piwik no script img

Regisseur Agustí Villaronga„Besser ein Sonderling als ein Trottel“

Regisseur Agustí Villaronga glaubt, das Zeigen von Grausamkeit sei manchmal nötig. Der Außenseiter hat heute nicht nur in seiner Heimat Spanien Erfolg.

Absolut kein Trottel: Regisseur Agustí Villaronga. Bild: reuters
Interview von Julia Macher

Agustí Villaronga empfängt in seiner Altbauwohnung in Barcelona, im Wohnzimmer ein charmantes Sammelsurium aus Liebhaberstücken, im Arbeitszimmer ein Filmplakat von „Aro Tolbukhin. In the Mind of a Killer“, einer Fake-Doku über einen psychopathischen Frauenmörder.

Villaronga ist ein sanfter Mann Ende 50. Er galt in Spaniens Filmszene lange Zeit als Außenseiter mit Hang zum Abgründigen. Erst der Publikumserfolg seiner Literaturverfilmung „Pa negre“ hat das geändert, inzwischen wächst auch im Ausland sein Renommee. In Deutschland ist Villaronga dennoch nahezu unbekannt. Im Interview erzählt der Regisseur über die Schwierigkeit, Filme zu drehen, die eine eigene Sprache sprechen.

taz: Herr Villaronga, in vielen Ihrer Filme geht es um traumatische Wunden, die eine Verletzung aus der Vergangenheit hinterlassen hat.

Agustí Villaronga: Stimmt, obwohl mir das erst im Rückblick klar wurde. Sowohl in „Im Glaskäfig“, „In the Mind of a Killer“ als auch in „Pa negre“ und „Das Meer“ ist die Kindheit ein zentrales Thema – und ein traumatischer Eingriff der Erwachsenen in diese Kinderwelt. Hintergrund ist immer der Krieg. Das Thema scheint mich zu interessieren, aber warum, kann ich nicht erklären.

Vielleicht weil auch die spanische Gegenwart von der Vergangenheit geprägt ist? Der spanische Bürgerkrieg und die Nachkriegsjahre bilden sowohl den Hintergrund von „Pa negre“ als auch von „Das Meer“.

Beide Filme beruhen auf literarischen Vorlagen, „Pa negre“ ist eine Auftragsarbeit. Als man mir anbot, den Roman von Emili Teixidor zu verfilmen, habe ich zunächst gezögert. Bürgerkriegsfilme sind in Spanien so etwas wie der Western in den USA: ein eigenes Genre. Es gibt unheimlich viele, man weiß nie, ob die Leute das tatsächlich noch sehen wollen, ob es wirklich Neues zu sagen gibt. Ich wollte einen Film machen, der auf Ideologien und politischen Diskurs verzichtet und davon handelt, was der Krieg mit den Menschen macht.

Agustí Villaronga

Der mallorquinische Regisseur Agustí Villaronga (Jahrgang 1953) gilt als Spezialist für psychologische Abgründe. Mit oft verstörenden Gewaltdarstellungen erkundete er in „Im Glaskäfig“ (1987), „Das Meer“ (2000) oder „Aro Tolbukhin. In the Mind of a Killer“ (2002) die Folgen traumatischer Verletzungen. Der diesjährige spanische Oscar-Beitrag „Pa negre“ (2010) machte Villaronga auch einem größeren Publikum bekannt.

Lässt sich ohne politischen Standpunkt überhaupt ein Film über den Bürgerkrieg machen?

Natürlich nimmt der Film eine Position ein, sowohl der Autor Emili Teixidor als auch ich gehören eher zur Linken und stehen den Bürgerkriegsverlierern näher. Aber es gibt keine einfachen Schuldzuweisungen. In der literarischen Vorlage ist die Figur des Vaters, des Republikaners Farriol, ein „weißer Held“. Im Film hat er ermordet, Verrat begannen und ist fähig, eine Fabrik in die Luft zu sprengen. Die Grenze zwischen Gut und Böse, zwischen Opfer und Täter verschwimmt – und das halte ich für sehr sinnvoll. Der Zuschauer versteht, was moralische Armut bedeutet. Natürlich schmerzt es, Haus oder Vermögen zu verlieren, aber es tut eben so weh, seine Ideale zu verlieren. Diese Art von Verlust ist eines der schlimmsten Dinge, die ein Krieg mit sich bringt.

Mit 215.000 Zuschauern allein in Katalonien und neun Goyas ist „Pa negre“ Ihr bisher erfolgreichster Film. Die Produzentin Isona Passola hat erzählt, dass sie Sie manchmal überreden musste, Konzessionen an den Massengeschmack zu machen.

Isona ist eine mutige Produzentin, die sehr an mich glaubt. Bevor wir das Projekt begannen, sagte sie zu mir: „Kaum zu glauben, dass du mit deinem Talent nicht mehr Menschen erreichst. Ich möchte, dass ’Pa negre‘ zu einem Publikumserfolg wird.“ Dabei habe ich nichts anders gemacht als bei meinen anderen Filmen. „Pa negre“ ist ein ebenso harter, düsterer Film wie die anderen Filme auch. Aber die Situationen sind einfacher zu verstehen, die Figuren bieten mehr Identifikationspotenzial als etwa die Tuberkulosekranken in „Das Meer“ mit ihrem Religionswahn und der unterdrückten Homosexualität.

Sowohl „Pa negre“ als auch „Das Meer“ haben ein sehr klaustrophobes Setting. In „Pa negre“ sind es der Wald und der Dachboden, wo sich der Vater versteckt, in „Das Meer“ ein abgelegenes Tuberkulosesanatorium mit langen Gängen und weiß getünchten Räumen, in denen sich Krankheit, Gewalt und Sexualität immer wieder eruptionsartig und mit viel Blut entladen. Ist dieses Hermetische auch eine Metapher für die repressive Atmosphäre der Franco-Zeit?

Das Sanatorium ist eher eine Metapher für eine bestimmte gesellschaftliche Schicht: Tuberkulose ist eine Armenkrankheit – und in „Das Meer“ geht es um die Verlierer. Meine Vorliebe für diese Art von Raum hat aber auch mit meiner Arbeitsweise zu tun. Ich bin ein eher häuslicher Typ. Je geschlossener der Raum, desto wohler fühle ich mich beim Dreh. Ich mag keine Massenaufläufe auf der Straße.

Das Kammerspielartige unterstreicht auch den Grundkonflikt der Figuren. Sie sind in sich selbst gefangen, können ebenso wenig fliehen wie der Zuschauer vor der Grausamkeit, der vor allem die Kinder ausgesetzt sind: In „Pa negre“ stürzt ein Kind zu Tode, in „Das Meer“ schlägt eines einem anderen den Schädel ein, in „Im Glaskäfig“ wird eines mit der Holzlatte erschlagen – und das jeweils in den ersten fünf Minuten.

Ich glaube, Grausamkeit muss manchmal gezeigt werden, damit man versteht, was mit den Leuten passiert, die Zeuge davon werden. Aber dahinter steht keine bestimmte Ästhetik der Gewalt. Was ich will, ist, eine Geschichte richtig zu erzählen, eine Brücke zum Publikum zu bauen, in dem ich die passenden Bilder für diese Geschichte finde. Man muss sich seine Sensibilität den Stoffen und sich selbst gegenüber bewahren, dann entsteht intuitiv eine eigene Filmsprache, ein eigenes filmisches Universum.

Die Berlinale-Premiere Ihres Erstling, „Im Glaskäfig“, die Geschichte eines pädophilen KZ-Arztes, der in einer eisernen Lunge gefangen von einem seiner Opfer heimgesucht wird, löste 1987 einen veritablen Skandal aus. Der Film wurde sogar zeitweise beschlagnahmt.

Dabei wurde uns erst in Berlin klar, wie hochexplosiv diese Mischung aus Nationalsozialismus, Homosexualität und Pädophilie war. Meine Ausgangsidee war die Geschichte von jemandem, der ein Leben durch einen anderen lebt. Wir waren wirklich nicht auf den Skandal aus. Als ich bei einer Publikumsdiskussion sagte, dass der Film eigentlich eine Liebesgeschichte ist, gab es einen Riesenaufstand. Ein Zuschauer schimpfte mich Mörder und wollte mich ohrfeigen.

Hat dieses Debüt Ihrer Karriere geschadet?

Ich war von heute auf morgen bekannt, das war natürlich gut. Aber dadurch, dass ich sofort das Etikett „Sonderling“ verpasst bekam, konnte ich jahrelang nicht richtig arbeiten. Kaum jemand wollte meine Drehbücher lesen, ich hatte es sehr schwer, an Geld zu kommen. Das hat sich eigentlich erst durch „Das Meer“ geändert. Andererseits: Besser ein Sonderling als ein unfähiger Trottel. Ein gewisses Prestige hatte ich mir erarbeitet. Wer trotz meines Rufs mit mir arbeiten wollte, gab mir dann volle gestalterische Freiheit. Wobei so ein Film wie „Im Glaskäfig“ heute wohl nicht mehr möglich wäre.

Weil den Produzenten der Mut fehlt?

Weil keine Fernsehanstalt einsteigen würde. Neben den Regionalregierungen und dem Staat sind die Fernsehsender nun einmal die Hauptfinanciers, also muss der Film mit ihrem Programm kompatibel sein. „Im Glaskäfig“ kann man höchstens um vier oder fünf Uhr morgens zeigen. In Spanien gibt es inzwischen so viele vorgeschaltete Filter, dass eigentlich alles, was anders ist, eine eigene Sprache hat, von vornherein ausscheidet.

In Katalonien kommt die Sonderproblematik der Sprache dazu: Gefördert werden vor allem Projekte, die auch auf Katalanisch gedreht werden.

Auch wenn ich das eigentlich nicht sagen sollte: Ich empfinde diese Förderpolitik als Einschränkung meiner künstlerischen Freiheit. Warum soll ich mich als katalanischer Filmemacher nur auf hiesige Sujets beschränken? Hollywood dreht doch auch Filme über genuin italienische Themen und Figuren wie die des Gladiators!

Haben sich die Arbeitsbedingungen durch die Krise verschlechtert?

Das Kulturbudget wurde radikal zusammengekürzt – und innerhalb der Kultur sind wir Filmemacher von jeher die armen Verwandten. Mein letztes Projekt, ein Spielfilm über den Spanienbesuch von Evita Perón, stammt noch aus Vorkrisenzeiten. Wie es weitergehen soll, weiß keiner. Das werden harte Jahre. Schon seltsam: Ich habe ausgerechnet dann in Spanien Erfolg, wenn es kein Geld mehr gibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!