■ Rehabilitierung von NS-Justizopfern läßt auf sich warten: Nicht bei Deserteuren haltmachen
Kann man Wehrmachtsdeserteure rehabilitieren und andere NS-Justizopfer nicht? Vor zwei Wochen hat sich der Deutsche Bundestag endlich einen moralischen Ruck gegeben und mit einer Entschließung den Fahnenflüchtigen, die von Hitlers Gerichten verurteilt wurden, „Achtung und Mitgefühl“ gezollt sowie Entschädigung versprochen.
Dies wäre der richtige Moment für den Justizminister gewesen, endlich ein weiteres Feld der Nichtbewältigung in Angriff zu nehmen. Noch immer sind nämlich die Urteile des Volksgerichtshofes und von Sonder- und Kriegsgerichten in weiten Teilen der Bundesrepublik rechtskräftig. Nur in einigen Bundesländern kam es direkt nach dem Krieg auf alliierten Druck zur Aufhebung derartiger Gerichtsentscheidungen. In großen Teilen Deutschlands gilt nach wie vor: Wer damals aufgrund von NS-Unrechtsgesetzen verurteilt wurde, gilt heute noch als vorbestraft.
Normale Wiederaufnahmeverfahren à la Monika Böttcher sind für solche Fälle ungeeignet und führen selten zum Erfolg. Deshalb wird bereits seit über zehn Jahren über eine bundeseinheitliche Annullierung dieser NS-Urteile diskutiert, doch nichts hat sich getan. Wäre die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure nicht der ideale Rahmen gewesen, dieses Projekt in Angriff zu nehmen? Ein entsprechender Gesetzentwurf Berlins liegt seit mehreren Monaten vor, darauf hat die Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit gestern bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Volksgerichtshofes zu Recht noch einmal mit Nachdruck hingewiesen.
Dabei weiß man, daß Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) eigentlich guten Willens ist. Doch die Liberalen suchen den Konflikt mit der Union lieber in Steuerfragen als bei der Bewältigung der faschistischen Vergangenheit. Die Bedenken von CDU/CSU sind hier ähnliche wie bei den Deserteuren: Es habe doch auch „richtige“ Urteile gegeben. Vor allem bezüglich der NS-Kriegsgerichte dürfte ein harter Kampf mit der Union bevorstehen.
Andererseits greift auch die aktuelle öffentliche Debatte, die sich ganz auf die Sonder- und Kriegsgerichte konzentriert, zu kurz: Auch viele Urteile der „normalen“ Zivil- und Strafjustiz waren von NS-Unrecht durchdrungen. Die Annullierung einer Ehe mit einem jüdischen Partner oder der Strafprozeß wegen Blutschande – diese Art von alltäglicher Terrorjustiz darf nicht aus dem Blickfeld geraten. Christian Rath
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