Regionalwahlen in Schottland: Labour kämpft um den zweiten Platz
Die Mehrheit der Schotten ist für den Verbleib in Großbritannien. Das kann sich schnell ändern, sollten die Briten für den Brexit stimmen.
Dieses Wahlsystem sollte eigentlich eine absolute Mehrheit für eine Partei verhindern. Es war deshalb eine Überraschung, dass es der SNP vor fünf Jahren dennoch gelungen ist. Niemand zweifelt daran, dass die Partei dieses Kunststück diesmal nicht nur wiederholen, sondern sogar verbessern kann. Die Zahl der Parteimitglieder hat sich nach dem Referendum im September 2014, als die Schotten für den Verbleib im Vereinigten Königreich stimmten, vervielfacht. Doch das kann zum Problem für die populäre Parteichefin Nicola Sturgeon werden.
Die neuen Mitglieder wollen möglichst bald den Volksentscheid wiederholen. Sturgeon weiß jedoch, dass die Unterstützung für die SNP keineswegs identisch mit der Unterstützung für die Unabhängigkeit ist. Es herrscht kein großes Verlangen nach erneutem Referendum, nur ein Drittel ist dafür. Sturgeon versucht deshalb einen Balanceakt. Auf dem Parteitag im März sagte sie vage, dass die SNP im Sommer einen neuen Anlauf nehmen werde, um für die Unabhängigkeit zu werben. Dafür erhielt sie stehende Ovationen. Bisher liegen beide Seiten gleichauf.
Viel hängt von dem Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft Ende Juni ab. Eine deutliche Mehrheit der Schotten ist für den Verbleib in der EU. Sollten sich die Briten dagegen entscheiden, wird Sturgeon ihre bisherige Zurückhaltung aufgeben und ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum anstreben müssen. Schottland würde nach einem erfolgreichen Volksentscheid die EU-Mitgliedschaft beantragen.
Früher regierte sie in Schottland unangefochten, ohne sich sonderlich anzustrengen. Das stellte sich später als Nachteil heraus. Als es darauf ankam, wusste man gar nicht mehr, wie man Wahlkampf betreibt.
Thatcher benutzte Schottland als Testgelände
Die Wende begann im Grunde bereits mit Margaret Thatcher. Die Tory-Premierministerin benutzte Schottland als Testgelände für unbeliebte politische Maßnahmen wie die Kopfsteuer. Sie sei deshalb die „größte schottische Nationalistin“ gewesen, sagte der ehemalige Liberalen-Chef Charles Kennedy einmal. Sie habe es geschafft, die Schotten zu einer Nation von Thatcher-Hassern zu machen, und viele übertrugen diesen Hass ganz allgemein auf England. Als Labour dann 1997 an die Macht kam und den Schotten ein eigenes Parlament gab, war der Boden für die SNP bereitet.
Für die Labour Party geht es am 5. Mai nur darum, gegen die Tories die Stellung als größte Oppositionspartei zu verteidigen. Beide Parteien werden ebenfalls von Frauen angeführt – die Tories von Ruth Davidson, Labour von Kezia Dugdale. Dass die Tories vom zweiten Platz träumen dürfen, liegt am Zusammenbruch von Labour. Erstmals seit 1997 haben die Konservativen bei Meinungsumfragen zugelegt, wenn auch nur um 3 Prozent. Labour hingegen hat seit dem Unabhängigkeitsreferendum 2014 mehr als 10 Prozent eingebüßt. Ihre Anhänger haben es der Partei nicht verziehen, dass sie gemeinsame Sache mit den Tories gemacht hat, um die Unabhängigkeit zu verhindern.
Dugdale sagt, sie benötige fünf Jahre, um Labour wieder etwas Leben einzuhauchen. Sie stammt aus Aberdeen, der Ölhauptstadt Großbritanniens, aber die 34-jährige Juristin lebt mit ihrer Partnerin schon lange in Edinburgh. Dugdale wurde 2011 ins schottische Parlament gewählt, nur vier Jahre später übernahm sie die Parteiführung.
Für die meisten Schotten hat die Finanzierung des Gesundheitssystems Priorität. Dugdale versprach deshalb, die Einkommensteuer um einen Penny anzuheben, was aufgrund der Machtübertragung aus London ab dem Sommer möglich ist. Doch auch damit kann sie die Schotten nicht überzeugen: Eine Mehrheit will, dass die Einkommensteuer für Spitzenverdiener ab 150.000 Pfund im Jahr von 45 auf 50 Prozent erhöht wird, um das Gesundheitssystem zu erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland