: Reise nach Jerusalem
Dritte Station im Spiel mit Tabori: Das Maxim Gorki Theater zeigt nach „Mein Kampf“ und „Weismann und Rotgesicht“ nun auch noch die „Goldberg Variationen“ – und wartet weiter auf einen neuen Intendantenanwärter ■ Von Petra Kohse
Der Zugang zum Maxim Gorki Theater ist derzeit gar nicht so leicht zu finden. Das Gebäude der um 1825 erbauten ehemaligen Singakademie Unter den Linden ist eingerüstet und mit einer grünen Plane schamhaft bedeckt. Die Fassade hat sich zur Beratung zurückgezogen. Was die neueste Inszenierung des Hauses betrifft, so ist diese äußerliche Repräsentation durchaus angemessen.
George Taboris „Goldberg Variationen“ stehen auf dem Programm – erstmalig in Berlin, sieht man von dem Gastspiel der Urinszenierung aus Wien beim letztjährigen Theatertreffen ab. Dieses Stück gehört sicher zu den wirkungsträchtigsten Texten Taboris. Es ist Theater auf dem Theater, Theater über Theater, macht sich fortwährend lustig über Theater und wird dabei ungeniert und unmißverständlich blasphemisch: „Der Mensch ist nicht Gott. Aber was ist, wenn Gott auch nicht Gott ist?“ Mr. Jay, der Regisseur, will in Jerusalem die Schöpfungsgeschichte sowie den Leidensweg von Moses und Jesus in Szene setzen und wird dabei in all seiner schikanösen Eitelkeit selbst zu einem gefürchteten, verfluchenden Schöpfer. Am Ende läßt er seinen Assistenten Goldberg die Rolle des „netten jüdischen Jungen“ Jesus markieren und nagelt ihn ans Kreuz.
Dieser Brückenschlag von der Probensituation zur Menschheitsgeschichte funktioniert nur, wenn die Gottesfigur als ein Besessener gespielt wird, wenn wirklich etwas auf dem Spiel steht, wenn man zittert vor seinen Wutausbrüchen und ihn liebt für seine Imagination. Eine wahrhaft göttliche Rolle für einen charismatischen Schauspieler. Albert Hetterle ist das nicht. Deswegen ist die Inszenierung von Carl-Hermann Risse auch von Anfang an schief und dünn und papieren. Nicht der Horror einer doppelbödigen Probensituation, sondern eine lustlos pointenheischende Klamotte findet statt.
Hetterle scheint nur zu markieren und zu posieren. Sein Jay macht die anderen nicht klein durch seine Größe, sondern ist überhaupt nur deswegen zu erahnen, weil die anderen sich so peinlich kleinmachen. Hansjürgen Hürrig beispielsweise als Goldberg muß sich geradezu Gewalt antun, um statt des Watschenmannes des Theaters und des Schmerzensmannes der Geschichte nicht unversehens die Rolle des Jay zu übernehmen. Ein Rollentausch könnte hier vielleicht noch helfen. Nils Brück, Gottfried Richter und Eckhart Strehle als die Schauspieler und Gundula Köster in allen weiblichen Rollen haben es besser getroffen. Auf ihren Schultern lastet nicht der Ballast, symbolisch zu werden, sie kommen auch ohne merkbare Regie gut zurecht.
Diese Produktion wird den Ruhm des Hauses kaum mehren. Zwar sind die „Goldberg Variationen“ in Berlin eigentlich noch ungespielt, aber das ist so tragisch auch wieder nicht, handelt es sich doch vor allem um eine Tabori-Variation. Denn, wie der Autor im Programmheft zitiert wird, und was jeder Tabori-Leser oder Tabori-Zuschauer uneingeschränkt bestätigen kann: Eigentlich ist es immer dasselbe Stück, an dem Tabori schreibt. Einmal heißt es „Kannibalen“, dann „Weismann und Rotgesicht“ oder „Mein Kampf“. Immer geht es um das Scheitern als Notwendigkeit allen menschlichen Strebens, um die Kleinheit desjenigen, der sich groß wähnt, um die Grausamkeit des Überlebenwollens, das Elend des So-und-nicht- anders-Überlebenkönnens, die Komik von beidem und natürlich um die Bibel, um Juden und Christen, um die lächerliche Seite von Gott und der Welt.
Daß man im Maxim Gorki Theater nach „Mein Kampf“ und „Weismann und Rotgesicht“ nun einen dritten Tabori im Spielplan hat, ist ein deutlicher Spiegel der Neigung des Chefdramaturgen Klaus Pierwoß: Er hält Tabori „trotz seines hohen Alters für einen der jüngsten Autoren, in dem Sinne, daß er aufgreift, was heute wichtig und brennend ist“. Tabori: ein Tabubrecher, ein fröhlicher Blasphemiker, ein Schreibtischcowboy inmitten der Heiligen Kühe der Gesellschaft.
Aber schließlich sind Tabori- Texte ja nicht gleich das Alpha und Omega des zeitgenössischen Theaters. Das sieht auch Pierwoß so. Zumal es seiner Vorstellung nach eigentlich an der Zeit ist, daß das Maxim Gorki Theater seine traditionelle Linie des realistischen Theters nachhaltiger verläßt, als das bereits mit Taboris Grotesken geschieht. Pierwoß hatte sich beispielsweise dafür eingesetzt, „Totenauberg“ von Elfriede Jelinek in den Spielplan zu nehmen, ein Text, der in einer „ungewöhnlichen, avantgardistischen Dramaturgie“ Probleme der Zeit benennt, die von der Umweltzerstörung bis zum noch und wieder gärenden Faschismus reichen. Auch wenn diese gigantischen Monologbrocken, die von ihrer Autorin „Sprachflächen“ genannt werden, für das an moderne Klassiker gewöhnte Stammpublikum des Maxim Gorki Theaters vielleicht ein sehr krasses Kontrastprogramm gewesen wären – einen Jelinek- Text auf einem Berliner Theater zu realisieren, wäre schon eine längst fällige Pioniertat gewesen. Konjunktiv. Das Projekt scheiterte, weil der vorgesehene Regisseur einen Rückzieher machte.
Zukunftspläne also, die vielleicht keine Zukunft haben werden. Denn Klaus Pierwoß verläßt das Maxim Gorki Theater zum Ende der Spielzeit. Er wird Intendant in Bremen. Auch Albert Hetterle, seit fast 40 Jahren am Maxim Gorki und seit 1968 dessen Intendant, verläßt das Haus Unter den Linden im kommenden Sommer. Das ist seit drei Jahren bekannt und wird von Senatsseite mit beunruhigender Stille zur Kenntnis genommen. Keine auch noch so zaghafte Diskussion ist bisher darüber entstanden, wer Hetterle im Amt nachfolgen soll.
Will man bis zum Juni warten und das Haus dann, wenn kein weltberühmter Anwärter samt Spielplan und Sparmaßnahmenkonzept über Nacht herbeigezaubert werden kann, für unbespielbar und schließenswert erklären? So abwegig ist das nicht, hat sich der Senatorenberater Ivan Nagel im Rahmen der Strukturreformdebatte rund um die Schließung des Schiller Theaters doch indirekt für eine Streichung dieses 16,3 Millionen-Postens ausgesprochen. Oder wird man in letzter Minute ein As aus dem Ärmel schütteln, wie seinerzeit für das Schiller Theater die berüchtigte „Viererbande“ – um dann, wenn es schiefgeht, das Haus dafür büßen zu lassen? Keine Spekulation scheint heutzutage mehr zu abstrus.
Pierwoß interessierte sich sehr für eine Hetterle-Nachfolge, erhielt jedoch nach eigenem Bekunden nicht den geringsten positiven Fingerzeig in dieser Richtung. Da wollte er nicht „wie der Pinguin auf der Eisscholle“ sitzen und entschied sich kurzfristig für das Angebot, Hansgünther Heyme im Bremen abzulösen. Verständlich. Aber was wird nun aus dem Maxim Gorki Theater? Mit 441 Plätzen im Großen Haus, 100 im Studio, mit einer Platzausnutzung von etwa 70 Prozent und einem nach Schicht und Alter breitgefächerten Publikum steht das Theater sehr gut da. Und nach der Schließung des Schloßparktheaters ist sein moderat realistischer und engagierter Spielplan von Josua Sobol über Henrik Ibsen und Edward Albee bis hin zu George Tabori sowie den unterhaltsamen Zeitgenosen wie Peter Shaffer oder Dario Fo in Berlin nicht ersetzbar. Die Volksbühne und die Schaubühne folgen ihren eigenen Pfaden, das Deutsche Theater wird stärker seinen Staatstheaterpflichten nachkommen müssen, und das Berliner Ensemble ringt noch um eine wackere Brecht-Nachfolge.
Das Maxim Gorki Theater ist ein solides Haus von im allgemeinen zuverlässiger handwerklicher Qualität. Diesen Gesamteindruck ändert auch der aktuelle Flop nicht. Einer solchen Bühne muß die Möglichkeit zur kontinuierlichen Arbeit gewährleistet werden. Auch wenn das Gerüst wieder ab ist, muß es weitergehen. Vielleicht rechtfertigt ja schon die nächste Premiere ein strahlendes Äußeres.
An seiner Beantwortung der offenen Frage nach der Zukunft des Maxim Gorki Theaters wird sich endgültig zeigen, was der Senat unter Theaterpolitik versteht: die Entwicklung von Konzeptionen und Perspektiven oder ein Gesellschaftsspiel in der Art von „Die Reise nach Jerusalem“, bei dem es nur um die zu besetzenden Stühle geht und vor allem darum, immer wieder einen weniger zu besetzen.
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