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Rehabilitierung von SchwulenKeine Kritik an homophobem Urteil

Der Bundesrat will nach 1945 verurteilte Homosexuelle rehabilitieren. Kritik an der Rolle des Verfassungsgerichts wird schnell noch aus dem Antrag gestrichen.

Ein Ort, an dem Männer traditionell in Kleidern rumlaufen: Das Bundesverfassungsgericht. Bild: dpa

FREIBURG taz | Der Bundesrat will, dass verurteilte Homosexuelle rehabilitiert werden. Das Bundesverfassungsgericht soll dabei aber nicht kritisiert werden. In Karlsruhe versteht man die Aufregung nicht.

Am Freitag wird der Bundesrat über eine Initiative aus Berlin abstimmen. Rund 50.000 schwule Männer, die nach 1945 in Deutschland strafrechtlich verurteilt wurden, sollen rehabilitiert und entschädigt werden. Da der Antrag von der Berliner SPD-CDU-Koalition eingebracht wurde, gilt die Zustimmung als sicher.

Bisher wurden in Deutschland Homosexuelle nur rehabilitiert und entschädigt, wenn sie während des Dritten Reichs verurteilt wurden. Der berüchtigte Strafrechtsparagraf 175 galt aber auch noch im Nachkriegsdeutschland und wurde erst 1969 entschärft. Bis dahin waren alle sexuellen Handlungen zwischen Männern strafbar.

Im Berliner Antrag wird auch das Bundesverfassungsgericht kritisiert, das 1957 die strafrechtliche Verfolgung von Schwulen billigte. Die Richter beriefen sich damals auf das Sittengesetz und die Auffassung der christlichen Kirchen. Dieses Urteil sei aber „von Anfang an“ unhaltbar gewesen, hieß es im Berliner Antrag. Schon 1957 hätten die Verfassungsrichter erkennen müssen, dass es gegen die Menschenwürde verstößt, einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Erwachsenen zu bestrafen.

Elf Sätze sollen raus

Auf Antrag von Hamburg und Berlin soll nun die Kritik am Bundesverfassungsgericht gestrichen werden. Zur Begründung hieß es: „Eine solch harsche Kritik“ durch ein anderes Verfassungsorgan, also den Bundesrat, erscheine „nicht angemessen“. Doch anstatt die Kritik abzumildern, sollen insgesamt elf Sätze gestrichen werden. Der Rechtsausschuss des Bundesrats hat der Änderung schon einstimmig, bei wenigen Enthaltungen, zugestimmt.

Aus Kreisen des Bundesverfassungsgerichts erfuhr die taz, dass man sich dort über den Vorgang aber eher wundert. Es stehe den anderen Verfassungsorganen „selbstverständlich“ frei, sich mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auseinanderzusetzen.

Das Urteil von 1957 müsse in seinem zeitlichen Kontext gesehen werden. Es wird auch auf aktuelle Karlsruhe Urteile verwiesen, die eine Gleichstellung der eingetragenen Partnerschaft mit der Ehe fordern, zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer.

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7 Kommentare

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  • R
    ralf

    Wie doof hier einseitig die Verfehlungen von Union und FDP über die Jahre aufzulisten. Man könnte natürlich auch aufführen, dass SPD und Grüne den Antrag der FDP zur gleichstellung bei der Adoption abgelehnt haben oder dass es die FDP mit CDU/CSU war, die den Paragraph 175 endgültig abgeschafft hat. Wer die Sache in ihrem historischen Zusammenhang sehen will, sollte sich nicht eine einseitige Brille aufsetzen !

  • HD
    holla die Waldfee

    @Murat.

    Nein, gerade Hamburg und Berlin sind zusammen mit Köln Vorreiter für eine emanzipierte Gesellschaft in punkto Homosexualität.

    Und was die Menschen aus Tunesien und dem Irak angeht: wenn sie hier leben wollen, müssen sie das wohl akzeptieren. Wenn nicht, müssen sie ja nicht hier leben. So einfach ist das. Anpassen heißt das Zauberwort. Menschenrechte und Toleranz gelten in der BRD für alle. Ohne Ausnahme.Und das ist auch gut so.

  • M
    Murat

    Berlin und Hamburg sind Städte, in denen Homosexualität gesellschaftlich immer stärker geächtet wird. Der zunehmende Anteil von Migranten aus fernen Ländern wie Tunesien oder dem Irak hat keinerlei Verständnis für Homosexualität und empfindet kaum etwas anderes als Ekel und Hass. Die Städte täten gut daran, weitere Liberalisierungen gründlich zu überdenken um ihre Einwohner nicht zu radikalisieren.

  • S
    Stefan

    Sehr erfreulich, wenn nunmehr auch die homosexuellen Menschen, die zwischen 1945 und 1949 nach § 175 verurteilt wurden, rehabilitiert und entschädigt werden. Die Entscheidung kommt zwar sehr spät, aber besser spät als nie.

  • S
    Schande

    Es sollte bei dieser, seit langem überfälligen, Rehabilitierung von Männern, die als vorbestraft gelten nur weil sie schwul sind, nicht vergessen werden, wer die Aufhebung dieser unmenschlichen Urteile jahrzehntelang verhindert hat:

     

    - CDU/CSU/FDP haben die Laufzeit des von Hitler verschärften § 175, der als Höchststrafe Arbeitslager vorsah, immer wieder verlängert, als in anderen Ländern längst Straffreiheit herrschte.

     

    - CDU/CSU/FDP stimmten dagegen, als man die während der Nazi-Diktatur verfolgten Homosexuellen entschädigen wollte

     

    - CDU/CSU/FDP stimmten auch gegen die Rehabilitierung von nach 1949 verfolgten Homosexuellen … „was gestern (während der Nazi-Diktatur) Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“, so argumentierte einst der CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg Hans Filbinger, der schließlich wegen seiner Nazi-Vergangenheit zurücktreten musste.

     

    Erst im Jahre 1994 wurde der § 175 schließlich endgültig aus dem StGB gestrichen.

     

    Noch immer aber leben einige ältere Männer, die als vorbestraft gelten, nur weil sie schwul sind. Viele dieser Männer leiden seit ihrer Verurteilung unter psychischen Beeinträchtigungen, weil sie durch Polizeimaßnahmen und Strafen traumatisiert wurden. Der § 175 ist zwar seit 1994 abgeschafft worden, aber die Auswirkungen sind immer noch da.

     

    Während Österreichs Parlament bereits im Jahre 2009 beschloss, auf jeweiligen Antrag, die Aufhebung von Gerichtsurteilen wegen Homosexualität anzuordnen (der Verurteilte gilt dann nicht mehr als "vorbestraft") und Großbritanniens Parlamentarier dasselbe im Jahre 2012 beschlossen, lehnten bis vor kurzem in Deutschland CDU-CSU-FDP weiterhin eine Entschuldigung bei den Opfern ab und stimmten bisher im Bundestag gegen die Rehabilitierung.

  • S
    SomaRiot

    "Schon 1957 hätten die Verfassungsrichter erkennen müssen, dass es gegen die Menschenwürde verstößt, einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Erwachsenen zu bestrafen."

     

    Die große Mehrheit des zweiten Senats hat dies auch 2008 noch nicht erkannt, als es um das Inzestverbot ging (Urt. v. 26.2.2008 - 2 BvR 392/07). Das dies eines der schlechtesten Urteile in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts war, ergibt sich bereits aus dem Sondervortum von Herrn Hassemer, dem einzigen Strafrechtler in der damaligen Senatsbesetzung. Leider ist auch keine Gesetzesänderung erfolgt, für ein paar Betroffene macht man sich halt nicht krumm im Justizministerium. Die Bundesratsinitiative wäre vielleicht eine Möglichkeit gewesen, hieran zu erinnern.

  • O
    oranier

    "Auf Antrag von Hamburg und Berlin soll nun die Kritik am Bundesverfassungsgericht gestrichen werden"

    -Haben wir nicht in Berlin einen schwulen Regierungschef? Dann erscheint mir das doch ein wenig bigott, und das ist nicht gut so.