■ Regressionen im Dienste des Ich: ZWISCHEN DEN RILLEN
Morrissey macht jetzt auch Bodybuilding. Anders, denkt man, ist diese Zeichnung, dieser Anflug von Muskulatur doch gar nicht zu erklären, der die Bauchdecke des uns allen als leptosom erinnerlichen Mannes auf dem Cover- Foto sachte in Richtung Davidoff-Type zu wölben scheint. Und ohne grundlegenden Gesinnungswandel, sagt man sich, wäre der Frischeschock ja auch kaum so groß, den Morrissey seinen Hörern gleich zu Beginn von „Your Arsenal“ versetzt: Krachgitarren, böse dahinpolterndes Schlagzeug und ein weit in den Hintergrund gemischter Gesang. Sicher, kein Death Metal, das nicht gerade, aber doch eine Art Psychobilly, der das Erbe der Smiths mehr zu verhöhnen als fortzusetzen scheint. Schluck! Muß Morrissey denn sein eigenes Vermächtnis in den Dreck ziehen!? Entwarnung bei Stück drei, wenigstens vorläufig: Da sind sie wieder, die alten Melodien, die garantiert gewaltfrei geschlagenen Gitarrenakkorde, dieses ganze große Ächzen unter dem Gewicht der Welt: „How sad are we/and how sad have we been/ we'll let you know-ho-u-how-ho-u-how ...“ Toll. Morrissey tremoliert nach Smiths-Manier, fragend und suchend, und als Antwort schleppt der Song sich sterbensweh dahin. Ach ja, Morrissey — im Grunde seines Herzens ist er doch ein Schwacher geblieben, ein Mangelwesen — stets darauf angewiesen, sich in anderen zu spiegeln. Es liegt ja schon in seiner Produktionsweise: Auch nach dem Bruch mit Johnny Marr braucht er, um mit seinen Ideen voranzukommen, einen Zweiten, einen Compagnon und Bruder im Geiste; einen, an dessen Busen er sich ausdichten kann, der seine flatterhaften Lyrics einfängt, sie ein wenig zurechtstutzt und ihnen am Ende eine musikalische Form gibt.
Keine Sorge also, einen Rest von Zweifel, bohrender Selbstbefragung und sympathisch- unangepaßter Masochisterei werden diese nach dem Prinzip der Beichte gebauten Stückchen nie loswerden. Morrissey als smartes role model der Neunziger? — never, geht gar nicht, schon rein konstitutionell. Liest man das Kleingedruckte auf der Hülle, entpuppt sich sogar der Muskelschatten auf dem Bauch — Jesus, wie raffiniert! — als waschechtes Stigma: eine Operationsnarbe, „courtesy Dayhulme Hospital“. Trotzdem ist „Your Arsenal“ nicht einfach ein verspätetes Smiths-Album. Der neue Partner Alain Whyte scheint begriffen zu haben, daß allzu enthemmtes Suhlen in Wehmutsstimmungen kraft der verschärften Dialektik heutiger Lebensumstände leicht in rein affirmatives Waschlappentum umschlagen kann. Nur in Dosen gibt er Morrisseys Neigung zum höheren Jammern nach. Über die restliche Strecke hält er mit grobklauiger, energischer Gitarrenarbeit dagegen, die den Smiths-Approach — notfalls auch gegen den Willen des eingefleischten Fans — mit einer zähen Schicht von Lebensfreude, Barbarentum, gelegentlich sogar Lockerheit überzieht. Nennen wir's explosive Entsublimierung: Toughere, klotzigere Songs für härtere Zeiten, aber im Grunde lustig, oft auch als Reminiszenz an überlieferte Rock‘n'Roll-Witze angelegt. „Glamorous Glue“ ist Siebziger-Jahre-Glamrock à la Gary Glitter, „You're gonna need someone on your side“ klingt wie David Bowie auf Acid — wozu natürlich auch Produzent Mick Ronson sein Scherflein beigetragen hat. Daß das unterm Strich nicht nur in Ordnung ist, sondern nach Lage der Dinge das einzig Richtige, weiß Morrissey selber am besten. „We are the last truly british people you know“, singt er mit großer Geste, aber sein Bekenntnis geht beständig im Strudel dazugemischter Stadiongesänge unter, mehr noch: in Morrisseys Gesang schwingt ein leises Einverstandensein mit dem Absterben alter Formen mit: Trauer ja, Nostalgie nein, und wenn einen das Schicksal schon dazu auserkoren hat, der letzte lebende Individualist zu sein, dann wenigstens mit der nötigen Grandezza und unter vollständiger Verpulverung alter Gewißheiten. Was natürlich auch mit dem Wechsel des Wohnorts zu tun hat. Man hat ihn verspottet, den Altmeister des Brit-Pops, als er von Spähern vor Jahren in Los Angeles gesichtet wurde. Großes Hallo in der Presse, als er anfing, mit diesen blutjungen Typen rumzuhängen — und am Ende sogar Musik mit ihnen zu machen. Jetzt müssen selbst die Neider zugeben: gar keine schlechten Jungs, das. Am Ende werden sie dafür gesorgt haben, daß Morrissey auch in diesem Jahrzehnt noch im vorderen Drittel mitmischt: nicht mehr als König von England, aber immerhin als Lebemann in L.A.
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Weniger gut haut es mit den Reformprojekten eines anderen britischen Exzentrikers hin: Nicholas Currie alias Momus. Seit Jahren schon und unter beträchtlichem kreativen Ausstoß versucht er sich an der Kreuzung von Chanson und Computer-Rhythmen in der House-Deep- House-Ambient-House-Tradition. Momus ist ein Heimwerker-Genie, experimentiert mit allem und jedem. Er zieht doppelte und dreifache Rhythmusböden ein in seine Songs, arbeitet mit Tonbandschleifen, läßt Hack-Samples stroboskopartig auf Melodiebögen prallen; er überlagert Grobgestricktes mit raffinierten Klangklöppeleien und läßt umgekehrt feinsinnige Gesangsparts unter dicken Synthie-Schichten verschwinden. Motor hinter dem Ganzen ist wohl der Wunsch, das sensible Gefühl gerade in seiner Dreingabe ans Blubbernde und Bleepende, ans Subjektfremde und technisch (Re)produzierte auf einer höheren Stufe wiederzugewinnen: Regression im Dienste des Ich.
Kein schlechter Ansatz. Doch was bei Morrissey als notwendiger Schritt erscheint, wirkt bei Momus am Ende doch bloß wie mangelnder Mut zum Antizyklischen. Kein fahrender Zug, auf den er nicht aufspringen würde, kein Trend, für den er sich zu gut ist. Dezente Soulstimmen machen knapp überhalb der Wahrnehmungsschwelle etwas obszön aneinander herum, in Titeln wie „Afterglow“, „Voyager“ und „Momutation 3“ klingt Techno-Trance-Ästhetik an, und ein Song handelt natürlich von „Virtual Reality“. Die Welt als Spielsache und Regelknopf: alles mischt sich mit allem nach Gesetzen, die Kleingott Currie zuvor gewissenhaft in sein Universum eingespeist hat. Insofern ist dieses jüngste Oeuvre allerdings auf krude Weise auch konsequent. Wie heißt es doch schon in einem ganz frühen Momus-Song: „God is a tender pervert, and the angels are voyeurs.“
Morrissey: Your Arsenal (His Master's
Voice/EMI)
Momus: Voyager (Creation/IRS)
REGRESSIONENIMDIENSTEDESICH
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