piwik no script img

Reifer Nachwuchs

■ „Cocon ohne Sofa“: Eine Choreographie von Victoria Hauke

Ungeheuer furios und athletisch beginnt die Modern-Dance-Performance Cocon ohne Sofa, die die Choreographin Victoria Hauke am Freitag und Samstag im Goldbekhaus zeigte. Und sie endet in einer sehr intimen Szene, in der Victoria Hauke bei Kerzenschein in einer Ecke der Bühne sitzt und Sätze aus einem Buch vorliest, die man nicht versteht. Sie sind in einer merkwürdigen Kunstsprache geschrieben, so daß keine Bedeutung dabei stört, sich von dem Klang der Silben entführen zu lassen.

Zwischen diesem Anfang und diesem Ende - zwischen einer vor Vehemenz berstenden körperlichen Präsenz und der totalen Zurücknahme des Körpers zugunsten der Stimme - zeigt Victoria Hauke, Tänzerin und Choreographin des Abends, in knapp 70 Minuten eine solche Bandbreite an tänzerischen Ausdrucksmöglichkeiten, daß man aus dem Staunen kaum herauskommt. Ihr Tanz hat Witz, Charme, Kraft und große Ausdrucksfähigkeit. Und ihre Choreographie strotzt vor intelligenten und überraschenden Einfällen. So viel gibt es zu loben, daß es einem fast nicht mehr gelingt, das Etikett „Nachwuchskünstlerin“ in die Tastatur zu tippen - dagegen möchte man den Namen der doch noch jungen Choreographin ganz oft schreiben.

In einer Szene bildet ein auf den Boden geklebtes Seil ein Quadrat. Victoria Hauke mißt es tanzend aus. Am Ende einer sich leitmotivisch mehrmals wiederholenden Bewegungsfolge hält sie ihre Hand zur Begrüßung ausgestreckt. Einfacher, direkter, schlichter ist Isolation und die Sehnsucht nach Begegnung selten beschrieben worden. Dann wieder parodiert Victoria Hauke die Usancen der Werbebranche. Deren Botschaften reduziert sie auf den Kern: It's a happy world. Es gelingt ihr, mit plakativen, keineswegs aufdringlichen Mitteln, deren Scheinhaftigkeit darzustellen. All dies tanzt Victoria Hauke in einer sehr leichten, nie pathetisch werdenden Form.

Begleitet wird sie dabei von Claus Vogel an den Keyboards und Conny Sommer an der Percussion. Sie schrieben für den Abend einen wunderbar selbstironischen Stilmixmax, den sie mit selbstbewußten Understatement und großem Können darbieten. Wenn es etwas an der Performance zu mäkeln gibt, dann höchstens dies: Die Tänzerin Hauke muß der Choreographin Hauke vielleicht noch zu sehr zeigen, was sie alles kann; und die Choreographin Hauke belästigt die Tänzerin Hauke noch zu sehr mit Ideen. Victoria Hauke hat in Cocon ohne Sofa gezeigt, daß sie viele Stile beherrscht. Das läßt nur einen Wunsch offen: Victoria Hauke möge sich auf die Suche nach ihrem eigenen Stil begeben.

nDirk Knipphals

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen