Reinbek nicht mehr am Puls der Zeit: Der Weg führt nach Hamburg
Der Rowohlt-Verlag zieht nach Jahrzehnten zurück nach Hamburg. Für die Reinbeker eine emotional schwer zu verkraftende Entscheidung
In absehbarer Zeit wird man verlagshistorisch interessierten Besuchern, die mit Wehmut betrachten, dass Paradiesvögel wie Ledig-Rowohlt in der Branche selten geworden sind, nicht mehr den Raum zeigen können, in dem dieser seine Eisenbahn fahren ließ. Am vergangenen Wochenende wurde durch eine Meldung des Magazins Der Spiegel bekannt, dass der Rowohlt-Verlag aus Reinbek an den Hamburger Hauptbahnhof ziehen wird. Im Bieberhaus, das ab Herbst 2018 der Verlagssitz sein wird, befindet sich unter anderem das Ohnsorg-Theater und der Delikatessenladen Mutterland. Ins Gerede kam das Gebäude im Sommer 2016, als der Besitzer das bis dahin dort untergebrachte Straßenkinderprojekt Kids vertrieb.
1960 war Rowohlt aus dem Grindelviertel nach Reinbek übergesiedelt. Dass es den Verlag nach mehr als einem halben Jahrhundert im östlichen Vorort nun wieder Richtung Westen zieht, hatte dieser bereits im vergangenen Sommer angekündigt. Peter Kraus vom Cleff, der kaufmännische Geschäftsführer, begründete den Standortwechsel unter anderem damit, dass zwei Drittel der 150 Mitarbeiter in Hamburg leben.
„Dank uns weiß man, wo Hamburg liegt“, lautete einst ein ironischer Werbespruch Rowohlts – eine Anspielung darauf, dass im Impressum der Bücher als Verlagsstandort „Reinbek bei Hamburg“ angegeben ist. Orte von der Größe Reinbeks finde man „üblicherweise nicht auf der Europakarte“, sagt Björn Warmer, Reinbeks Bürgermeister. Rowohlt diene dort quasi als „Leuchtkugel“ für die 27.000-Einwohner-Stadt.
Der SPD-Politiker kann den Wegzug des Verlags zwar nachvollziehen, schließlich sei man in Hamburg eher „am Puls der Zeit“ als in einem beschaulichen Vorort. Auf „emotionaler Ebene“ sei die Entscheidung aber schwer zu verkraften. Für mehrere Generationen seien Reinbek und Rowohlt untrennbar verbunden. Warmers Mutter gehörte zu den Rowohltianern, wie man in Reinbek die Angestellten des Verlags nennt, er selbst jobbte einst als Schüler in den Ferien bei Rowohlt. Das Reinbeker Rathaus, Warmers Amtssitz, liegt in der direkten Nachbarschaft des Verlags.
In der Hamburger Straße und im Völckers Park entstanden zwischen 1957 und 1960 sowie 1968 und 1970 ein Ensemble aus zwei Flachbauten und einem zweigeschossigen Kubus. Teile davon stehen seit Ende 2003 unter Denkmalschutz. Das Ensemble, geprägt unter anderem von unterschiedlichen Dachneigungen, stammt von dem bedeutenden Hamburger Nachkriegsarchitekten Fritz Trautwein (1911-1993). Er hat auch die Grindelhochhäuser und der Fernsehturm, mehrere U-Bahn-Tunnelhaltestellen sowie die Hochbauten an den Bahnhöfen Landungsbrücken und Burgstraße entworfen.
Aus architekturhistorischer Sicht sei der bevorstehende Auszug Rowohlts aus dem Trautwein-Bau „sehr bedauerlich“, sagt Jan Lubitz, der sich in verschiedenen Veröffentlichungen mit Hamburger Architekturgeschichte befasst hat. „Das ist kein Nutzbau“, sondern „eine explizite künstlerische Setzung“. Lubitz, der derzeit für das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege tätig ist, verweist auf den „skulpturalen Charakter“ der Gebäude und betont, Trautwein habe sein Konzept seinerzeit auf die „Arbeitswelt von Rowohlt zugeschnitten“.
Der künftige Mieter sollte also die elaborierte Bauweise zu schätzen wissen. Am ehesten dürfte dies auf Unternehmen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft zutreffen. Wer nur auf Zweckmäßigkeit setze, für den sei der Gebäudekomplex nicht geeignet, sagt auch Bürgermeister Warmer. Die Sorge, dass er „länger leer stehen wird“, habe er allerdings nicht. Immerhin: „Global Player“, wie Warmer es formuliert, wird es in Reinbek auch nach dem Weggang des Verlags weiterhin geben. Dazu zählt Warmer den Medikamentenhersteller Allergopharma und die Firma Hertz Flavors, die Aromen für die Tabakindustrie produziert. Allerdings: Als Imagefaktor taugen Firmen für Tabletten und Tabakzusatzstoffe – anders als ein Buchverlag – eher nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich