Die Krimi-Ecke: Reisbeutelmafiosi
■ Immer skandalöser, immer aufdeckerischer: Jürgen Alberts neuester (oder nächster?) Schlüsselroman „Die Tintenpisser“
Leichen pflastern seinen Weg durch Bremens Amtsstuben und Büroetagen. Jürgen Alberts, der Edgar Wallace von der Weser, hat wieder ein literarisches Blutbad angerichtet. Mit ungeheuerlicher Detailkenntnis und Wortgewalt entlarvt er diesmal die mit der Maske der bürgerlichkeit getarnte Redaktion des „Weser-Kurier“ als einen Ort von Haß, Gewalt und Niedertracht. Wirklich alles nur Fiktion?
Bei den Redakteuren im Pressehaus sei nach der Lektüre eines Rezensionsexemplars der „Tintenpisser“ große Unruhe ausgebrochen, so eine verbürgte Nachricht. Zentnerweise sei über Nacht belastendes Material weggeschafft worden, bei Verleger Ordemann fand eine stundenlange Krisensitzung statt. Hintergrund: In seinem Roman wird – als „Holtenbeen“ kaum verschlüsselt – WK-Redakteur Holtgrefe („Mahlzeit“, „Pott un' Pann“) als ein U-Boot der Kochbeutelreishersteller geoutet.
In dieser Funktion habe „Holtenbeen“ jahrelang in seiner Gastronomiekolumne namhafte bremische Wirtshäuser und deren Kartoffel- und Nudelgerichte diskreditiert, um den Verzehr von Kochbeutelreis anzuheizen. Staatsanwalt von Bock und Polach: „Über strafrechtliche Hintergründe kann ich aus verständlichen Gründen noch keine Angaben machen.“
Brisant, brisant: In „Die Tintenpisser“ wird ein Politik-Journalist namens Maxl Schnuller als eingeschleuster Agent der PDS in der WK-Redaktion dargestellt, der durch geschickte Propaganda eine handstreichartige Machtübernahme der PDS in Bremen vorbereiten soll. Tatsache: CDU-Vorsitzender Bernd Neumann hatte in der Vergangenheit mehrfach vor den „pro-kommunistischen Umtrieben“ des WK-Redakteurs Axel Schuller gewarnt.
So reiht Alberts Skandal an Weserstrand-Skandal. Der Sportberichterstatter „Hans Flicke“ muß sterben, weil der Delikatessen-Skribent „Holtenbeen“ ihm vergiftete Tofu-Bällchen beibringt. Auf die freiwerdende Planstelle hievt „Holtenbeen“ einen Komplizen, der trickreich durchsetzt, daß der SV Werder Kochbeutelreis als Sitzkissen einführt. Über dunkle Kanäle fließen dabei sechsstellige Summen auf schweizer Konten.
Immer toller werden Alberts Enthüllungen. „Wigald Sperling“, einflußreicher Politik-Redakteur beim WK, wird ermordet in Norwegen aufgefunden. Ermittlungen der Kripo ergeben, daß Sperling Lustknabe eines CDU-Politikers namens „Dieter Sanella“ war und als Ghostwriter für ihn Reiseführer verfaßt hat. Als „Sperling“ droht, die Sache auffliegen zu lassen, stirbt er durch den „Gru“, einen tödlichen koreanischen Boxhieb...
Sein verblüffendes Insiderwissen über den „Weser-Kurier“ bringt Jürgen Alberts in seinen nunmehr neunten Bremen-Krimi ein. Alberts: „Ich habe oft mit WK-Redakteuren ein Bier getrunken und dabei einiges über die wahren Verhältnisse im Pressehaus erfahren. Vieles konnte ich nur andeuten. In Wahrheit ist alles viel schlimmer.“ Alberts beeindruckt einmal mehr durch seinen Wortwitz: „Ein Leberwurstbrötchen bitte“, läßt er den ausgeflippten Szene-Chronisten „Volker Funck“ in der WK-Kantine sagen. Sprachliche Urgewalt, die seit Thomas Mann in der deutschen Literatur selten geworden ist. Kein Wunder. Alberts: „Ich habe mit Thomas Mann oft ein Bier getrunken und dabei viele Tips bekommen“.
Alberts kündigte indes einen weiteren „Weser-Hammer“ mit brisantem Zündstoff an – einen Krimi über den Gemeindebrief der Mahndorfer St.-Nikolai-Kirche. Wie immer schärfstens recherchiert und schonungslos aufgedeckt: „Ich trinke mit einigen Pfarrern derzeit häufiger mal ein Bier. Da erfahre ich unglaubliche Sachen.“ Lutz Wetzel
„Die Tintenpisser“, 2999 Seiten, DM 0.50
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