Rekordzinsen auf Staatsanleihen: Die tricksende Zentralbank
Der Trend zu wachsenden Zinsen für Italien und Spanien setzt die Euroländer unter Druck. Trotzdem will die Zentralbank Italien noch nicht stützen, damit Berlusconi früher spart.
BERLIN taz/rtr | Die Nervosität an den Finanzmärkten lässt auch die Europäische Zentralbank (EZB) nicht unbeeindruckt. Am Sonntagabend wollten die Präsidenten der Euro-Notenbanken in einer Videokonferenz ihr weiteres Vorgehen beraten, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg meldete.
Spanien und Italien müssten Rekordzinsen zahlen, wenn sie neue Kredite aufnehmen. Bei zehnjährigen Staatsanleihen werden rund 6 Prozent fällig. An diesen hohen Risikoprämien beunruhigt vor allem der Trend: Falls die Zinsen noch weiter steigen sollten, könnte das auch Spanien und Italien mittelfristig in die Pleite treiben.
Die Probleme in Italien und Spanien beschäftigen die EZB schon länger. Erst am Donnerstag hatte die Notenbank entschieden, dass sie Staatsanleihen aufkauft, um die Zinsen zu drücken. Allerdings agierte die EZB dabei recht überraschend: Sie griff nicht etwa bei italienischen und spanischen Staatsanleihen zu – sondern erwarb irische und portugiesische Papiere, wie Marktteilnehmer berichten.
Diese Intervention ist deswegen ungewöhnlich, weil Portugal und Irland längst unter den EU-Rettungsschirm gekrochen sind und nicht mehr von den Finanzmärkten abhängig sind, um ihre Staatsschulden zu decken. Momentan ist es also egal, wie hoch die Risikoprämien für portugiesische und irische Staatsanleihen sind. Warum hat die EZB dort trotzdem interveniert?
Viele Marktbeobachter glauben, es sei ein Trick: Durch ihre Kaufaktion habe die EZB signalisieren wollen, dass sie prinzipiell bereit sei, Staatsanleihen ins Depot zu nehmen, um damit die Märkte zu beruhigen. Aber sie habe keine italienischen Papiere erworben, um die Regierung Berlusconi weiter unter Druck zu setzen, ihr Sparprogramm zu verschärfen.
Italien hat zwar längst Kürzungen in Höhe von 48 Milliarden Euro beschlossen – aber die meisten Sparziele sollten erst nach 2013 greifen, wenn die nächste Wahl vorüber ist.
Der Druck der EZB blieb nicht ohne Wirkung: Am Freitagabend setzte Berlusconi kurzfristig eine Pressekonferenz an, auf der er dann ankündigte, dass das Sparprogramm bereits 2012 beginnen soll – damit 2013 der Staatshaushalt ausgeglichen sei.
Schon in dieser Woche werde sich das italienische Parlament mit dem beschleunigten Zeitplan befassen. Dieses Vorgehen habe er unter anderem mit Kanzlerin Angela Merkel beraten. Doch nicht nur mit ihr dürfte er gesprochen haben: Auch diverse andere Euroländer sollen bei Berlusconi interveniert haben.
Die EZB war also nicht allein mit ihrem Bemühen, den Druck auf Italien zu erhöhen. Dennoch gibt es noch eine andere denkbare Erklärung, warum sie bei ihren Rettungsmaßnahmen bisher so zurückhaltend ist: In ihrem Rat herrscht keine Einigkeit.
So ist Bundesbankchef Jens Weidmann strikt dagegen, noch weitere Staatsanleihen aufzukaufen. Es könnte daher ein Kompromiss gewesen sein, portugiesische und irische Staatsanleihen zu erwerben. Denn dieses Programm läuft schon länger und wurde in den vergangenen 18 Wochen nur ausgesetzt.
Wie auch immer: Die bisherige EZB-Politik ist offenbar gescheitert. Die Notenbank gerät schon wieder unter Handlungsdruck, weil die Ratingagentur Standard & Poors entschieden hat, die Kreditwürdigkeit der USA herabzustufen.
Wie aus Notenbankkreisen zu hören war, drängte EZB-Chef Jean-Claude Trichet daher darauf, noch am Sonntagabend endgültig zu beschließen, italienische Staatsanleihen aufzukaufen – um auf den Börsenbeginn am Montagmorgen vorbereitet zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus