christ und die Armen

     

    Der Nichtchrist,

    der beizeiten erfährt,

    die Lage der Armen sei ungeklärt,

    versucht mit Hilfe einer Strategie

    zu entlarven die gesellschaftliche Apathie

    welche die Armen ohne ?Wenn? und ?Aber?

    gefangen hält im Hilfelager.

     

    Der Christ dagegen

    fühlt sich sicher.

    Er hat und teilt, wird nicht bitter

    Und trägt mit eingepredigtem Gewissen

    der Gesellschaft nach das Ruhekissen,

    auf dem die Reichen und die Armen

    sich ausruhen sollen im Erbarmen.

     

    Tät Christ und Nichtchrist

    oh´n Bedenken sich zusammen,

    sie könnten gemeinsam doch verlangen,

    dass Hilfe suchen, Helfer sein

    geschehen kann gesellschaftlich und gemein.

    Die Befreiung könnte mit Gott und Leute

    vollzogen werden im Hier und Heute.

     

    Alfred Loschen

    Minden

  • HH
    Hans-Hermann Hirschelmann

    Misiks Blick ist schief. Dass sich zwar ohne Religion Gutes und Böses machen, sich aber lediglich das Böse besonders gut relegiös begründen lässt, erscheint weder logisch noch lebensweltnah. Aus der Tatsache, dass "man" (abstrakt, logisch) ohne Religion moralich korrekt sein kann und viele es auch sind, und dass andererseits die bekennenden Christen Tudjmann und Mladic für "ethnische Säuberungen" verantwortlich sind, lässt sich über die Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit (oder gar die Gefährlichkeit) christlischer Motive zum Gutes-Tun nichts schlussfolgern außer: Christ(inn)en, die ihren Widerstand gegen Völkermord und -vertreibung im verfallenden Jugoslavien relegiös begründeten, sind besonders achtenswert und bewirken - womöglich - auch besonders viel, weil sie das Leichtermachen des Bösen mittels relegiöser Zaubersprüche konterkarieren. Das Gleiche gilt natürlich für Muslime, die relegiöse Argumente gegen den islamistischen Terror vorbringen.

    Im Übrigen argumentiert Misik selbst wie ein Gläubiger der lediglich "das Reich Gottes" bzw. "die göttliche Gerechtigkeit" in "gerechte Gesellschaft" (?) unbenennt und statt vom "lieben Gott" vom lieben "Wir" schwärmt: "Wir alle" (also einschließlich solcher Leute wie Tudjmann und Mladic) "ob gläubig oder nicht, wissen, dass wir uns gut fühlen, wenn wir etwas getan haben, was vor unseren Vorstellungen einer moralischen Lebensführung zu bestehen vermag, uund dass wir uns schlecht fühlen, wenn wir etwas getan haben, was unseren moralischen Vorstellungen widerspricht. Wir haben in einem solchen Fall Gewissensbisse. Da brauchen wir keinen Gott über uns".

    Stattdessen das heilige "Wir" zu huldigen, übersieht nicht nur, dass es sich aus Menschen mit sehr unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen über Gut und Böse zusammensetzt, sondern auch, dass es ein ebenso großes Potenzial zur Legitimation guter Taten oder Verbrechen in sich birgt, wie Gottesglaube.

     

    Hans-Hermann Hirschelmann

  • A
    alex

    Werter Herr Misik,

     

    hier ein kleiner Kommentar. Es handelt sich um meine - hin und wieder etwas direkt formulierte - Meinung bezüglich meines Verständnisses von Ihrem Essay.

    Zusammengefaßt verstehe ich Ihr Essay als - ich denke, man kann es durchaus so charakterisieren - Polemik hauptsächlich gegen die Kernthese Meisners u.a., aber auch als Polemik gegen solche, die Ihren ethischen Ansatz nicht vertreten, ja Ihrer Ansicht nach vielleicht sogar als unmoralisch zu klassifizieren sind. Dabei scheint mir, reden Sie jedoch an der Kernthese Meisners vorbei, indem Sie gerade eben nicht argumentieren, sondern hauptsächlich - wie ich meine - statistisch verwertbare Fakten sammeln, die zwar letztlich eine - durchaus berechtigte - Kritik an der Praxis üben, aber eben nicht an deren theoretischen Unterbau, den Sie eigentlich zu treffen beanspruchen. Zugleich scheinen Sie dabei gegen die katholischen Repräsentanten einen Vorwurf stark zu machen, der diesen aber gar nicht unterstellt werden kann: Daß sie angeblich alle Agnostiker und Atheisten als Immoralisten und moralische Nullen qualifizieren. Da ich mich aufgrund nicht vorhandenen Interesses aber nicht mit Meisner beschäftigt habe, kann ich dies nur ausdrücklich als Vermutung äußern.

     

    - - -

     

    Ihr Essay will gegen die Kernthese Meisners u.a. argumentieren, kratzt m.E. dabei aber lediglich an der Oberfläche. Habe ich es richtig verstanden, dann geht es wohl hauptsächlich um eine "statistisch erhebbabre" Bestandsaufnahme, die als solche aber tatsächlich am Kern des Problems vorbeigeht. Daß mit dem Verlust Gottes Ethik und Moralität ebenso verlustig zu gehen scheinen, ist zudem nicht bloß Mainstream-Gedankengut. Unter anderem Autoren - die ich vielleicht auch ein wenig zuunrecht über denselben Kamm schere - wie bspw. Kant (Metaphysik der Sitten), Kierkegaard (Der Begriff Angst, Furcht und Zittern), Dostojewski (Die Brüder Karamasow; sehr nachdenkenswert), Nietzsche (Der Wille zur Macht) oder Werfel (Können wir ohne Gottesglauben leben?; ein sehr interessanter und nachdenkenswerter, wenn auch für meinen Geschmack etwas unnötig zu polemischer Vortrag; führt aber m.E. die Überlegungen aus Karamasow und von Nietzsche weiter) hielten den Gottesgedanken für notwendig, um Ethik und Moralität hinreichend begründen zu können. Dabei geht es - soweit ich überblicke und interpretiere - nicht um die Vorstellung von Gott als Big Brother, sondern um was ganz anderes! Erstens, einen sogenannten "archimedischen Punkt", die begründende Letztinstanz für ethische Normen (das Eigentümliche an Normen scheint mir nämlich, daß sie grundsätzlich unableitbar sind oder wenn nicht, dann aber aus anderen Normen abgeleitet werden müssen). Zweitens, um den Wert von Handlungen. Drittens, um die individuellen Konsequenzen des eigenen Verhaltens.

    - - - Um das Ganze abzukürzen, sei die Feststellung vom Philosophen Tetens zitiert: "In der säkularen Moderne ist der Wille Gottes als plausible transzendente Grundlage weggebrochen. Seitdem sehen viele Philosophen das Problem, wie man jemanden überzeugen kann, dass er sich moralisch verhalten soll" (Philosophisches Argumentieren, München: Beck 2004, 164). Kern des Problem ist also nicht eine Bestandsanalyse, wie sich Menschen verhalten und warum gerade so, sondern darum, wie gut dieses Warum begründet ist.

     

    In diesem Sinne scheinen mir die von Ihnen angeführten Gründe für ethisches Verhalten recht schwach. Dem Sein-Sollen-Fehlschluß könnte evtl. die sog. conditio humana verfallen. Vorallem ist zu fragen, wieso gerade dies als conditio humana, insbesondere wenn womöglich eine evolutionäre Entwicklung des Menschen aus dem Tier akzeptiert wird? Bspw. werden in de Sades 120 Tage von Sodom oder in Dennetts Darwin's Dangerous Idea völlig grundverschiedene Vorstellung von der conditio humana entwickelt. Sodann scheinen mir Ihre angeführten Argumente wohl eher für eine Ästhetik (leitende Kategorien: schön/häßlich, Glück/Elend, Lust/Unlust) und zu diesem Zweck instrumentalistische Handlungs- und Verhaltensbegründung zu sprechen statt für eine Ethik. Denn - so scheint mir - sie zielen letztlich auf das Glück des handelnden oder der behandelten Menschen, also auf die Folgen, auf den Ausgang einer Handlung. Dieser Vorgehensweise unterstellt Kierkegaard in Furcht und Zittern m.E. aber zurecht, daß sie mit dem Ausgang ästhetisch liebäugelt. Was m.E. insofern ein berechtigter Vorwurf sein könnte, als die Ethik "sich nicht auf die Erfahrung [beruft], die auch von allen lächerlichen Dingen ungefähr das lächerlichste ist und so weit entfernt davon, einen Mann klug zu machen, daß sie ihn eher verrückt macht, wenn er nichts höheres als sie kennt" (Furcht und Zittern, 5. Aufl. Hamburg: EVA 2004, 80). Aristoteles dürfte evtl. als Pate für eine auf Glück abzielende Ethik erwähnt werden. Nur wurden dagegen m.E. insofern durchaus überzeugende Einwände vorgebracht, z.B. von Kierkegaard oder von Thomas Aquinas (einem Aristotels-Rezipienten sondergleichen!), als das Glück nur schwerlich als höchstes, nichtsdestotrotz als erstrebenswertes!, Handlungsziel gelten kann.

     

    Womöglich geht es also den katholischen Herrschaften nicht darum, alle Nicht-Katholiken als moralische Nullen abzuqualifizieren (was sie wahrscheinlich auch nicht tun würden, sollten sie dem II. Vaticanum darin zustimmen, daß es moralisch hochstehende Menschen unter den Nicht-Katholiken gibt!), sondern um den Begründungsaspekt für Ethik. Und damit stehen sie nicht allein.

