Rekord bei Anfragen an Bund: „Diskriminierung ist ein wachsendes Problem“
Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung verzeichnet einen Höchststand an Anfragen. Sie mahnt eine Reform der Rechtslage an.

„Diskriminierung ist ein wachsendes Problem in Deutschland“, sagte Ataman. „Wir haben ein massives Problem mit Rassismus, wir haben ein massives Problem mit Sexismus und wir haben einen massiven Unwillen, Menschen mit Behinderung die gleiche Teilhabe zukommen zu lassen.“
Seit 2019 hat sich die Zahl der Menschen, die sich an die ADS gewandt haben, mehr als verdoppelt: Vor sechs Jahren waren es 4.247 gewesen, 2023 schon 10.772. 43 Prozent der Anfragen betrafen ethnische, rassistische oder antisemitische Diskriminierung, 27 Prozent Benachteiligungen wegen einer Behinderung oder chronischer Krankheit, 24 Prozent das Geschlecht.
Besonders im Arbeitsleben meldeten Menschen Erfahrungen mit Diskriminierung. So würden Frauen oft schon bei der Jobsuche benachteiligt. Später sei dann auch Mutterschaft ein „Diskriminierungsrisiko“, wie Ataman bekräftigte. Auch ungleiche Bezahlung und sexuelle Belästigung gehören weiterhin zum Arbeitsleben vieler Frauen in Deutschland.
Viele Fälle von Transfeindlichkeit
Auch in anderen Bereichen erlebten Frauen immer wieder Ausgrenzung: „In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Frauen verdoppelt, die Diskriminierung erlebt haben“, so Ataman.
Fälle von Transfeindlichkeit traten im erfassten Jahr 2024 ebenfalls gehäuft auf. Ataman sagte, ihr mache „große Sorgen“, dass die Ausgrenzung von trans Personen inzwischen „viel hemmungsloser, viel offener“ betrieben werde als noch vor einigen Jahren.
Für die insgesamt gestiegenen Zahlen machte die Antidiskriminierungsbeauftragte auch die AfD verantwortlich: Mit steigenden Zustimmungswerten für die rechtsextreme Partei würden sich mehr Menschen legitimiert fühlen, diskriminierende Bemerkungen zu machen. Ataman sprach sich für die Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht aus.
Kurzfristig sei es an der Bundesregierung, Reformvorhaben entschlossen voranzutreiben. „Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass die Regierung Wort hält und den Schutz vor Diskriminierung entschieden verbessert“, sagte Ataman. Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag eine Stärkung und Verbesserung des Diskriminierungsschutzes verabredet.
„Nicht mal europäische Mindeststandards“
Dazu soll das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) reformiert werden, das seit 2006 im Arbeitsleben sowie bei Alltagsgeschäften vor Ausgrenzungen aufgrund von Alter, Behinderung, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, sexueller Identität sowie „Rasse“ und „ethnischer Herkunft“ schützen soll. Die Vorgängerregierung hatte entsprechende Reformpläne nicht umgesetzt.
Das AGG sei „eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa“, so Ataman, es erfülle in Teilen nicht einmal europäische Mindeststandards. In Deutschland werde „Falschparken konsequenter geahndet, als andere Menschen zu diskriminieren“. Das Gesetz decke viele Formen der Diskriminierung nicht ab. So gilt das gesetzlich verankerte Diskriminierungsverbot nicht für staatliche Stellen wie Ämter, Polizei oder die Justiz.
Rund ein Viertel der Anfragen entfällt jedoch auf diesen öffentlichen Bereich. „Menschen sind im Restaurant besser vor Diskriminierung geschützt als auf dem Amt“, sagte Ataman. Dieser ungleiche Standard müsse „dringend reformiert werden“. Außerdem solle der Bund zivilgesellschaftliche Initiativen wie etwa Beratungsangebote stärker fördern.
Kritik übte Ataman an Überlegungen, das Amt des Antiziganismusbeauftragten abzuschaffen. „Ich würde mir wünschen und halte es für wichtig, dass es diese Stelle und dieses Amt weiter gibt“, sagte sie. Die verschiedenen Regierungsbeauftragten seien eine wichtige Errungenschaft. Der Nutzen dieser klar identifizierbaren Ansprechpartner*innen für Bürger*innen sei hoch: „Ich finde, das sollte es uns wert sein.“
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