■ Tour d'Europe: Reich und gesund
Europäer sind gesünder als Lateinamerikaner. Was derart banal klingt, ist so eindeutig nicht: Die Hälfte aller Todesursachen in den Industrieländern ist auf Herz- Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen, in den Entwicklungsländern sind es nur 16 Prozent. Allerdings sterben dort zum Beispiel jedes Jahr 20 bis 30 Prozent der Kinder unter fünf Jahren an Malaria.
Aber auch zwischen den europäischen Ländern bestehen erhebliche Unterschiede. Je höher das Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung ist, desto größer ist auch die Lebenserwartung. In Albanien etwa werden die Menschen durchschnittlich nur 63 Jahre alt – hier betrug 1992 das Bruttosozialprodukt pro Kopf 630 Dollar. Die Schweden erreichen dagegen ein Alter von etwa 77 Jahren – das Bruttosozialprodukt wird mit 21.710 Dollar pro Kopf angegeben.
Die Schweden sind es auch, die gemeinsam mit den Schweizern einen Rekord im Vergleich aller europäischen Länder halten: Ihre Lebenserwartung stieg in den letzten 30 Jahren um ein ganzes Jahrzehnt.
Ob Rumäne, Französin, Däne oder Holländerin – die häufigsten Todesursachen sind in Folge Herz- Kreislauf-, Krebskrankheiten und Schlaganfall. Was sich unterscheidet, ist die Menge der konsumierten Medikamente und die Zahl der zur Verfügung stehenden Krankenhausbetten. So ergab eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen, daß 1980 der Pro-Kopf-Verbrauch an Arzneimitteln in Frankreich bei 35 Packungen im Jahr lag, die Italiener 25 und die Deutschen 20 Packungen zu sich nahmen – Tendenz steigend. In punkto Akutbetten in Krankenhäusern führte einem Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zufolge Deutschland die europäische Statistik an. 7,6 je Kopf der Bevölkerung waren es 1982, Großbritannien bildete mit 2,8 das Schlußlicht.
„Diese Angaben sagen nichts über die unterschiedliche Gesundheitsbetreuung aus“, meint Dr. Thomas Vetterlein, Grundsatzreferent in der Berliner Gesundheitsverwaltung. Die Struktur des Gesundheitswesens sei grundsätzlich unterschiedlich. In England gibt es einen staatlichen Gesundheitsdienst, in Deutschland dagegen freie Arztniederlassungen und die Möglichkeit der Arztwahl.
Thomas Vetterlein: „In Deutschland führt das System zu einem übersteigerten Gewinnstreben der Ärzte; in Großbritanien ist die Betreuung eher patientenorientiert. Allerdings müssen Patienten in England häufig lange Wartezeiten in Kauf nehmen, und sie können sich nicht aussuchen, bei wem sie sich behandeln lassen möchten.“
Ebenfalls unterschiedlich ist die Höhe der Ausgaben für Gesunderhaltung und Genesung. Die Schweizer erleichtern ihre Haushaltskasse um 15 Prozent, wogegen in der Türkei nur 4 Prozent ausgegeben werden. Der Vergleich der beiden Länder zeigt: Während die Säuglingssterblichkeit in der Schweiz bei 0,7 Prozent je Jahr liegt, sterben in der Türkei 7,5 Prozent aller Neugeborenen.mavo
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