    Ob Gott nun notwendig ist für eine Ethik, das kann ich derzeit nicht sagen. Man muß vermutlich bedenken, daß (oftmals als persönlich vorgestellter) Gott metaphysische Eigenschaften des Absoluten - ob zurecht oder zuunrecht, das kann ich momentan nicht entscheiden - zugesprochen worden und mit der Gotteskritik z.T. auch gleichzeitig die Metaphysikkritik einherging.

     

     

    Mein Fazit daher: Mir persönlich scheint Ihr Essay sowohl für tendentiell überflüssig, als auch für nicht minder inhaltliche Mainstream-Magerkost servierend, wie selbst von Ihnen den "Volksreligiösen" vorgeworfen. Es wird sich m.E. teilweise oberflächlicher Überlegungen bedient, die man als Teenie und Pubertierender in der Schule hört und selbst vorbringt und dabei ungeschickterweise die ernsthaften philosophischen und theologischen Debatten der Gegenwart und Vergangenheit übersieht.

     

     

    In der Hoffnung, Ihnen die Worte im Mund nicht umgedreht und nicht an Ihnen vorbeigesprochen zu haben, verbleibe ich mit besten Grüßen.

  • KN
    Klaus Norden

    Danke für den lesenswerten "Langen Text", ideale lektüre zum Samtag frühstück.

     

    Viele gute argumente für mich als aktiven agnostiker.

  • S
    Shrike

    Was aber Habermas an diesen Argumenten ändern soll, lässt Kommentar 1 ungesagt.

    Die Argumente des Artikels sind eigentlich ziemlich offensichtlich und Aussagen wie die von Kardinal Meisner halten sich in unserer Gesellschaft vor allem deshalb so lange, weil zwar ab und an von Religion die Rede ist, die (religionslose) Philosophie jedoch für die meisten spätestens nach dem Abi kein Thema mehr ist. Kein Wunder, dass die Ratzingers und Meisners die humanistische Philosphie immer wieder munter umgehen und sagen "Entweder wir oder der Nihilismus".

    Doof, dass so viele ihnen diesen Unsinn abkaufen.

  • RF
    Raimund Frenzel

    Oscar Romero ist nicht von "faschistischen Todesschwadronen" erschossen worden. Tatsächlich sind es max. 2 bis heute unbekannte Täter gewesen, deren "Anführer oder Auftraggeber" bis heute keiner kennt. Und gläubig waren sie auch nicht, denn dann hätten sie sich an das Gebot gehalten: Du darfst nicht töten.

  • C
    Crackatau

    Die Katholen brauchen grad schreien. Kunst, der einzige Bereich im Leben, wo kein Pfaffe, kein Politiker, kein Reicher Zutritt hat. Merkt man auch sofort daran, was diese Kasper so rausschwätzen, wenn die Kunst ihnen zu nahe tritt. Aber Kunst kommt von Können. Und wie Goethe so schön gesagt hat: Erst wenn die letzte Menschenseele eine Künstlerseele geworden ist, ist die Menschheit erlöst. Bestimmt nicht dann, wenn sich jeder Depp auf Erden als Bestimmer dessen aufführen darf, was Kunst ist.

  • CD
    Chevalier de la Rose

    Willensfreiheit vorausgesetzt ist eine moralische Entscheidung, bei bestehnder Handlungsalternative, ohne religiöse Zwangsvorstellungen doch viel wertvoller. Der Religiöse scheint sich in einem theologischem Zwangskorsett wohler zu fühlen, dass ihm die Entscheidungen abnimmt und nur zu purem Gehorsam verpflichtet. In diesem Sinne führt der religiöse kaum ein selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Leben.

    Solche Menschen passen nicht mehr in unsere Welt, diese Sicherheit und Gewissheit suchenden wären im Mittelalter zu Hause, oder als geleitete und geführte Sklaven von Gott vielleicht in einer Arbeits-und Sklavenmoral der Ökonomie aufgehoben!

  • BP
    Blauer Panther

    Endlich endlich endlich mal ein Artikel welcher dem Drittel Konfessionslosen in Deutschland und den als Säuglingen beigetreten wordenen kirchlich gottlosen Karteileichen, wie ich eine bin, versucht eine Stimme zu geben.

    Es ist nicht immer lustig wenn solche Steuerzahler Meisners Sprüche a la "Menschlichkeit ohne Gottesglauben verkomme in Brutalität" mitfinanzieren müssen.

     

    Vielen Dank

  • HR
    H. R. Seeliger

    ...tja, die Feuilletonphilosophen... bisschen mehr Habermas lesen, wär da meine Empfehlung. Im Übrigen ist es schlechte Theologie, Wahrheit auf Nützlichkeit zu reduzieren - und das ist den Theologen durchaus bewusst.